Werthers Leiden. Emil Horowitz
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Название: Werthers Leiden

Автор: Emil Horowitz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783748563303

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СКАЧАТЬ kleinen Kabinett, das sein Lieblingsplatz war und jetzt der meine ist, habe ich die eine oder andere Stunde verbracht und im Gedenken an den Verstorbenen auch die eine oder andere Träne vergossen. Bald wird es mein Garten sein, mit dem Gärtner verstehe ich mich gut, und auch er hat es mit mir wohl nicht schlecht getroffen.

      10. Mai

      Wie ein frischer Frühlingsmorgen hat eine wunderbare Heiterkeit meine Seele erfüllt. Ich genieße das Gefühl aus vollem Herzen, bin ganz für mich, voller Lebensfreude angesichts einer Gegend, die für Menschen wie mich wie geschaffen ist. Ich bin glücklich, alter Freund, so glücklich und versunken im Gefühl einer friedlichen Existenz, dass meine Kunst darunter leidet. Keinen Strich könnte ich jetzt zu Papier bringen, und gleichzeitig war ich nie ein größerer Maler als gerade jetzt! Ich empfinde die Nähe des Schöpfers, der mich nach seinem Bild schuf, in allem um mich herum: im dunstigen Tal, der hoch stehenden Sonne über der undurchdringlichen Finsternis des Waldes, meines Waldes, in dessen Innerstes sich nur vereinzelte Sonnenstrahlen stehlen. Ich liege im hohen Gras am dahinfließenden Bach, staune über die Vielfalt an Gräsern und die kleine Welt zwischen den Halmen, die unergründliche Vielfalt an Würmern und Mücken. Das alles, mein Freund, erwärmt mein Herz, so wie die ewige Freude des liebenden Gottes, der uns alle erhält. Wenn dann vor meinen Augen die Dämmerung anbricht, ruhen Welt und Himmel in mir wie die Gestalt einer Geliebten. Dann erfüllt mich Sehnsucht, und ich denke: Ich möchte das ausdrücken können, dem Papier anvertrauen, was so voll und warm in mir lebt, es wäre der Spiegel meiner Seele, und meine Seele wäre der Spiegel des unendlichen Schöpfers! Aber, Freund, ich gehe daran zugrunde, ich werde zum Opfer der Gewalt, die von dieser Herrlichkeit ausgeht.

      Vielleicht schweben ja täuschende Geister über der Gegend und machen alles umher so paradiesisch. Oder es ist die warme und himmlische Phantasie in meinem Inneren. Gleich vor dem Ort gibt es diesen Brunnen, an den ich gefesselt bin wie Melusine und ihre Schwestern. Man geht einen kleinen Hügel hinunter und steht vor einem Gewölbe. Etwa zwanzig Stufen hinab quillt klarstes Wasser aus Marmorfelsen. Oben eine kleine Mauer als Einfassung, hohe Bäume, die den umgebenden Platz beschatten, die Kühle des Orts – das alles hat etwas Anzügliches, Schauerliches an sich. Jeden Tag sitze ich eine Stunde lang da. Mädchen kommen aus der Stadt und holen Wasser, eine harmlose und notwendige Angelegenheit, wie sie früher selbst die Töchter der Könige verrichteten. Wenn ich da sitze, lebt die patriarchalische Welt lebhaft um mich auf, Vorfahren, die am Brunnen Bekanntschaften machen und Mädchen umwerben, und wohltätige Geister, die um die Brunnen und Quellen schweben. Jeder, der sich jemals nach einer erschöpfenden Sommertagswanderung an der Kühle eines Brunnens erfrischt hat, weiß, was ich empfinde.

      13. Mai

      Ob du mir meine Bücher schicken sollst? Lass mich bloß in Frieden damit, alter Freund! Ich habe genug davon, angeleitet zu werden, und ermuntert, und angefeuert. Mein Herz lodert ohnehin schon genug aus sich heraus. Was ich jetzt brauche, ist ein sanftes Lied zur Nacht, und davon finde ich noch und noch in meinem Homer. Wieder und wieder bringe ich damit mein hochkochendes Blut zur Ruhe, es gibt wohl kein Herz, das sich so sprunghaft, so unstet gibt wie das meine, Kamerad. Aber wem sage ich das! Schließlich hast du oft genug meine Metamorphosen gesehen: von Kummer zur Ausschweifung, von süßer Melancholie zur Verderben bringenden Leidenschaft. Ich behandle mein Herz wie ein krankes Kind, dem alles erlaubt ist. Behalte das für dich, es gibt Leute, die es mir übel nehmen würden.

      15. Mai

      Die einfacheren Leute im Ort kennen mich schon. Sie lieben mich, besonders die Kinder. Doch auch eine traurige Erfahrung habe ich gemacht. Als ich mich anfangs unter sie mischte, Gespräche über dies und das mit ihnen begann, glaubten einige, ich wolle mich über sie lustig machen, und fertigten mich recht grob ab. Ich ließ mich nicht entmutigen, aber ich spürte lebhaft, was ich schon oft bemerkt hatte: Menschen von höherem Stand halten immer kalte Distanz zum normalen Volk, als fürchteten sie Nachteile aus einer Annäherung. Schlimmer noch sind Flüchtlinge und üble Spaßvögel, die sich scheinbar herablassen, nur um in ihrem Übermut den einfachen Leuten umso übler mitzuspielen.

