Stieg Larsson lebt!. Didier Desmerveilles
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Название: Stieg Larsson lebt!

Автор: Didier Desmerveilles

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Die Legende lebt

isbn: 9783748593003

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СКАЧАТЬ zehn. Er fühlte sich hintergangen, verraten, im Stich gelassen.

      Aber seine Freundschaft zu Hasso und Kirri war ihm zu wertvoll, um sie ihnen aus Anlass dieses kleinen Skandals aufzukündigen. Er konnte nicht alles hinschmeißen, nicht einfach über Bord werfen, was sie verband. Schließlich lag er weiterhin mit ihnen auf einer Stube, da war ein Dauerstreit wenig dienlich. Und wen hatte er auch sonst? Seine Freunde waren seine Familie. Doch wenn sie auch Freunde blieben, nie mehr erschienen Kirri und vor allem Hasso ihm in jenem makellosen, fast verklärenden Licht der Vergangenheit. Immer sah er an ihnen das breite Grinsen über Achims fade Witze und das blöde Entsetzen über seinen Wutanfall, sah in ihnen die Dissidenten, die Ketzer. Nie vergaß er, mit wem er es zu tun hatte, und es verging kein Tag, an dem er nicht heimlich verächtliche Blicke auf die in Sünde Gefallenen warf. Niemanden aber schmerzten diese Blicke mehr als Tim selbst. Insgeheim hoffte er auf eine Wiederherstellung des Status quo, des Alten. Aus seiner Bibellektüre wusste er: Jeder Mensch, der in Sünde fällt, hat zu jeder Zeit auch die Möglichkeit zur Buße und Umkehr, solange noch nicht der endgültige Tod eingetreten ist. Aber das war ihre Sache. Damals im Bellini hatte er das Wesentliche gesagt – und in welcher Deutlichkeit! Den Rest mussten sie selbst herausfinden. Sie mussten jetzt von sich aus die Wahl treffen, was sie wollten: Bündnistreue oder Verrat. Für Tim gab es da keine Wahl. Und dass es verführerische Mächte waren, die einen zum Verräter machten, ließ er nicht als Einwand gelten.

      Seine stillen Hoffnungen erfüllten sich nicht. Im Gegenteil: Wie ein Geschwür setzte sich fest und breitete sich in der nächsten Zeit aus, woran Tim Anstoß nahm und was seine Freunde ihm entfremdete, ein Geschwür, gegen das ihre Freundschaft keine Abwehrkräfte entwickelte. Wie Aussätzige kamen sie Tim vor. Doch normalerweise bilden die Aussätzigen eine Minderheit. In der von ihm mit Sorge beobachteten Lage aber war er die Minderheit. Er hatte nicht glauben wollen, was er im letzten Schuljahr in Biologie über Verhaltensänderungen während der so genannten Pubertät gelernt hatte. Die Lehrerin hatte ihm weismachen wollen, plötzlich kämen neue Interessen auf und neue Kontakte und Freundschaften entstünden auf Kosten der alten. Auf ihn selbst, Hasso und Kirri übertragen, war ihm das absurd und absolut lachhaft vorgekommen – nun nicht mehr. Und dafür machte Tim ausschließlich den Verhaltens- und Interessenwandel der anderen verantwortlich. Sich selbst sah er dagegen als konstante Größe. Ihn konnte kein Vorwurf treffen. Er hatte nichts von dem verraten und verkauft, was ihm stets wert und wichtig gewesen war.

      Es war eine alte Tradition, dass Hasso und Tim von Zeit zu Zeit zusammen ins Kino gingen. Kirri war nur selten dabei. Das lange Stillsitzen behagte ihm nicht sonderlich. Das kleine Savoy-Kino unten in der Stadt zeigte einmal in der Woche einen Klassiker der Filmgeschichte. Und darunter waren einige Streifen, die sie auf schwer erklärliche Weise ansprachen: Meisterwerke des Melodrams wie Die Reise nach Palermo oder Die alles begehren, große Epen wie Doktor Schiwago oder aus der Art geschlagene Western wie Spiel mir das Lied vom Tod. Sie liebten beide Teile des Paten und litten mit Robert De Niro und Meryl Streep in Die durch die Hölle gehen. Filme waren das, die das »gewisse Etwas« hatten, das gar nicht genauer definiert werden musste. Sie beide wussten auch so, was es war: ein gewisser Anspruch, eine eigentümliche Atmosphäre, ein Inhalt oder eine Erzählweise, die innerlich bewegten, etwas in ihnen zum Klingen brachten oder doch wenigstens zum Nachdenken anregten. Ein richtig guter Film war auf alle Fälle nur einer, der ihnen auch am nächsten Tag noch im Kopf herumging, da waren sie sich einig. Manchmal diskutierte Tim mit Hasso tagelang über bestimmte Szenen eines Films, ihre Bildsprache und Wirkung. Es waren anregende, wertvolle Gespräche. Natürlich gab es auch mal ein Werk dazwischen – vielleicht eines, zu dem Kirri sie überredet hatte –, das nicht das gewisse Etwas besaß, wobei einschränkend zu sagen ist, dass nicht jeder Actionfilm, jenes Genre, das Kirri, weil er sämtliche Stunts »ächt ärre« fand, bevorzugte, für sie gleich ein schlechter Film war. Doch dass Hasso zunehmend auf Kirris Geschmack bei der Auswahl eines Films einschwenkte, war damit allein nicht zu erklären. Vielmehr schien es, dass Hasso an den intensiven Gesprächen von früher nicht mehr interessiert und dass ihm die Art Filme, deren sie gemeinsam schon so viele gesehen hatten, langweilig geworden war. Sie kamen zuletzt einfach auf keinen gemeinsamen Nenner mehr. Tim schlug irgendeinen Film vor, der seiner Ansicht nach das gewisse Etwas hatte, aber Hasso wollte »zur Abwechslung« mal was »mit Action« oder was »zum Ablachen«, und Kirris Meinung stand sowieso von vornherein fest. »Man muss doch nicht andauernd diese langen, epischen Dinger sehen«, verteidigte Hasso seinen Standpunkt.

