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Regierung da sind oder als Privathelferinnen, die es ehrlich und gut mit ihnen meinen.« Ihre ursprüngliche Gesichtsfarbe kehrte wieder in Tinas Gesicht zurück, nachdem sie ihren Durst mit einer halben Flasche Wasser runtergespült hatte. »Es ist schon tragisch, wie hilflos man diesem Elend trotz tagelanger Vorbereitung gegenübersteht«, dachte sie bei sich, während sie weiterdiskutierten, wie ihre Mission nun weitergehen sollte. Deshalb war sie umso erstaunter, dass sie sich mit ihrem Vorschlag durchsetzte. Und so besorgten die vier eine weitere Ladung Wasserflaschen und Eisportionen und gingen diesmal damit direkt zu ihrem pflasternen Fussballfeld. Tati rief aus, dass diese Ware ˃our hard practicing football pros˂ vorbehalten sei und war überglücklich, dass ihre allererste englische Ansage gut ankam. Sie teilten die Ware unter den beiden Mannschaften gerecht auf und waren froh, dass es diesmal auf Anhieb für alle reichte. Die Sonne brannte weiterhin unbarmherzig auf ihr pflasternes Fussballfeld und sie kamen mit den Fussballspielern ins Gespräch. Einer von ihnen, der von seinen Mannschaftskollegen nur Captain genannt wurde, stellte sich als Halim Hemidi aus Damaskus vor. Während er seine Flucht nach Europa schilderte, war es Tati, die seine Mannschaftskollegen und die Spieler der gegnerischen Mannschaft beobachtete. Bis jetzt hatte ihr Tina übersetzt, dass Halim Hemidi und seine Freunde gegen eine zusammengewürfelte Truppe von Syrern, die hauptsächlich aus Aleppo stammten, spielten. Ihr kam es vor, dass dieser Halim von einem seiner Gegner mit einem hasserfüllten, vernichtenden Blick traktiert wurde und sich dabei hundeelend fühlte. Dass es sich dabei um genau dasselbe Szenario handelte, wie es Tina an diesem Tag bereits gesehen hatte, wusste sie natürlich nicht. Elisabeth schaffte es sogar, den Anführer der Mannschaft aus Aleppo ausfindig zu machen und ihm aufzutragen, die ersten fünf Wettbewerbsumschlägen unter seinen Mannschaftskollegen zu verteilen. Halim Hemidi verteilte die zweiten fünf davon im Auftrag von Kirsten. Die Syrer überliessen den Platz wieder den Äthiopiern, Eritreern und den Somalis, um ihre Wettbewerbsaufsätze zu schreiben. Um die ausgefüllten A4-Blätter gleich wieder einzusammeln, einzuscannen und dem Übersetzungsbüro mailen zu können, warteten die vier gleich vor Ort. Kirsten wies sie nochmals darauf hin, dass die sechs besten Aufsätze von ihnen mit einem Bewerbungs- und Deutschkurs belohnt werden: Der Hinweis, wonach die drei besten Aufsätze von Frauen und die drei besten Aufsätze von Männern belohnt würden, also beide Geschlechter berücksichtigt würden, sei aufgrund der hiesigen Situation hinfällig: Bevor sich Tina mit ihrem Vorschlag, sich auf die Fussballspieler zu beschränken, durchsetzte, hatten sie, Elisabeth und Kirsten unabhängig voneinander festgestellt, dass die Frauen in erster Linie an die Betreuung ihrer Kinder und nicht an den nächsten Karrieresprung auf Deutsch dachten. »Wenn das unsere Freundinnen erfahren, reissen sie uns die Köpfe ab«, seufzte Elisabeth. »Wenn mir gestern jemand gesagt hätte, dass ich mich jemals zu einer solchen Diskriminierung hinreissen lasse, hätte ich ihn geohrfeigt!« - »Das ist eben genau der Punkt, über den wir gestern Abend noch stundenlang diskutiert haben«, versuchte Tati zu trösten. »Wir können hier nicht allen edlen Auswahlprinzipien gleichzeitig gerecht werden- sonst sind die ersten hier verhungert oder verdurstet, bis wir die gerechteste Auswahl unter ihnen getroffen haben. Was wir hier machen, ist ein riesiger Tropfen auf den heissen Stein, auf den wir stolz sein können, finde ich.« Die Wartezeit war äusserst aufschlussreich fürs Zufluchtsoasenteam: Die vier stellten fest, dass sich nicht jeder dieser auserkorenen fussballbegeisterten Glücksritter dazu motivieren konnte, einen solchen Aufsatz zu schreiben: Dass sich die zehn untereinander ausmachten, welche sechs erfolgreich beim Wettbewerb teilnehmen und welche vier es bereits zum vornherein bleiben lassen sollen, konnten sie nachvollziehen. Aber dass gleich zwei von ihnen den Umschlag dankend aufrissen und in die nächste Mülltonne schmissen, nachdem sie den Getreideriegel rausgeholt hatten, frustrierte sie schon. »Wenn ich mich so aufgeführt hätte, hätte man mir wohlmöglich eine geknallt«, flüsterte Tati, worauf Tina verständnisvoll kicherte. Elisabeth und Kirsten waren dieses Mal gerade fürs Team einkaufen gegangen und die beiden anderen waren heilfroh, dass sie dieses nicht mit ansehen mussten. Ein anderer fing zwar mit schreiben an, stellte dann aber fest, dass sein Kumpel dieselbe Idee hatte und viel schneller fertig war als er. Und so entsorgte auch er den ganzen Umschlaginhalt bis auf den Getreideriegel, den er jedoch für später aufbewahrte. »Das wäre bei uns damals in der Schule im Kampf um Stipendien oder im Turnverein nicht anders gewesen«, meinte Elisabeth, als sie dieses zwei weitere Male beobachtete. »Unter Gleichgesinnten gibt es eben auch viele ähnliche, bis identische Zukunftspläne.