Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriss dargestellt. Rudolf Steiner
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СКАЧАТЬ Mendelssohn zurück.

      Herder brauchte nicht davor zurückzuscheuen, weil er die Gedankenlinien im Weltenbild des Spinoza übermalte mit den gehaltvollen Vorstellungen, welche ihm die Betrachtung des Natur- und Geistesbildes ergab. Er hätte bei Spinozas Gedanken nicht stehenbleiben können. So wie sie von ihrem Urheber gegeben waren, wären sie ihm zu grau in grau gemalt erschienen. Er betrachtete, was in der Natur und Geschichte sich abspielt und stellte das Menschenwesen in diese Betrachtung hinein. Und was sich ihm so offenbarte, das ergab ihm einen Zusammenhang des Menschenwesens mit dem göttlichen Urgrund der Welt und mit der Welt selber, durch den er sich in der Gesinnung mit Spinoza einig fühlte.

      Herder war unmittelbar davon überzeugt, dass die Beobachtung der Natur und der geschichtlichen Entwicklung ein Weltbild ergeben muss, durch das der Mensch seine Stellung im Weltganzen befriedigend empfindet. Spinoza meinte zu einem solchen Weltbild nur in der lichten Sphäre der Gedankenarbeit zu kommen, die nach dem Muster der Mathematik verrichtet wird. Vergleicht man Herder mit Spinoza und bedenkt man dabei die Zustimmung des ersteren zu der Gesinnung des letzteren, so muss man anerkennen, dass in der neueren Weltanschauungsentwicklung ein Impuls wirkt, der sich hinter dem verbirgt, was als Weltanschauungsbilder zum Vorschein kommt. Es ist das Streben nach einem Erheben dessen in der Seele, was das Selbstbewusstsein an die Gesamtheit der Weltvorgänge bindet. Man will ein Weltbild gewinnen, in dem die Welt so erscheint, dass der Mensch sich in ihr erkennen kann wie er sich erkennen muss, wenn er die innere Stimme seiner selbstbewussten Seele zu sich sprechen lässt.

      Spinoza will den Drang eines solchen Erlebens dadurch befriedigen, dass er die Gedankenkraft ihre eigene Gewissheit entfalten lässt; Leibniz betrachtet die Seele und will die Welt so vorstellen, wie sie vorgestellt werden muss, wenn die richtig vorgestellte Seele in das Weltbild richtig hineingestellt sich zeigen soll.

      Herder beobachtet die Weltvorgänge und ist von vornherein überzeugt, dass im menschlichen Gemüte das rechte Weltbild auftaucht, wenn dieses Gemüt sich mit aller seiner Kraft gesund diesen Vorgängen gegenüberstellt. Was Goethe später sagte, dass alles Faktische schon Theorie sei, das steht für Herder unbedingt fest. Er ist auch von Leibnizschen Gedankenkreisen angeregt; doch hätte er es nimmermehr vermocht, erst nach einer Idee des Selbstbewusstseins in der Monade theoretisch zu suchen und dann mit dieser Idee ein Weltbild zu erbauen. Die Seelenentwicklung der Menschheit stellt sich in Herder so dar, dass durch ihn besonders deutlich auf den ihr zugrundeliegenden Impuls in der neueren Zeit hingewiesen wird. Was in Griechenland als Gedanke (Idee) gleich einer Wahrnehmung behandelt worden ist, wird als Selbsterlebnis der Seele gefühlt. Und der Denker steht der Frage gegenüber: Wie muss ich in die Tiefen der Seele dringen so, dass ich erreiche den Zusammenhang der Seele mit dem Weltgrunde und mein Gedanke zugleich der Ausdruck der weltschöpferischen Kräfte ist? Das Aufklärungszeitalter, das man im achtzehnten Jahrhundert sieht, glaubte noch in dem Gedanken selbst seine Rechtfertigung zu finden.

