Soll und Haben, Bd. 1 (2). Gustav Freytag
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Название: Soll und Haben, Bd. 1 (2)

Автор: Gustav Freytag

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ verkauft hatte, um ihm die sechs Ducaten in die Ledertasche zu nähen; er sah sie vor sich, wie sie ihn beim Abschiede mit Thränen gebenscht hatte und zu ihm gesagt: »Veitel, es ist eine arge Welt, verdiene dir ehrlich dein Brod, Veitel!« – Er sah seinen grauen Vater vor sich auf dem Todtenbett liegen, wie ihm der weiße Bart herunterhing über den magern Leib – und tief holte er Athem. Auch an die funfzig Thaler dachte er, wie viel Mühe es ihm gekostet hatte, sie im Schacher zu erwerben, wie oft er darum gelaufen war, wie oft man ihn geschmäht, ja als Ueberlästigen mit Schlägen bedroht hatte. Als ihm der letzte Gedanke durch die Seele flog, riß er heftig die Brieftasche aus der Jacke, warf sie auf den Tisch, setzte die geballte Faust darauf und rief mit blitzenden Augen: »Hier ist Geld!« – und während er das aussprach, fieberhaft erregt, in leidenschaftlicher Hast, selbst in diesem Augenblick, fühlte er deutlich, daß er daran sei, etwas Böses zu thun, und er fühlte, wie eine Last sich unsichtbar auf seine Brust senkte. Aber er war entschlossen. Schwerlich hatten die jungen Herren, welche den zudringlichen Judenknaben die Treppe herunterwiesen, daran gedacht, daß ihre höhnenden Worte in der armen verwilderten Menschenseele einen Dämon erwecken würden, der ihnen selbst in spätern Jahren Elend und Verderben heraufbeschwören sollte.

      Nach einigen Stunden war das Licht tief herabgebrannt und bei dem rothen Schein saß in dem wüsten Raume noch immer Veitel mit offenem Munde, glänzenden Augen und gerötheten Wangen dem Vortrage des alten Mannes lauschend. Und der Alte sprach doch über Dinge, von denen zu hören den meisten Sterblichen sehr langweilig ist, über gewöhnliche Schuldverschreibungen.

      Das Licht war verloschen, der kleine Herr hatte die neugefüllte Branntweinflasche geleert und war ermüdet vom langen Sprechen auf seinem Strohsack eingeschlafen, und noch immer saß Veitel auf dem Schemel. Heute dachte er nicht an seine Kunden, nicht an sein gezahltes Geld, sondern er schrieb Schuldscheine an die schwarzen Wände, in denen sich der Aussteller mit vielen Worten zu so wenig als möglich verpflichtete, und schrieb Empfangscheine über geliehenes Geld, in denen er durch unscheinbare Zusätze die Rückzahlung der Summe von seinem Belieben abhängig machte. So saß er lange in bleischwarzer Finsterniß, und große Schweißtropfen rannen von seinen Schläfen. Dann öffnete er die Thür zur hölzernen Galerie, lehnte sich auf das Geländer und sah durch das Dämmerlicht hinunter in das Wasser, welches wie ein riesiger Strom von Tinte vorbeifluthete. Und wieder schrieb er Schuldscheine in die schwarzen Schatten der gegenüberliegenden Häuser und schrieb Quittungen auf die dunkle Wasserfläche, bis sein müder Leib erschöpft zusammenbrach und er in einer Ecke einschlief, das heiße Haupt an die Holzwand gelehnt. In kaltem Zuge fuhr der Nachtwind über das Wasser und unten gurgelte die Fluth klagend an den Holzpfählen und Vorsprüngen der alten Häuser. Was er in die Schatten gezeichnet, das verrückte sich, und was er auf das Wasser geschrieben, das zerrann, und doch hatte seine Seele einen Schuldschein ausgestellt in dieser Nacht, der einst von ihm eingefordert werden sollte mit Zins und Zinseszins. Der Wind heulte, und der Sturm klagte, wilde Mahner an die Schuld, rächende Boten des Gerichts.

      Seit dieser Nacht eilte Veitel alle Abende mit schnellem Schritt nach seiner Herberge, der Unterricht im Geschäftsstyl wurde regelmäßig fortgesetzt. Der Herr mit der Brille war ein gründlicher Lehrer, die tiefsten Geheimnisse des Wechselrechts und der Hypothekenordnung waren ihm offenbar, er kannte jeden Schlupfwinkel, welchen das Gesetz dem gewandten Mann offen läßt, er war mit jedem Schleichwege vertraut, auf welchem man eine gesetzliche Verpflichtung umgehen kann. Seine Methode des Unterrichts war vortrefflich. Er ging bei allen auszustellenden Urkunden und bei jeder geschäftlichen Verpflichtung von der gewöhnlichen Form aus, lehrte seinen Schüler die betreffenden Gesetze kennen und machte seine Lehre durch Beispiele deutlich und angenehm. Dann erst gab er bei jedem Gesetz, bei jedem einzelnen Fall, die kleinen Hülfsmittel an, durch welche man gegenüber der Verpflichtung einen freien Standpunkt gewinnen konnte. Jeden Abend nahm Veitel einige kostbare Recepte in seine Brieftasche auf, Formulare zu Documenten, welche zu nichts verpflichteten, und wieder solche, welche zu weit mehr verpflichteten, als sie den Anschein hatten. Zuweilen schrieb der Alte selbst ein solches Kunstwerk vor, und ließ es den Schüler abschreiben, worauf er seine eigene Handschrift sorgfältig am Licht verbrannte. Wenn fremde Gäste in der Herberge waren, zogen sich Lehrer und Schüler in eine Ecke zurück und verhandelten in einem Flüsterton, welcher von den Anwesenden mit vieler Achtung angehört wurde, denn Veitel pflegte dann zu erklären, daß er von dem Herrn Unterricht in der Buchführung und andern nützlichen Dingen erhalte.

