Название: Compliance-Handbuch Kartellrecht
Автор: Jörg-Martin Schultze
Издательство: Bookwire
Серия: Recht Wirtschaft Steuern - Handbuch
isbn: 9783800594146
isbn:
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Das Bundeskartellamt nimmt auch bei der Sanktionierung vertikaler Kartellrechtsverstöße eine Rolle ein, mit der das Amt durchaus als Vorreiter im europäischen Kontext gelten kann. Im Fokus der Verfolgungspraxis steht dabei die direkte wie indirekte Preisbindung des Handels.65 Regelmäßig spielen in der Verfolgungspraxis des Bundeskartellamts auch kartellrechtswidrige Vereinbarungen eine Rolle, mit denen Hersteller günstige Preise von Online-Händlern zu unterbinden suchen. Bußgelder für den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung waren in der Fallpraxis des Bundeskartellamtes bislang seltener, können in ihrer Höhe aber ebenso substanziell ausfallen.66
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Mit der 10. GWB-Novelle sind Compliance-Programme erstmals als bußgeldmildernder Faktor in das Gesetz aufgenommen worden. Im Rahmen der in § 81d Abs. 1 S. 2 Nr. 4 und Nr. 5 GWB verankerten Compliance-Defense können nun vor und nach der Zuwiderhandlung getroffene Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Zuwiderhandlungen bei der Festsetzung der Geldbuße zugunsten der Unternehmen berücksichtigt werden.67
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Zuvor waren Compliance-Programme schon im Kontext von Submissionsabsprachen relevant: Hier ist der Nachweis eines Compliance-Programms in Form von konkreten „technische[n], organisatorische[n] und personelle[n] Maßnahmen“ gesetzlich verankerte Voraussetzung der Selbstreinigung, um gemäß § 125 GWB eine vorzeitige Löschung des Unternehmens aus dem Wettbewerbsregister zu erwirken und so sicherzustellen, dass es wieder bei Vergabeverfahren berücksichtigt werden kann.68 Auch in den Reformüberlegungen zum Verbandssanktionenrecht wurden Compliance-Programme erwähnt.69
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Das Bundeskartellamt verhängt wegen Kartellrechtsverstößen auch Bußgelder gegen bestimmte für das Unternehmen handelnde Mitarbeiter. Dies ist ein wichtiger Unterschied zum Verfahren der Kommission, das sich nur gegen Unternehmen richtet. Anders als das reine Verwaltungsverfahren der Kommission richtet sich das Bußgeldverfahren nach dem GWB nach OWiG und StPO und geht somit stets von der Haftung des Individuums aus. Die Unternehmensmitarbeiter sind im deutschen Bußgeldverfahren die handelnden Verletzer, die Unternehmen dagegen nur Nebenbetroffene, denen das Verhalten bestimmter Mitarbeiter zugerechnet wird.
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Im Hinblick auf die bußgeldpflichtigen Personen nach dem deutschen GWB sind insoweit drei Gruppen von Unternehmensmitarbeitern zu unterscheiden:70
– Zum einen die unmittelbar handelnden Mitarbeiter, die selbst „Unternehmenseigenschaft“ haben71 oder denen die Unternehmenseigenschaft nach § 9 OWiG zugerechnet wird, weil sie gesetzlicher Vertreter eines Unternehmens sind und/oder für dieses eigene Aufgaben mit Leitungsfunktion wahrnehmen (z.B. Leiter der Rechtsabteilung, Leiter der Vertriebsabteilung etc.);
– sodann beteiligte Mitarbeiter, die eine Person mit Unternehmenseigenschaft oder zugerechneter Unternehmenseigenschaft mit einer physischen oder psychischen Beihilfehandlung im Sinne des § 14 OWiG unterstützen (z.B. die Sekretärin eines Vorstandsmitglieds, die dieses bei der Organisation des Kartells unterstützt);
– und schließlich aufsichtspflichtige Mitarbeiter nach § 130 OWiG, für den Fall, dass ein Unternehmensmitarbeiter, der selbst nicht bußgeldpflichtig ist, einen Kartellverstoß begeht, den die aufsichtspflichtige Person vorsätzlich oder fahrlässig nicht verhindert hat.
