Название: Xiao Yang will es wissen
Автор: Lene Levi
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738071894
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Lin klopfte sich den Schneematsch von den Stiefelsohlen, der sich zwischen den Profilrillen festgesetzt hatte. „Wollen wir nicht reingehen?“
„Wo steckt eigentlich dein Vater und wo bleibt Robert?“, fragte Lee.
„Die kommen gleich, müssen nur noch kurz was erledigen“, sagte Lin. Sie öffnete die Restauranttür und trat ein. Xiao und Lee folgten ihr.
„Ich soll dir und Onkel Hong natürlich auch von meinen Eltern die herzlichsten Grüße ausrichten“, sagte Xiao. „Es geht ihnen beiden gut.“
„Oh, vielen Dank“, sagte Lee höflich.
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zum Gastraum und Hong Quan steckte vorsichtig seinen runden Kopf durch den Türspalt. „Na, das ist ja eine Überraschung“, sagte er zu Xiao. „Ich wusste gar nicht, dass es in China solche gut aussehenden Mädchen gibt.“ Er zog an einer Leine einen großen Hund hinter sich her. Kurz darauf folgte auch Robert.
„Bist du nun auf den Hund gekommen?“, fragte Lee lächelnd.
„Könnte man so sagen“, antworte Hong grinsend. „Das ist unser Weihnachtsgeschenk von Robert und Lin.“
Lee zuckte leicht zusammen. Sie konnte ihren Schreck nicht ganz verbergen und rang mit sich. Wim kratzte sich unterdessen mit der linken Hinterpfote am Halsband, da er es auf diese Weise abzustreifen versuchte.
„Weißt du, Mama“, begann Lin, zaghaft zu erklären. „Wim ist ein belgischer Schäferhund und so was wie ein Findelkind. Robert und ich haben uns jedenfalls gedacht, nachdem ihr vor einiger Zeit diesen Ärger mit den Schutzgelderpressern hattet, wäre doch ein Hund im Restaurant eine wirksame Abschreckung gegen weitere unliebsame Besucher. Diese Leute werden es gewiss ein zweites Mal versuchen und wiederkommen. Auch Robert ist der Meinung, das …“
„Das ist doch nicht euer Ernst, oder?“
„Sieh mal, Lee“, begann Hong, gut gelaunt zu erklären. „Das hier ist ein echter Wachhund. Er passt richtig auf uns auf, und nicht so, wie die albernen Fu-Hunde, wie wir sie vorm Eingang aufgestellt haben.“
Robert wandte sich an Mutter Lee: „Wovon spricht Hong eigentlich?“
Lee sah Hilfe suchend zu ihrer Tochter, doch Lin hatte seine Frage gar nicht gehört.
„Was Fu-Hunde sind?“ Xiao sprang sofort in die Bresche und lieferte eine Erklärung. „Das sind fabelhafte Kreuzungen aus Löwen und Drachen und sie werden häufig paarweise vor Eingangstüren oder vor Spiegeln aufgestellt. Man entdeckt sie manchmal auch vor chinesischen Tempeln oder wichtigen Gebäuden.“
„Auch vor Spielcasinos, Parteizentralen oder Luxushotels?“, fragte Robert in lässiger Lakonie.
„Ja, selbstverständlich auch dort.“ Ein zufriedenes, süffisantes Lächeln breitete sich über ihr glänzendes Gesicht aus. „Aber das ist natürlich alles nur ein chinesischer Aberglaube.“
„Sag mal, warum wohnst du eigentlich in diesem teuren Hotel in Bad Zwischenahn?“, fragte Hong seelenruhig. „Du hättest doch ebenso bei uns Quartier beziehen können. Wir haben genügend Platz, seit Lin ausgezogen ist.“
„Sprach Lin nicht vorhin davon, dass euer Lokal von Gangstern bedroht wird, die von euch Schutzgeld verlangen?“ Xiao runzelte die Stirn und überlegte kurz. „Nein, vielen Dank für eure Gastfreundschaft. Aber ich fühle mich im Hotel sicherer. Dort gibt es immerhin einen privaten Sicherheitsdienst. Das Management lässt nachts sogar die Security-Leute in den Fluren patrouillieren.“
„Security?“ wunderte sich Robert. Er hatte bisher nichts von einem Verbrechen oder derartigen Problemen im Casino Royal gehört. „Das ist wirklich seltsam.“
„Ich weiß gar nicht, Tante Lee, was du gegen diesen niedlichen Hund einzuwenden hast. Er sieht doch drollig aus, nicht wahr?“
„Ja, aber …“ Lee wusste wirklich nicht, wie sie reagieren sollte.