      Herder wächst über diesen Gesichtspunkt hinaus. Er sucht nicht den Punkt in der Seele, wo diese denkt, sondern den lebendigen Quell, wo der Gedanke aus dem der Seele einwohnenden Schöpferprinzipe hervorquillt. Damit steht Herder dem nahe, was man das geheimnisvolle Erlebnis der Seele mit dem Gedanken nennen kann. Eine Weltanschauung muss sich in Gedanken aussprechen. Doch gibt der Gedanke der Seele die Kraft, welche sie durch eine Weltanschauung im neueren Zeitalter sucht, nur dann, wenn sie den Gedanken in seiner seelischen Entstehung erlebt. Ist der Gedanke geboren, ist er zum philosophischen System geworden, dann hat er bereits seine Zauberkraft über die Seele verloren. Damit hängt zusammen, warum der Gedanke, warum das philosophische Weltbild so oft unterschätzt wird. Das geschieht durch alle diejenigen, welche nur den Gedanken kennen, der ihnen von außen zugemutet wird, an den sie glauben, zu dem sie sich bekennen sollen. Die wirkliche Kraft des Gedankens kennt nur derjenige, der ihn bei seiner Entstehung erlebt.

      Wie in der neueren Zeit dieser Impuls in den Seelen lebt, das tritt hervor an einer bedeutungsvollen Gestalt der Weltanschauungsgeschichte, an Shaftesbury (1671 bis 1713). Für ihn lebt ein »innerer Sinn« in der Seele; durch diesen dringen die Ideen, welche der Inhalt der Weltanschauung werden, in den Menschen, wie durch die äußeren Sinne die äußeren Wahrnehmungen dringen. Nicht im Gedanken selbst also sucht Shaftesbury dessen Rechtfertigung, sondern durch den Hinweis auf eine Seelentatsache, welche dem Gedanken aus dem Weltengrund heraus den Eintritt in die Seele ermöglicht. So steht für ihn eine zweifache Außenwelt dem Menschen gegenüber: die »äußere« materielle Außenwelt, die durch die »äußeren« Sinne in die Seele eintritt, und die geistige Außenwelt, welche durch den »inneren Sinn« dem Menschen sich offenbart. Es lebt in diesem Zeitalter der Drang, die Seele kennenzulernen. Denn man will wissen, wie in ihrer Natur das Wesen einer Weltansicht verankert ist. Man sieht ein solches Streben in Nikolaus Tetens (gest. 1807). Er kam bei seinen Forschungen über die Seele zu einer Unterscheidung der Seelenfähigkeiten, welche gegenwärtig in das allgemeine Bewusstsein übergegangen ist: Denken, Fühlen und Wollen. Vorher unterschied man nur das Denk- und das Begehrungsvermögen.

      Wie die Geister des achtzehnten Jahrhunderts die Seele zu belauschen suchten da, wo sie an ihrem Weltenbild schaffend wirkt, das zeigt sich zum Beispiel an Hemsterhuis (1721-1790). An ihm, den Herder für einen der größten Denker nach Plato angesehen hat, zeigt sich anschaulich das Ringen des achtzehnten Jahrhunderts mit dem Seelenimpuls der neueren Zeit. Man wird etwa Hemsterhuis‹ Gedanken treffen, wenn man folgendes ausspricht: Könnte die Menschenseele durch ihre eigene Kraft, ohne äußere Sinne, die Welt betrachten, so läge vor ihr ausgebreitet das Bild der Welt in einem einzigen Augenblicke. Die Seele wäre also dann unendlich im Unendlichen. Hätte die Seele keine Möglichkeit, in sich zu leben, sondern wäre sie nur auf die äußeren Sinne angewiesen, so wäre vor ihr in endloser zeitlicher Ausbreitung die Welt. Die Seele lebte dann, ihrer selbst nicht bewusst, im Meer der sinnlichen Grenzenlosigkeit. Zwischen diesen beiden Polen, die nirgends wirklich sind, sondern wie zwei Möglichkeiten das Seelenleben begrenzen, lebt die Seele wirklich: sie durchdringt ihre Unendlichkeit mit der Grenzenlosigkeit.

      An einigen Denkerpersönlichkeiten wurde hier versucht, darzustellen, wie der Seelenimpuls der neueren Zeit im achtzehnten Jahrhundert durch die Weltanschauungsentwicklung strömt. In dieser Strömung leben die Keime, aus denen für diese Entwicklung das »Zeitalter Kants und Goethes« hervorgegangen ist.

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