Friedrich Nietzsche in seinen Werken. Andreas-Salomé Lou
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Читать онлайн книгу Friedrich Nietzsche in seinen Werken - Andreas-Salomé Lou страница 12

СКАЧАТЬ Doppelsinn, der durch die ganze Schrift hindurch geht und einem kundigen Nietzsche-Leser sofort auffällt: da nämlich dasjenige, was am herrschenden Zeitgeist seine Bedenken hervorrief, doch etwas wesentlich Anderes war als sein eigenes Seelenproblem, so wendet er sich ohne Unterschied gegen zwei voneinander völlig verschiedene Dinge: Einmal gegen die Verkümmerung eines vollen, reichen Seelenlebens durch den erkältenden und lähmenden Einfluss einseitiger Verstandesbildung: »Der moderne Mensch schleppt zuletzt eine ungeheure Menge von unverdaulichen Wissenssteinen mit sich herum, die dann bei Gelegenheit ordentlich im Leibe rumpeln, wie es im Märchen heisst« (36). »Im Inneren ruht dann wohl die Empfindung jener Schlange gleich, die ganze Kaninchen verschluckt hat und sich dann still gefasst in die Sonne legt und alle Bewegungen ausser den nothwendigsten vermeidet… Jeder, der vorübergeht, hat nur den einen Wunsch, dass eine solche »Bildung« nicht an Unverdaulichkeit zu Grunde gehe« (37). – Das andere Mal aber gerade gegen die allzu heftige, aufreizende und aufrührerische Einwirkung des Gedanklichen auf das psychische Leben, gegen den dadurch hervorgerufenen Kampf zusammenhangloser wilder Triebkräfte.

      Es ist ein Unterschied wie zwischen Seelenstumpfsinn und Seelenwahnsinn. In Nietzsche selbst pflegten die abstractesten Gedanken sich in Gemüthsmächte umzusetzen, die ihn mit unmittelbarer und unberechenbarer Gewalt fortrissen. In dem von ihm gezeichneten Bilde unseres Zeitalters mussten sich ihm daher die beiden entgegengesetzten Wirkungen des Intellectuellen vermischen, und in Bezug auf die eine von ihnen, – auf die chaotische Entfesselung des Seelenlebens, – verschmolzen ihm in ähnlicher Weise zwei verschiedene Ursachen mit einander. Es handelt sich nämlich nicht nur um die rein intellectuellen Einflüsse, nicht nur um die Gefahr des Verstandesmässigen für das Instinctmässige, sondern auch um die uns vererbten und einverleibten Einflüsse längst verflossener Zeiten, die, einst einer intellectuellen Quelle entsprungen, jetzt nur in der Form von Trieben und Gefühlsschätzungen in uns leben.

      Der geschlossenen Persönlichkeit droht also nicht nur die Gefahr, die von aussen kommt, sondern auch diejenige, die sie in sich trägt, die mit ihr geboren ist, – jene »Instinct-Widersprüchlichkeit«, die das Erbe aller Spätlinge ist, denn – Spätlinge sind Mischlinge.