      »Damit hattest du doch sonst auch keine Probleme!«

      »Timmi, nerv nicht, lass uns diesmal was leicht Verdauliches gucken, o.k.? Einfach nur so zum Spaß, zur Unterhaltung und Entspannung, ohne intellektuellen Tiefgang«, gab sich Hasso konziliant.

      »Genau, den mit Bud Spencer!«, rief Kirri.

      »Nächstes Mal sehn wir dann wieder einen von deinen Filmen.«

      Aber Bud Spencer, Chuck Norris und James Bond, das war einfach nichts für Tim, wenn er sich auch noch so sehr um Kompromiss­bereitschaft bemühte. Und was hieß überhaupt seine Filme? Waren es früher nicht ihre Filme gewesen? Jetzt auf einmal zog Hasso eine radikale Trennlinie und stellte sich demonstrativ auf die andere Seite von ihr. Er machte sich stark für Filme, deren Inszenierungen aufdringlich waren, klischeehaft die Figuren, inhaltslos und vorhersehbar die Plots. Tim fand sie schlicht erbärmlich, und er fühlte sich jedes Mal um Geld und Zeit betrogen, wenn er endlich das Kino wieder verlassen konnte. »Die Zeit«, ärgerte er sich, »hätte ich auch billiger verplempern können als mit diesem schwachsinnigen Film.« Und das war nach seinem Empfinden noch ein mildes Urteil. Dabei gab es doch auch Filme, die alle drei mochten, Italowestern etwa wie Zwei glorreiche Halunken. Den hatten sie einst gemeinsam in einem Kieler Programmkino gesehen. Warum wählten sie nicht so etwas aus?

      Hasso und Kirri reagierten mit Unverständnis. »Wieso, der war doch total geil, ächt ärre«, meinte Kirri. Und Hasso kritisierte Tims Einstellung: »Mensch, Timmi, du und deine kulturellen Eliteansprüche! Man kann sich doch auch einfach mal zurücklehnen und berieseln lassen.«

      Aber dazu war Tim sein Taschengeld zu schade. Als Hasso und Kirri es auf die Spitze trieben und dazu übergingen, Filme nach dem Aussehen der Hauptdarstellerin auszuwählen, riss sein Geduldsfaden ein für allemal, und so saß er bald allein in seinen Filmen. Der letzte Film, den sie gemeinsam zu dritt sahen, hieß The Wanderers und war ihm von Hasso und Kirri als atmosphärisch dichte, sozialkritische Milieustudie angepriesen worden. Er ließ sich überzeugen, glaubte ernsthaft, dass sie endlich wieder auf derselben Wellenlänge funkten, und verließ nach einer halben Stunde, einen wütenden Fluch ausstoßend, den Kinosaal während einer Szene, in der die Hauptfiguren des Films, pubertierende Pickel­gesichter in Rocker­klamotten, ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgingen: Busengrapschen auf offener Straße.

      »Der schlechteste Film, den ich je gesehen hab'«, urteilte Tim auch später noch erbarmungslos, doch er stieß damit ebenso auf taube Ohren wie mit seiner Begeisterung für Filme, die seinen »Eliteansprüchen« genügten. Er schwärmte von Die Dinge des Lebens mit Romy Schneider und schwor seinen Freunden, da hätten sie wirklich etwas verpasst. Doch noch ehe er drei Sätze über den Film verloren hatte, die ihm unter den Nägeln brannten, wechselte Hasso abrupt das Thema und fing an, mit Kirri über neue Automodelle zu reden. In den Osterferien jenes Jahres der Veränderungen lief Der große Gatsby im Fernsehen. Als Robert Redford alias Gatsby auf seiner Luftmatratze im Swimmingpool so von Kugeln durchlöchert wurde, dass sich das Wasser ringsum in Sekundenschnelle dunkelrot färbte, verspürte Tim einen Stich in der Herzgegend, als hätte ihn selbst eine der tödlichen Kugeln getroffen, und Tränen der Wut und des Schmerzes traten ihm in die Augen. Wochen später, als die Ferien vorbei waren – aber das Bild des sterbenden Robert Redford ging ihm immer noch nach –, wollte er sich mit seinem Freund Hasso darüber austauschen. »Ach, ich erinner' mich«, erwiderte der kurz angebunden, »das war der Film mit diesem reichen Typen, der dauernd Partys schmeißt. War 'n bisschen langatmig inszeniert, oder? Die ganze Zeit nur Feten mit dieser Dudelmusik aus СКАЧАТЬ