Der Wanderer zwischen den Welten. Flex Walter
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Название: Der Wanderer zwischen den Welten

Автор: Flex Walter

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ Rock, sondern nahm sie mit sich wie einen heimlichen Schatz. Er hatte sechs schwere Monate hindurch um die Seele seines Volkes gedient, von der so viele reden, ohne sie zu kennen. Nur wer beherzt und bescheiden die ganze Not und Armseligkeit der Vielen, ihre Freuden und Gefahren mitträgt, Hunger und Durst, Frost und Schlaflosigkeit, Schmutz und Ungeziefer, Gefahr und Krankheit leidet, nur dem erschließt das Volk seine heimlichen Kammern, seine Rumpelkammern und seine Schatzkammern. Wer mit hellen und gütigen Augen durch diese Kammern hindurchgegangen ist, der ist wohl berufen, unter die Führer des Volkes zu treten. Als ein Wissender an Kopf und Herzen stieg der junge Kriegsfreiwillige von den lothringischen Bergen herab, um Führer und Helfer in seinem Volke zu werden. Davon klang sein Schritt. Und wenn die Menschen mit allem lügen und heucheln könnten, Blick und Stimme und Gang der Starken und Reinen können sie nicht erheucheln und nachtäuschen. Noch hatte ich mit dem jungen Studenten kein Wort gesprochen, aber Blick und Stimme und Gang des Jünglings waren mir freund geworden.

      Im Eisenbahnwagen kamen wir ins Gespräch. Er saß mir gegenüber und kramte aus seinem Tornister einen kleinen Stapel zerlesener Bücher: ein Bändchen Goethe, den Zarathustra und eine Feldausgabe des Neuen Testaments. »Hat sich das alles miteinander vertragen?« fragte ich. Er sah hell und ein wenig kampfbereit auf. Dann lachte er. »Im Schützengraben sind allerlei fremde Geister zur Kameradschaft gezwungen worden. Es ist mit Büchern nicht anders als mit Menschen. Sie mögen so verschieden sein, wie sie wollen – nur stark und ehrlich müssen sie sein und sich behaupten können, das gibt die beste Kameradschaft.« Ich blätterte, ohne zu antworten, in seiner Sammlung Goethescher Gedichte. Ein anderer Kamerad sah herüber und sagte: »Das Buch habe ich mir beim Auszug auch in den Tornister gesteckt, aber wann hat man hier draußen Zeit zum Lesen gehabt?« »Wenn man wenig Zeit zu lesen hat,« meinte der junge Student, »so soll man auswendig lernen. Ich habe in diesem Winter siebzig Goethesche Gedichte gelernt. Die konnte ich dann vorholen, so oft ich wollte.« Er sprach frei und leicht und ohne jeden Anflug von Selbstbespiegelung oder Schulmeisterlichkeit, aber seine unbefangene und selbstsichere Art, ohne Scheu auch von wesentlichen und innerlichen Dingen zu reden, zwang zum Aufhorchen. Seine Worte waren so klar wie seine Augen, und aus jedem seiner frisch und ehrlich gefügten Sätze konnte man sehen, weß Geistes Kind man vor sich hatte.

      Die Gespräche im Eisenbahnwagen kreuzten um die Aufgaben der nahen Zukunft. Wir fuhren einer Lehrzeit entgegen. Dem einen schien's viel, dem andern wenig, was in der kurzen Zeit zu lernen war. »Ein Zugführer braucht ja kein Stratege zu sein,« meinte einer. »Leutnantsdienst tun heißt: seinen Leuten vorsterben. Wer ein ganzer Kerl ist, braucht nur ein wenig Handwerk zuzulernen.« Der so sprach, meinte es ehrlich, und er hat nicht allzulang danach in Russisch-Polen sein Wort wahr gemacht, aber seine ungelenke und hitzige Art, unvermittelt und oft am falschen Platz große Worte zu machen, ließ ihn bei aller Redlichkeit oft zur Zielscheibe harmlosen Spottes werden. Auch hier fiel sein Wort wie ein Stein in leichtes Geplauder. Einige lächelten. Aber Ernst Wurche hob den Stein leicht auf, und er wurde in seiner Hand zum Kristall. »Leutnantsdienst tun heißt seinen Leuten vor-leben,« sagte er, »das Vor-sterben ist dann wohl einmal ein Teil davon. Vorzusterben verstehen viele, und das ›Non dolet‹, mit dem die römische Frau ihrem zaghaften Gatten zeigte, wie gut und leicht sich sterben läßt, steht dem Mann und Offizier noch besser, aber das Schönere bleibt das Vor-leben. Es ist auch schwerer. Das Zusammen-leben im Graben war uns vielleicht die beste Schule, und es wird wohl niemand ein rechter Führer, der es nicht hier schon war.«