« Tina und Tati tauschten einen verzweifelten, fragenden Blick, als nur noch die beiden Fussballmannschaftsanführer, Captain Halim Hemidi und Captain Jussuf Al Zeno, ihre Wettbewerbsaufsätze abgaben. Die vier waren sich einig, dass der Abgabe- und der Rangverkündigungstermin hinfällig geworden waren. Um die Selfmadesieger noch etwas besser kennen zu lernen, luden sie die beiden zu einer Sightseeing-Touritour und zum anschliessenden Pizzaessen ins Restaurant in ihrem Hotel ein. Über die Tatsache, dass dies dieselben potenziellen Streithähne waren, die sich am selben Tag auf dem Spielfeld die wütendsten Blicke zuwarfen, schwiegen sich Tati und Tina jedoch aus. Dafür schilderten Halim und Jussuf umso lebhafter ihre Flucht übers Mittelmeer: Halim wurde von der deutschen Marine aufgegriffen, nachdem das Schlepperboot gekentert und er schätzungsweise vierundzwanzig Stunden lang im Meer herumgetrieben war. Seine Schwimmweste habe er zuvor einem Kind gegeben, das trotzdem von einer besonders starken Strömung weggetrieben und wie die meisten anderen Passagiere ertrunken war. Um Kräfte zu sparen, habe er sich in den ersten Stunden darauf konzentriert, ganz flach und ruhig mit dem Rücken auf dem Meer zu liegen und den Himmel zu beobachten. Irgendwann habe er einfach begonnen, in Richtung Europa zu schwimmen und dabei gebetet, dass ihn ein Rettungsboot der europäischen Küstenwache finden und retten würde. Er danke Allah, seinem Gott noch heute dafür, dass er seine Gebete erhörte und er zusammen mit ein paar anderen, gerettet und ins Krankenhaus gebracht wurde. »Woher kennt ihr beide euch? Seid ihr schon zusammen in die Schule gegangen?«, wollte Tati wissen und liess sich diese Frage von Tina auf Englisch übersetzen. Die beiden schienen sich auf Arabisch zu beraten, wobei Jussuf in einer Tour grinste und Halims Gesicht immer ernster wurde. Kirsten meinte, dass es absolut okay ist, wenn sie nicht alles erzählen wollten und wechselte gekonnt das Thema.
Halim stand auf, um auf Toilette zu gehen, worauf ihm Jussuf folgte. »Ich weiss gar nicht, was die Nazis immer zu motzen haben«, witzelte Tati »sie sind über den Westen schon so gut informiert, dass sie wie zwei beste Freundinnen zu zweit aufs Klo gehen.« Während die Ladies über dieses Seitengespräch rätselten, lief es zwischen den beiden Herren weniger zivilisiert ab: Halim packte Jussuf am T-Shirt und drückte ihn gegen die Wand: »Hör zu Freundchen«, meinte er sinngemäss auf Arabisch »Nur weil du besser Fussball spielst und schöner grinsen kannst als ich, heisst das nicht, dass ich mit dir zu tun haben will, klar?« Er liess ihn selbstverständlich los, als ein anderer den Raum betrat. Man hätte die Spannung zwischen ihnen schneiden können. Jussuf verschränkte grinsend die Arme vor der Brust und setzte die Unterhaltung auf Arabisch fort: »Glaub mir, Halim. Ich freue mich genauso wenig über unsere Wiedersehen wie du. Aber was willst du dagegen machen? Hier befiehlt nicht mehr deinesgleichen. Drum werden wir uns irgendwann im Knast ganz schrecklich liebhaben müssen.« Er duckte sich vor seinem Fausthieb. Als die beiden Streithähne im Korb wieder bei ihren Ladies am Tisch Platz nahmen und weiterhin auf beste Kumpels machten, war Jussuf daran, seine Geschichte zu erzählen: Er sei mit einem alten Bekannten dermassen aneinander geraten, dass er von diesem gepackt und über Bord geworfen wurde, bei seinem ersten Fluchtversuch. Immerhin sei das Schlepperboot noch nicht allzu weit vom Startufer gewesen und er sei wieder zurückgeschwommen. Seinen zweiten Fluchtversuch habe er mit selbstgefälschtem Falschgeld bezahlt, das er in seiner früheren Unterkunft zusammen mit seinen Freunden fabriziert hatte. Seine Freunde hätten ihm erzählt, dass ihre Falschgeldfabrik einen Tag später zerbombt wurde, nachdem ihm die Flucht geglückt sei. Daher sei er wohl der einzige glückliche von ihnen, der sich den Traum vom besseren Leben in Europa erfüllen könne. Wenn nicht gerade Krieg sei, sei er ein absolut anständiger Mensch und würde niemals Geld fälschen, oder sonstige Verbrechen begehen, begann er sich zu rechtfertigen. Aber wenn plötzlich Freunde und Brüder spurlos verschwinden, nur weil dem Regime ihre Meinung nicht passe, dann sei es Zeit zu gehen. Er sei es schliesslich nicht gewesen, der diesen Bürgerkrieg angezettelt habe. Er kam aus dem breiten Grinsen nicht mehr heraus, als er diesen letzten Satz aussprach.
Am Ende dieses aufregenden Tages versprachen sie den beiden, dass sie sie übermorgen in aller Früh, auf ihrem pflasternen Fussballplatz,
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