      Die Ueberwindung des Nachtheils, den die »Historie« in diesem Sinn, – erlernt oder erlebt, – bringen kann, liegt in der Hinwendung auf das Unhistorische. Unter dem Unhistorischen versteht Nietzsche die Rückkehr zum Unbewussten, zum Willen des Nichtwissens, zum Horizont-Abschliessenden, ohne das es kein Leben gibt. »Jedes Lebendige kann nur innerhalb eines Horizontes gesund, stark und fruchtbar werden« (11)… »Das Unhistorische ist einer umhüllenden Atmosphäre ähnlich, in der sich Leben allein erzeugt«… Es ist wahr: erst dadurch, dass der Mensch denkend, überdenkend, vergleichend, trennend, zusammenschliessend jenes unhistorische Element einschränkt, erst dadurch dass innerhalb jener umschliessenden Dunstwolke ein heller, blitzender Lichtschein entsteht, also erst durch die Kraft, das Vergangene zum Leben zu gebrauchen und aus dem Geschehenen wieder Geschichte zu machen, wird der Mensch zum Menschen: aber in einem, Uebermaasse von Historie hört der Mensch wieder auf« (12 f.). Seine Kraft misst sich an dem Maass des Historischen, das er verträgt und besiegt, – an der Kraft des Unhistorischen in ihm: »Je stärkere Wurzeln die innere Natur eines Menschen hat, um so mehr wird er auch von der Vergangenheit sich aneignen oder anzwingen; und dächte man sich die mächtigste und ungeheuerste Natur, so wäre sie daran zu erkennen, dass es für sie gar keine Grenze des historischen Sinnes geben würde, an der sie überwuchernd und schädlich zu wirken vermöchte; alles Vergangene, eigenes und fremdestes, würde sie an sich heran, in sich hineinziehen und gleichsam zu Blut umschaffen. Das was eine solche Natur nicht bezwingt, weiss sie zu vergessen; es ist nicht mehr da, der Horizont ist geschlossen und ganz, und nichts vermag daran zu erinnern, dass es noch jenseits desselben Menschen, Leidenschaften, Lehren, Zwecke gibt.« (11) Ein solcher Geist treibt Historie auf alle drei Weisen, auf die sie überhaupt getrieben werden kann, ohne ihr nach irgend einer der drei Richtungen hin zu verfallen: er schaut sie an als Monumentalgeschichte, indem er seinen Blick auf den grossen Gestalten der Vorzeit ruhen lässt und sie auf sein Werk und sein Wollen bezieht, ohne sich jedoch an sie zu verlieren: als begeisternde Vorgänger und Genossen. Er vertieft sich in antiquarische Geschichte, indem er alles Vergangene durchwandert! wie die Stätte seines eignen Vorlebens, – wie Jemand, der die Stätte seiner eignen Kindheit betritt, an welcher ihm auch das Geringste werthvoll und bedeutsam erscheint: – » – er versteht die Mauer, das gethürmte Thor, die Rathsverordnung, das Volksfest wie ein ausgemaltes Tagebuch seiner Jugend und findet sich selbst in diesem Allen, seine Kraft, seinen Fleiss, seine Lust, sein Urtheil, seine Thorheit und Unart wieder. Hier Hess es sich leben, sagt er sich, denn es lässt sich leben, hier wird es sich leben lassen, denn wir sind zäh und nicht über Nacht umzubrechen. So blickt er, mit diesem »Wir«, über das vergängliche wunderliche Einzelleben hinweg und fühlt sich selbst als den Haus-, Geschlechts- und Stadtgeist« (28). Er wird endlich drittens auch kritisch auf die Geschichte blicken, um zum Aufbau einer Zukunft eine Vergangenheit umzubrechen, und hierzu bedarf er der grössten Lebenskraft, denn grösser als die Gefahr, ein Schwärmer oder ein Sammler zu werden, ist die, ein Verneinender zu bleiben. »Es ist immer ein gefährlicher, nämlich für das Leben selbst gefährlicher Process:… Denn da wir nun einmal die Resultate früherer Geschlechter sind… ist (es) nicht möglich sich ganz von dieser Kette zu lösen… Wir bringen es im besten Falle zu einem Widerstreite der ererbten, angestammten Natur und unserer Erkenntniss… wir pflanzen eine neue Gewöhnung, einen neuen Instinct, eine zweite Natur an, so dass die erste Natur abdorrt. Es ist ein Versuch, sich gleichsam a posteriori eine Vergangenheit zu geben, aus der man stammen möchte, im Gegensatz zu der, aus der man stammt… Aber hier und da gelingt der Sieg doch, und es gibt … einen merkwürdigen Trost: nämlich zu wissen, dass auch jene erste Natur irgend wann einmal eine zweite Natur war und dass jede siegende zweite Natur zu einer ersten wird« (33 f.). – Man kann diese drei Betrachtungsweisen der Historie in gewissem Sinne auf drei Perioden von Nietzsches eigener Entwicklung anwenden, indem man mit der antiquarischen, die dem Philologen zukommt, den Anfang macht, darauf die monumentale Auffassung folgen lässt, die ihn veranlasst, als Jünger zu Füssen grosser Meister zu sitzen, und endlich seine spätere positivistische Periode als die kritische bezeichnet. Nachdem aber Nietzsche auch diese letztere überwunden hatte, verschmolzen ihm alle drei Standpunkte zu einem einzigen, auf dem, wie sich zeigen wird, die in dieser Schrift enthaltenen Gedanken in geheimnissvoller und ergreifender Weise wiederkehren sollten, in der extremen und paradoxen Zuspitzung des Satzes: das Historische sei unterthan dem individuellen Leben, dessen ständige Bedingung das Unhistorische ist. – Die starke Natur, die er als zugleich historisch und unhistorisch beschreibt, ist somit ein Erbe aller Vergangenheit und dadurch ungeheuer in der Fülle des Erlebens, aber ein Erbe, der seinen Reichthum wahrhaft fruchtbar zu machen weiss, weil er ihn wahrhaft besitzt, über ihn gebietet, – nicht von ihm besessen und beherrscht wird. Ein solcher Erbe und Spätling ist dann immer zugleich der Erstling einer neuen Cultur und, als Träger der Vergangenheit, ein Gestalter der Zukunft: der Reichthum, den er ausstreut, trägt noch den künftigen Zeiten Früchte. Er ist einer von den grossen »Unzeitgemässen«, welche in die fernste Vergangenheit niedertauchen, in die fernste Zukunft hinausweisen, in ihrer Zeit aber immer als Fremdlinge dastehen, obgleich in ihnen die Gegenwart ihre höchste Kraft sammelt und ausgibt.

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