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eines U-Bootes in dieser Hinsicht einiges gewohnt, aber dieser übelriechende Brodem verursachte ihm Übelkeit. Einige der Leute hatten ihre Ausscheidungsorgane unter dem schrecklich nervenzermürbenden Luftangriff wohl nicht mehr unter Kontrolle halten können und dünsteten jetzt – für sie sicher sehr beschämend – einen sie zusätzlich noch erniedrigenden Gestank aus. Haberkorn hatte selbst erlebt wie belastend es war, unter dem Krachen der Wasserbomben den Schließmuskel panisch zusammenzukneifen, um sich nicht in die Hosen zu machen. Neben der Todesangst kam auch noch die Befürchtung dazu, sich einzuscheißen und dann mit stinkenden Sachen auf seinem Posten ausharren zu müssen. In so einem Fall hätte er ja nicht in aller Ruhe auf die Toilette gehen, sich säubern und gemütlich die Klamotten wechseln können. Der langsam nachlassende Schock wandelte sich jetzt bei ihm in zunehmende Wut. Diese feigen Schweine dachte er aufs äußerste aufgebracht, bringen die Leute aus sicherer Höhe von ihren Mühlen aus um und geben ihnen nicht einmal die Chance, wegen der total erschütternden Momente eines Angriffes ihre Würde zu bewahren. So wie im Boot den Wasserbomben, war er im Keller dem Bombardement wehrlos ausgesetzt gewesen. Wenn sie von Zerstörern gejagt wurden war das eine verständliche Reaktion des Gegners, denn meistens waren die Bote ja vorher zum Schuss gekommen, hatten Schiffe torpediert und dabei auch Leute der Besatzung getötet. So gesehen ging es tatsächlich um Vergeltung für Opfer und Verluste, aber auf Zivilisten bezogen erschien ihm das nicht zutreffend. Allerdings musste er sich auch eingestehen, dass die Zivilbevölkerung mit die Grundlagen für die Durchführung eines Krieges legte, denn diese Menschen hielten die Militärmaschinerie durch ihre Arbeit in den Rüstungsfabriken, in der Verwaltung, im Transportwesen und an allen möglichen Stellen der Versorgung mit Gütern jeglicher Art überhaupt am Laufen. Sie kämpften zwar nicht, aber sie machten die Waffengänge durch ihre Arbeit erst möglich. Ob der Angriff auf das Wohngebiet Zufall oder Kalkül gewesen war konnte Haberkorn nicht richtig einschätzen, aber er vermutete, dass es keine falschen Zielmarkierungen gegeben hatte, sondern die Bombardierung dieses Gebietes mit voller Absicht erfolgt war. Eigentlich war eine solche Vorgehensweise logisch, denn zerbombte Industrieanlagen oder Bahnstrecken ließen sich - zwar mit hohem Aufwand – allerdings wieder aufbauen, getötete Männer und Frauen waren nicht so einfach zu ersetzen. Dass auch Kinder zu den Opfern gehörten spielte in dieser Zeit, in der täglich tausende Menschen durch den Krieg starben, keine große Rolle mehr, und moralische Maßstäbe waren ohnehin schon lange außer Kraft gesetzt. Diese Unerbittlichkeit des Vernichtungswillens war bei allen kriegsführenden Seiten stark ausgeprägt, und vor allem die zähe Standhaftigkeit und die große Entschlossenheit der Russen und Briten hatten den Deutschen klar gemacht, dass die Zeiten der kurzen Feldzüge lange vorbei waren. Jetzt würde es auf einen langen Atem ankommen und das hieß konkret, die Truppen durch ständigen Ausgleich der personellen Verluste auf voller Kampfstärke zu halten und die zerstörte Technik schnellstens zu ersetzen, und vor allem neue und wirksamere Waffen zu produzieren und den Einheiten zuzuführen. Martin Haberkorn war Realist genug, ohne dass er einen größeren Überblick hatte oder gar Details kannte, einzuschätzen, dass Deutschland in diesem Wettlauf kaum noch lange mithalten konnte. Er sah doch selbst, dass seine Unternehmungen mit dem Boot immer mehr zu einem reinen Glücksspiel wurden, und dass es nur noch mit dem allergrößtem Können und der langen Erfahrung der Besatzung möglich war, überhaupt noch in den Hafen zurückzukehren, in den allermeisten Fällen zudem noch ohne Erfolg. Während er sich selbst für sehr gut ausgebildet hielt, verfügten die neuen Besatzungen zwar über die entsprechenden Kenntnisse und hatten diese an der AGRU-Front durch Übungen verfestigt, aber das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese durch die Bank weg blutjungen Männer keinerlei Fronterfahrung mitbrachten. Wo sich ein durch die vorangegangenen Einsätze hart geschulter Kommandant auf seine eingespielte Besatzung verlassen konnte, und die Männer auf den vielen Reisen vor allem aus den Erlebnissen heraus ein eigenständiges Handeln entwickelt hatten, mussten sich die noch unerfahrenen U-Boot-Männer schon bei ihrem ersten Einsatz einem gnadenlos zuschlagenden Feind stellen. Nicht nur die fehlende und fast automatisierte Routine bestimmter Abläufe beherrschten sie noch nicht, sie konnten auch den technischen Rückstand ihrer Tauchboote kaum richtig einschätzen. Insbesondere die zunehmende Luftbedrohung war vielen der erstmals auslaufenden Boote zum Verhängnis geworden, denn das Wegtauchen wurde jetzt mehr noch als früher in Sekunden gemessen, und zwei oder drei konnten schon entscheidend sein. Während es den kampferfahrenen Besatzungen meistens noch gelang sich der Gefahr zu entziehen, wurden die neuen Boote erbarmungslos auf den Meeresboden gebombt.