„Robert hat Wim vor ein paar Wochen mit nach Hause gebracht“, sagte Lin vorsichtig, „da seine bisherigen Besitzer …“
„Schon gut“, unterbrach sie Lee und winkte ab. „Xiao hat recht. Das mit den Fu-Hunden ist nur eine alte Tradition.“ Sie wandte sich wieder an ihre Nichte. „Ich bin jedenfalls überglücklich, dass du uns mit deinem Besuch beehrst - aber es macht mich ebenso glücklich, euch alle bei bester Gesundheit zu sehen.“ Sie stöhnte kurz auf und runzelte die Stirn. „Bei allem, was wir so über die schrecklichen Ereignisse aus der Zeitung erfahren haben …“ Sie ließ den Satz schwebend in der Luft hängen. Da Lin aber nicht auf ihre Andeutung einging, machte Lee einen Schritt auf Robert zu und umarmte ihn. „Danke für das vierbeinige Geschenk.“
„Ich wünsche euch allen jedenfalls flölische Weihnachten“, rief Hong bestens gelaunt.
„Bitte dlei Losinenblödchen?“, sagte Lin und blickte dabei ihren Vater mild lächelnd an. „So hört es sich an, wenn du beim Bäcker drei Rosinenbrötchen bestellst.“
Robert grinste und nickte zustimmend, da Hong, seiner Meinung nach, die angespannte Situation auf seine ganz ureigene Art entschärft hatte.
Lee und Hong hatten in einer Ecke des Gastraums einen immergrünen Weihnachtsbaum aufgestellt, der vor lauter aufblinkenden Lichterketten nur so strotze. Die eigentliche Dekoration des Plastikbaums bestand hauptsächlich aus bunten Glaskugeln und Lametta, war aber zusätzlich auch noch mit allerlei Drachengirlanden und chinesischen Lampions garniert. Beide hatten sich die allergrößte Mühe gegeben, dem familiären Weihnachtstreffen eine besondere Note zu schenken.
Nach dem Festtagsessen trug der Hausherr eine Schale mit selbst gebackenen Glückskeksen in den Gastraum. Er stellte sie in die Mitte des runden Tisches und sagte zu Robert: „Normalerweise werden Glückskekse ja traditionell zum chinesischen Neujahrsfest gebacken, aber ihre Geschichte ist interessant. Sie reicht bis ins 13. Jahrhundert zurück, als die Mongolen China besetzt hielten. Um sich von der Fremdherrschaft zu befreien, wurde damals heimlich ein Aufstand vorbereitet. Doch wie informierte man ein ganzes Volk, ohne dabei die Aufmerksamkeit des Usurpators zu erregen?“ Hong blickte freudestrahlend in die Runde. „Das war die Geburtsstunde der mit geheimen Botschaften versehenen Glückskekse.“
„Dann waren diese Dinger ja so was Ähnliches, wie eine frühe Form unserer heutigen Sozialen Netzwerke“, sagte Robert.
„Nein, nein, mein Lieber, es waren eher Kassiber“, erklärte Hong. Er nahm einen der Kekse in die Hand und betrachtete ihn aufmerksam von allen Seiten. „Mithilfe solcher Dinger konnten die unterjochten Chinesen sowohl den Zeitpunkt für konspirative Zusammenkünfte, sowie auch geheime Befreiungspläne unbemerkt verbreiten.“
Hong nahm die Schale und reichte sie seiner Frau. Lee wählte bedächtig einen der Kekse, nahm ihn aus der Schale, hielt ihn unter ihre Nase, schnupperte neugierig daran, und brach ihn schließlich entzwei. Sie zog ein kleines Zettelchen hervor, begann die darauf geschriebene Botschaft laut vorzulesen:
„Wenn Ameisen und Frauen in Eile sind, droht immer ein Erdbeben.“
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