      Ja, ich weiß, wir sind nicht gleich, können es nicht sein. Doch ich vertrete die Meinung, dass derjenige, der glaubt, sich über den so genannten Pöbel erheben zu müssen, zu tadeln ist wie ein Feigling, der sich vor seinem Feind verbirgt, weil er eine Niederlage fürchtet.

      Letztens kam ich zum Brunnen und fand ein junges Dienstmädchen vor. Ihr Gefäß hatte sie auf die unterste Treppenstufe gestellt und sah sich um, ob keine Kameradin zu sehen sei, die ihr dabei helfen könnte, das Gefäß auf den Kopf zu heben. Ich stieg hinunter und sah sie an. „Soll ich Ihnen helfen, mein Fräulein?“, sagte ich.

      Sie errötete über und über. „O nein, mein Herr“, sagte sie.

      „Es macht keine Umstände“, erwiderte ich. Sie legte ihren Kopfreifen zurecht und ich half ihr. Sie dankte und stieg hinauf.

      17. Mai

      Ich habe eine Reihe von Bekanntschaften gemacht, eine nähere Beziehung hat sich noch nicht eingestellt. Es scheint, als wirke ich besonders anziehend auf meine jeweilige Umgebung, so viele mögen mich und suchen meine Gesellschaft. Umso schmerzhafter empfinde ich, dass der gemeinsame Weg dann nur kurz ist. Wenn du mich fragst, wie die Menschen hier sind: wie überall. Irgendwie ist Monotonie das wesentliche Kennzeichen der Menschheit. Die meisten verwenden den größten Teil ihrer Zeit für die grundsätzlichen Anforderungen des Lebens, und das Wenige, das ihnen an Freiheit bleibt, versetzt sie in derartige Angst, dass sie es mit allen Mitteln los werden wollen. Das soll die Bestimmung des Menschen sein?

      Aber es sind gute Leute. Manchmal, wenn ich mich vergesse und mit ihnen die Freuden teile, die sie noch haben, am gut gedeckten Tisch in aller Unbefangenheit herumzualbern beispielsweise, eine Spazierfahrt, ein guter Tanz zur rechten Zeit und was nicht noch alles, tut mir das recht gut – zumindest, so lange ich mir nicht bewusst mache, dass so viele andere Kräfte in mir ruhen, die veröden, wenn sie nicht genutzt werden, und die ich sorgfältig verbergen muss. Das ist beklemmend, aber andererseits: Missverstanden zu werden, ist wohl das Schicksal von Menschen wie mir.

      Und nun wieder die Erinnerung an die Liebe meiner Jugend, an das Privileg, sie gekannt zu haben! Ich könnte mir sagen, dass ich ein Dummkopf bin, auf der Suche nach dem Unerreichbaren. Aber ich hatte es ja gefunden! Ich hatte das Herz gefühlt, die Größe einer Seele, in deren Dunstkreis ich mehr zu sein schien als ich war, denn ich war alles, was ich sein konnte. O Gott, keine Energiefaser meiner Seele blieb ungenutzt! In ihrer Anwesenheit konnte ich das unerhörte, wundervolle Gefühl entwickeln, das die Natur in mir erblühen lässt. Unsere Beziehung war ein ständiges Arbeiten an einem Gewebe aus Feinfühligkeit und dem scharfsinnigen Witz, den wir bis ins Abartige steigerten, und dem dennoch der Hauch des Genies anhaftete. Es ist schwer, daran zu denken. Die Jahre, die sie mir voraus hatte, die sie vor mir ins Grab brachten ... Sie wird immer in mir leben. Ihre Unerschütterlichkeit und ihre gottgleiche Duldsamkeit werde ich nie vergessen.

      Vor einigen Tagen lief mir der junge V. über den Weg, ein offenherziger Junge mit einem mehr als erfreulichen Aussehen. Frisch von den Akademien abgegangen, hält er sich zwar nicht für weise, sein Wissen aber doch für überdurchschnittlich. Er war wohl auch ziemlich fleißig, wie man an den unterschiedlichsten Anzeichen erkennen kann. Mit einem Wort: Seine Kenntnisse sind nicht zu verachten. Als er hörte, dass ich viel zeichne und Griechisch kann (hierzulande zwei Attraktionen), suchte er meine Gesellschaft und schüttete sein Wissen aus, von Batteux bis zu Wood, von de Piles bis zu Winckelmann. Es verkündete, dass er Sulzers Theorie – den ersten Teil – ganz durchgelesen habe und ein Manuskript von Heynen über das Studium der Antike besitze. Ich nahm das alles hin.

      Noch einen wackeren Zeitgenossen habe ich kennen gelernt: den fürstlichen Amtmann, einen offenen, treuherzigen Menschen. Die Leute sagen, es sei eine reine СКАЧАТЬ