Haberkorn und der Obersteuermann waren von den Leuten der Aufnahmestelle registriert worden, und da sie nicht zu den nun Wohnungslosen zählten sondern in einer militärischen Einrichtung untergebracht waren und keine medizinische Behandlung benötigten, konnten sie den Ort verlassen.
„Wir sind schon zwei schmucke Krieger, so wie wir jetzt aussehen“ sagte Haberkorn gequält und recht hilflos zum Obersteuermann, als sie den bombardierten Bereich in Richtung Stadtzentrum verließen, „da werden sich die Frauen die Köpfe ja nach uns verdrehen. Wie kommen wir jetzt weg hier?“
„Wir müssen noch eine intakte Straßenbahn- oder Buslinie finden, dann müssen wir uns eben so gut es geht durchschlagen.“
Die beiden Männer fanden nach einiger Zeit nah beim Zentrum in Veddel eine Busverbindung, die sie nach Finkenwerder bringen würde. Ihr kleines Barackenlager lag günstig in Neuenvelde, so dass sie sonst üblicherweise ohne großen Zeitaufwand zur Werft kamen. Heute waren sie aber schon einige Stunden überfällig und wurden mit Erleichterung von den anderen Männern begrüßt. Haberkorns Kommandant konnte sich allerdings einige markige Bemerkungen nicht ersparen.
„Diese Banditen haben 14 Flugzeuge eingebüßt, hat der Reichsrundfunk vorhin gerade gemeldet. Das wird ihnen wohl eine Lehre sein. Unsere Luftverteidigung hat diesen Verbrechern damit schon mal ordentlich die Flügel gestutzt. Und auch wir werden ihre Schiffe bald kräftig zur Ader lassen. Aber, LI, Obersteuermann, Sie sollten sich erst einmal wieder in Ordnung bringen. Bei allem Verständnis für Ihre Situation, aber ein deutscher Marineoffizier hat auch immer noch seine Vorbildwirkung für die Mannschaften und die Bevölkerung zu erfüllen, natürlich besonders in Bezug auf die Anzugsordnung. Wie wurde bei uns auf der Seefahrtsschule gesagt? Manneszucht betrifft nicht nur Mut im Kampf oder im Dienst, sondern auch im makellosen persönlichen Auftreten. Also, LI, wir sehen uns dann zum Abendbrot in der Messe. Da werden sicher ein paar Bierchen auf Ihr Glück fällig werden.“
Martin Haberkorn hatte sich nach dem Duschen auf sein Bett in der kleinen Stube der Baracke gelegt und versucht seine Gedanken zu sortieren. Er war knapp davongekommen aber wusste auch, dass ihn die Stunden zwischen Hoffnung und Verzweifeln noch lange beschäftigen würden. Da er sich vom Abendbrot in der Messe nicht drücken konnte musste er wohl oder übel in frischem Wichs dort erscheinen und unerschütterlichen Siegeswillen demonstrieren. Der Kommandant stand vor der Übernahme seines ersten Kommandos in dieser Funktion und Haberkorn erkannte durchaus an, dass der Mann als Wachoffizier schon einige Reisen hinter sich gebracht hatte und damit kein absoluter Neuling mehr war, aber ob er den jetzigen Anforderungen an die Führung eines Bootes gerecht werden könnte, war noch nicht erwiesen. Leider würde ihm und den anderen Männern der Besatzung nicht wie zu Beginn des Krieges die Möglichkeit gegeben werden, in ihre Aufgaben bei einer noch schwachen Abwehr hineinzuwachsen und ihre Unerfahrenheit gegenüber einem unorganisierten Gegner nicht so deutlich werden zu lassen.
Die mittlerweile bestens eingespielten Hunter-Groups des Feindes ließen einen Fehler einer neuen Besatzung nur einmal zu, und das konnte schon bei der ersten Reise das letzte Mal gewesen sein.