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Das Bundeskartellamt muss zwar für jeden Einzelfall und für jedes beteiligte Unternehmen die internen Verantwortlichkeiten feststellen.72 In der Praxis kommt es allerdings nicht vor, dass das Bundeskartellamt bei der Suche nach einem verantwortlichen Unternehmensmitarbeiter nicht „fündig“ wird. Dies gilt, obwohl das Organisationsverschulden gegenüber dem täterschaftlichen Handlungsverschulden subsidiär ist.
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Der maximale Bußgeldrahmen für Bußgelder gegen natürliche Personen beträgt gemäß § 81c Abs. 1 GWB EUR 1 Mio. Der Bußgeldrahmen halbiert sich jeweils im Falle fahrlässigen Verhaltens (§ 17 Abs. 2, § 30 Abs. 2 OWiG).
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Auch die Bußgelder des Bundeskartellamts sind steuerlich nicht als Betriebsausgaben abzugsfähig.73 Sie spielen zudem keine Rolle im Zusammenhang mit Schadensersatzforderungen, etwa indem sie auf diese angerechnet würden oder eine Bußgeldfreiheit – etwa im Rahmen eines Kronzeugenantrags – das Unternehmen von einer Schadensersatzpflicht befreien würde.74
2. Strafrechtssanktionen gegen Mitarbeiter
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Ein Verstoß gegen das europäische Kartellrecht ist keine Straftat.75
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Auch nach dem deutschen GWB sind Kartellrechtsverstöße Ordnungswidrigkeiten, jedoch keine Straftaten. Dies gilt mit einer Ausnahme, nämlich für wettbewerbswidrige Abreden im Zusammenhang mit Ausschreibungen. Der bereits 1997 in das deutsche StGB eingeführte Sondertatbestand der Submissionsabsprache nach § 298 StGB sieht vor, dass sich strafbar macht, wer bei einer Ausschreibung über Waren oder gewerbliche Leistungen ein Angebot abgibt, das auf einer Absprache beruht, die den Ausschreibenden zur Annahme eines bestimmten Angebots veranlassen soll. Ein Verstoß kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit Geldbuße geahndet werden.76 Anders als die Kartellrechtsverstöße nach dem GWB kann ein Verstoß gegen § 298 StGB nur vorsätzlich erfolgen. Er kann nur durch eine natürliche Person, nicht dagegen durch ein Unternehmen begangen werden; diese werden wegen Verstoßes gegen das Kartellverbot bebußt.77 Der kürzlich gescheiterte Regierungsentwurf des Verbandssanktionengesetzes sah auch die Möglichkeit vor, ein Unternehmen wegen eines Verstoßes gegen § 298 StGB „strafrechtlich“ zur Verantwortung zu ziehen.78 Im Zusammenhang mit der Verwirklichung des § 298 StGB stellt sich zudem die Frage, ob auch der § 263 StGB in Form des Ausschreibungsbetrugs verletzt ist. Anders als die Verwirklichung des § 298 StGB, der als abstraktes Gefährdungsdelikt konzipiert ist, setzt dies jedoch voraus, dass ein Vermögensschaden nachweisbar ist.79
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Informationen zu konkreten Rechtsfolgen bei Submissionsabsprachen sind wegen ihrer uneinheitlichen statistischen Erfassung sporadisch.80 Die Rechtsfolgen selbst können dabei durchaus drastisch sein: So wurde im Jahr 2006 einer der Beteiligten im Fernwärmerohr-Kartell zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten sowie einer Gesamtgeldstrafe von EUR 100.000 verurteilt.81
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Seit Februar 2012 hat das Bundeskartellamt einen fortwährenden Austausch mit den Staatsanwaltschaften ins Leben gerufen, um dafür zu sorgen, dass die Behörden effektiver zusammenarbeiten. Kartellrechtswidrige Absprachen im Zusammenhang mit Ausschreibungen werden vom Bundeskartellamt automatisch an die zuständige Staatsanwaltschaft gemeldet. Diese verfolgt dann die handelnden Individualpersonen, während das Bundeskartellamt gemäß § 82 GWB für die Verfolgung und Ahndung der juristischen Person, sprich des Unternehmens zuständig bleibt, sofern das Bundeskartellamt gemäß § 82 S. 2 GWB das Verfahren nicht insgesamt an die Staatsanwaltschaft abgibt.
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Diese ausschließliche Zuständigkeit der Kartellbehörden zur Bebußung des Unternehmens wegen Verstoßes gegen das Kartellrecht sollte durch das geplante, jedoch vorerst gescheiterte Gesetzesvorhaben СКАЧАТЬ