      Es erhob sich alsbald ein lebhafter Streit, ob es leicht oder schwer sei, Einfluß auf das Denken und Fühlen des gemeinen Mannes zu gewinnen. Mancher hatte mit Belehrungs- und Erziehungsversuchen kläglich Schiffbruch gelitten und war immer wie ein fremder Vogel im Schwarm gewesen. Vieles, das hin- und hergeredet wurde, ist mir entfallen, und es verblaßte auch mit Recht neben einem kleinen Erlebnis, das der junge Student erzählte. »Die großen Kerls«, meinte er lächelnd, »sind wie die Kinder. Mit Schelten und Verbieten ist wenig getan. Sie müssen einen gern haben. Ein Spiel, bei dem man nicht mittut, muß ihnen kein rechtes Spiel sein. Wenn wir zu acht im Unterstand lagen, suchte auch oft einer dem anderen mit unsaubern Witzen den Vogel abzuschießen. Und ein Weilchen unterhielten sie sich damit ganz prächtig. Aber dann war einer, ein Breslauer Sozialdemokrat, der gute Freundschaft mit mir hielt; der merkte immer zuerst, wenn ich nicht mittat. ›Ernstel, schläfst du auch?‹ fragte er dann jedesmal, und wir wußten alle beide, daß sein Spott auf unsichern Beinen stand. Ich knurrte auch nur, ›Laßt mich zufrieden‹, oder so. Sie wußten recht gut, wenn ich nichts von ihnen wissen wollte, und das paßte ihnen nicht. Es dauerte dann meistens auch gar nicht lange, bis einer eine Schnurre erzählte, über die ich mitlachte. Und dann hatten wir die lustigsten Stunden.«

      Er erzählte das ganz schlicht und mit so herzgewinnender Nachfreude, daß man unwillkürlich die Kraft spürte, die sein Wesen auf grobe und feine Herzen übte. Ich verstand ganz seine »großen Kerls«, die ihn »gern hatten« und denen das Lachen ohne ihn schal war. Viel später, in den Wäldern von Augustow, hat er mir dann zuweilen Briefe seiner alten Kameraden zu lesen gegeben, denen er selbst fleißig schrieb. Darunter war auch einer seines Breslauer Sozialdemokraten. Der fing mit »Lieber Herr Leutnant« an, und ziemlich unvermittelt stand zwischen allerlei Nachrichten: »Seit Sie fort sind, sind unsre Gespräche nicht besser geworden. Über viele Witze würden Sie nicht lachen, und wir dann auch nicht.« Es mag, auch in Deutschland, nicht viele Offiziere geben, denen solche Briefe geschrieben werden …

      In dem Eisenbahnwagen, der uns quer durch Deutschland von Metz nach Posen führte, saß ich dem rasch liebgewonnenen Kameraden viele Stunden gegenüber. Es wurde viel gelacht und geplaudert. Aus allen seinen Worten sprach ein reiner, klarer, gesammelter Wille. So wie er die Anmut des Knaben mit der Würde des Mannes paarte, war er ganz Jüngling, und er erinnerte mich in seinem bescheidenen, selbstsicheren Lebensfrohsinn fast schmerzhaft deutlich an meinen jüngsten Bruder, der in den ersten Septembertagen in Frankreich gefallen war. »Sind Sie nicht Wandervogel, Wurche?« fragte ich ihn aus meinen Gedanken und Vergleichen heraus, und sieh', da hatte ich an die Dinge des Lebens gerührt, die ihm die liebsten waren! Aller Glanz und alles Heil deutscher Zukunft schien ihm aus dem Geist des Wandervogels zu kommen, und wenn ich an ihn denke, der diesen Geist rein und hell verkörperte, so gebe ich ihm recht …

      Die paar Wochen Lehrzeit im Warthelager haben dem Wesen des Jünglings nichts gegeben und nichts genommen. Er wurde rasch nacheinander Unteroffizier, Feldwebel und Leutnant. Mit seinen Aufgaben fand er sich glatt und sicher ab, und an den Verdrießlichkeiten und Kleinlichkeiten, wie sie der Friedensdrill mit sich bringt, ging er mit lässigem Hochmut vorüber. Einmal entschlüpfte auch mir, ich weiß nicht mehr über wen und worüber, ein verdrossenes Wort. Da schob er seinen Arm in meinen, sah mich mit seiner herzlich zwingenden Heiterkeit an und zitierte aus seinem Goethe:

      »Wandrer, gegen solche Not

      Wolltest du dich sträuben?

      Wirbelwind und trocknen Kot

      Laß ihn drehn und stäuben!«

      Damit war die Sache abgetan. Wir wanderten in den Sonntagmorgen hinaus zum Warthe-Ufer und sprachen von Flüssen, Bergen, Wäldern und Wolken …

      Es wurde Mai. Da zogen wir zum zweitenmal hinaus. Wohin? Das wußte von den paar hundert jungen Offizieren noch keiner, als uns schon die grellweißen Lichtkegel unsrer Autos zum Schlesischen Bahnhof in Berlin vorausrasten. Die Zukunft war voller Geheimnisse und Abenteuer, und aus dem Dunkel im Osten, in das sich die Lichter unsres Zuges hineinfraßen, wuchs der Schatten Hindenburgs …

      Der Zug fuhr ohne Halt durch die Mainacht, als wollte er Weg und Ziel nicht verraten. Nur hin und wieder flog ein grell von Bahnhofslichtern überstrahltes Schild mit einem Stationsnamen an uns vorüber. Es ging nach Osten. Der Schatten Hindenburgs wuchs und wuchs. Kühl und blausonnig ging der Maimorgen über den ostpreußischen Seen auf. Ging es nach Kurland, ging es nach Polen? Ernst Wurche zeigte hartnäckig, so oft wir hin- und herrieten, auf die Teile der großen Generalstabskarte, die mit dem tiefsten Blau und dem lichtesten Grün gezeichnet waren. Der helle, liebe Mai gaukelte dem Wandervogel die Lockbilder weiter, sonniger Seen, schattiger Wälder und taunasser Wiesen vor.

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