      Was Veitel nach und nach über die Person seines Lehrers erfuhr, Namen und Schicksal, sei hier in Kürze berichtet. Herr Hippus hatte bessere Tage gesehen. Er war einst ein vielgesuchter Rechtsanwalt der Hauptstadt gewesen, der es durchgesetzt hatte, in wenig Jahren eine ausgebreitete Praxis zu erwerben. Bei dem Geschäfte treibenden Publicum einer großen Stadt erhält jeder Advocat sehr bald einen bestimmten Ruf, einen Ruf, welcher eben so unsicher sein mag, als der Ruhm einer Sängerin oder Tänzerin, der aber auch durch eine große Classe von Menschen als anziehender Stoff der Unterhaltung benutzt wird. Bei dieser Classe galt Herr Hippus für sehr gewandt und zuvorkommend im Verkehr mit den Parteien und für den entschiedensten und kühnsten Mann, um ein mißliches Recht in ein gutes Recht zu verwandeln. Im Anfang hatte er so wenig, wie der gewissenhafteste Staatsanwalt, den Trieb, seine Carriere dadurch zu machen, daß er Unrecht in Recht verdrehte. Auch er hatte ein peinliches Gefühl von Unsicherheit, wenn er eine Partei vertrat, deren Sache er für schlecht hielt, er war von den ehrenwerthesten seiner Collegen nur sehr wenig verschieden, er hatte einige kleine Scrupel weniger und trank etwas zu gern guten Rothwein. Diese letzte so löbliche Eigenschaft wurde bald eine Schwäche. Er war ein Mann, der mit Geschmack zu frühstücken wußte, ein Herr von kaustischem Witz und ein vortrefflicher Gesellschafter bei der Tafel. Er hatte einen subtilen Geist, freute sich über geistreiche Paradoxien und liebte es die Haare zu spalten, die er seinen Gegnern ausriß. Mit Hülfe des Rothweins erlangte er die Fertigkeit, viel Geld auszugeben, und gerieth in die Lage, viel einnehmen zu müssen. Die eitle Freude an Spitzfindigkeiten verlockte ihn einigemal, die ganze Energie seines glänzenden Geistes einer schlechten Sache dienstbar zu machen und diese zum Siege zu führen. So erlebte er den Fluch, der häufig Advocaten trifft, welche Glück in verzweifelten Processen gehabt haben, es liefen ihm Alle zu, welche eine schlechte Sache zu vertheidigen hatten. Lange Zeit ärgerte er sich darüber, und es fehlte ihm nur ein klein wenig Kraft, um diese Spitzbubenpraxis, wie er selbst sie nannte, los zu werden; allmälig, ganz allmälig wurde er durch die schlechten Sachen, an denen er sein nicht gemeines Talent geltend zu machen suchte, selbst schlecht. Immer größer wurden seine Bedürfnisse, immer lockender die Verführung, immer kleiner sein Gewissen. So war er schon lange von innen ausgehöhlt und mit Giftstaub gefüllt, wie ein Bovist, von außen sah er noch stattlich und glänzend aus, und oft wurde ihm prophezeit, daß er mit der größten Praxis in der Stadt als einer der reichsten Männer seine Laufbahn beschließen werde. Da begegnete ihm, dem Schlauen, dem Gesetzkundigen das Unglück, daß er in eine Untersuchung gerieth, weil er bei einer Sache, welche nur durch verzweifelte Mittel zu halten war, dem Gesetz eine Blöße gegeben hatte. Er wurde verurtheilt, mit Schimpf cassirt und verschwand als ein gefallener Stern aus dem Kreise seiner Amtsgenossen. Was er noch von Bedenken und Rücksichten gehabt hatte, ging seit der Zeit mit reißender Schnelligkeit verloren. Er hatte in Wirklichkeit wenig Vermögen gesammelt, fast nur schlechte Ansprüche an den Besitz Anderer, verzweifelte Schuldverschreibungen und hoffnungslose Documente, deren Erwerb ihm allerdings sehr wenig gekostet hatte. Die Beitreibung derselben machte er jetzt zur Aufgabe seines Lebens, denn noch immer hatte er das Bedürfniß, viel auszugeben. Deßhalb war er durch mehrere Jahre als ewiger Kläger und Quereler eine den Gerichtshöfen wohlbekannte Person. Was er durch Prozessiren erwarb, vergeudete er mit roher Sinnlichkeit in schlechter Gesellschaft, er wurde ein Trunkenbold, ein lüderlicher Schlemmer. Aber auch diese unsicheren Einnahmen hörten endlich auf, sein Name verschwand allmälig aus den Prozeßacten, und seine Person ward auch in den Restaurationen untergeordneten Ranges nicht mehr gesehen. Aber seine Thätigkeit hörte nicht auf. Er sank zum Besucher von Branntweinstuben und zum Winkelconsulenten herab, der andere Leute zu Prozessen aufstachelte und Schwindlern und Gaunern gute Rathschläge ertheilte. In dieser stillen Thätigkeit verlebte er einige Jahre und stiftete so viel Unheil, als nöthig war, um seinen Grimm gegen nicht gefallene irdische Größen und seinen Durst, der sehr gemeiner Natur wurde, zu befriedigen. Leider glückte ihm noch nicht, ganz aus dem Auge des Gesetzes СКАЧАТЬ