Der Diktator oder Mr. Parham wird allmächtig (Roman). H. G. Wells
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Название: Der Diktator oder Mr. Parham wird allmächtig (Roman)

Автор: H. G. Wells

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783746744445

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СКАЧАТЬ war da mit der unbezähmbaren Kraft, die Negermusikanten eigen ist, immer noch unermüdlich an der Arbeit. Ein großes Kopfweh, kreisrund und aus Erz, diente ihr als Podium. Schlafen war unter diesen Umständen unmöglich, etwas zu lesen verspürte Mr. Parham auch keine Lust. Also wollte er ganz still im Dunklen liegen bleiben – oder richtiger gesagt, im schwachen Licht der beginnenden Morgendämmerung – und sich den Gedanken hingeben, die die Musik in ihm wachrief.

      Es war ein dummer Abend gewesen.

      Oh! Ein dummer Abend!

      Mr. Parham fand, daß er seine Zeit besser hätte nutzen können, hohlen Vergnügungen nachgegangen sei, einen Mangel an Folgerichtigkeit und Selbstbeherrschung an den Tag gelegt habe.

      Diese Gaby Greuze – sie hatte sich über ihn lustig gemacht. Jedenfalls hätte sie sich über ihn lustig machen können. Hatte sie sich tatsächlich über ihn lustig gemacht?

      Das Orchester in seinem Schädel beschwor die Erinnerung an die Gestalt des Sir Bussy herauf, wie er einsam und schutzlos dastand und zu den Klängen der üppigen subtropischen Musik den Kopf wiegte. Niedergeschlagen und gelangweilt hatte er in dem Augenblicke geschienen. Man hätte sich da ganz leicht an ihn heranmachen und ihn fangen können. Mr. Parham hätte zu ihm hingehen und leise, aber deutlich irgend etwas Gewichtiges zu ihm sagen können.

      »Vanitas vanitatum«, hätte er zum Beispiel sagen können und da man nie weiß, auf wie viel Unwissenheit man bei diesen neuen Männern stoßen mag, hätte sofort taktvoll die Übersetzung des Wortes hinzugefügt werden müssen: »Eitelkeit der Eitelkeiten.«

      Und warum? Weil er keine Vergangenheit habe. Weil er den Zusammenhang mit der Vergangenheit verloren habe. Ein Mann ohne Vergangenheit habe auch keine Zukunft. Und so weiter und so fort, auf den vorwärts gerichteten Blick hinsteuernd – und auf die einflußreiche Wochenzeitschrift.

      Doch anstatt solches gerade heraus und deutlich Sir Bussy selbst zu sagen, war Mr. Parham umhergewandert und hatte es Gaby Greuze gesagt, Lady Glassglade, diesem und jenem Unbekannten, allen möglichen Leuten der alten Ordnung. »Ich bin nicht an rasches Handeln gewöhnt«, stöhnte Mr. Parham. »Ich gehe nicht geradewegs aufs Ziel los. Ich lasse die Gelegenheit ungenützt verstreichen.«

      Eine Weile lag er und brütete darüber, ob es nicht für alle Gelehrten, alle Denker gut wäre, wenn man sie zwänge, mindestens einmal am Tage irgend einen bestimmten Entschluß zu fassen. Dann würden sie an Willenskraft gewinnen. Aber – würden sie nicht an Schärfe des Denkens verlieren? An Feinheit des Geistes?

      Bald war seine Phantasie wieder bei einem Gespräche mit Sir Bussy angelangt.

      »Sie dünkt diese Art zu leben vergnüglich«, legte er sich zurecht. »Das ist ein Irrtum. Solch ein Leben ist nichts. Ist weniger als nichts. Sinnlose Üppigkeit ist es.«

      »Üppigkeit.« Ein gutes Wort. Das gegenwärtige Zeitalter war eines der Üppigkeit. Wenn man eine Parallele suchte, las man am besten Petronius. Als Rom noch die ganze Welt unterjochen wollte. Das war auch ein Zeitalter der Üppigkeit gewesen. Da hastete jeder von einem hohlen Vergnügen zum andern. Altehrwürdige Bräuche wurden aus reiner Neuerungssucht fallen gelassen. Diese lächerlichen kleinen Hüte zum Beispiel, die man jetzt abends anstelle des stattlichen Klapphutes von seinerzeit trug. (Wenn man es recht überlegte, lohnte es sich kaum, wegen des verlorenen altmodischen Klapphutes an das Hotel Savoy zu schreiben. Er mußte sich ja doch solch ein albernes, modernes Hütchen anschaffen.) Keinerlei Rangunterschiede. Überall größte Zwanglosigkeit. Herzoginnen, Gräfinnen, Diplomaten, gesuchte Ärzte unterhalten sich fröhlich mit hübschen Choristinnen, dunklen Abenteurerinnen, Künstlern, Geschäftsleuten, Schauspielern, Kinostars, Negersängern, Casanovas und Cagliostros – ja, haben geradezu Freude an solchem Umgang. Keine Ordnung, kein Sinn für die jedem zugewiesene Aufgabe. Einem Burschen wie diesem Sir Bussy sollte man sagen: »Durch eine seltsame Laune des Zufalls bist du zu Macht gelangt. Doch hüte dich vor einer Macht, die nicht an die Tradition anknüpft und sie weiter entwickelt. Gedenke der ernsten großen Gestalten der Vergangenheit, als da sind Caesar, Karl der Große, Johann d’Arc, Königin Elisabeth, Richelieu (Sie sollten mein kleines Buch über Richelieu lesen), Napoleon, Washington, Garibaldi, Lincoln, William Gladstone; gedenke der Könige, Priester und Propheten, Staatsmänner und Denker, aller derer, die die Völker groß gemacht haben. Gedenke der wachsenden Zielbewußtheit, des steten Vorwärtsstrebens. Gedenke der Erzengel im Glanz ihrer Rüstung, der symbolischen Bedeutung ihrer schönen, ernsten Gesichter. Denk an die Bestimmung unseres Imperiums! Die Bestimmung Frankreichs! Unsere glorreiche Flotte! Unsere schlachterprobten Flaggen! Das Schwert der Macht ist nun in deiner Hand! Willst du damit nichts anderes tun als zahllose Sandwiches für ein Souper schneiden?«

      Aufs neue sprach Mr. Parham inmitten der Nacht mit lauter Stimme. »Nein!« sagte er.

      Er erinnerte sich plötzlich an den Champagner.

      Üppigkeit war wirklich ein sehr gutes Wort. Eine stattliche Reihe schärfster Artikel gegen die modernen Tendenzen würde sich unter diesem allgemeinen Titel zusammenfassen lassen, wenn man nur eine Wochenzeitschrift sein eigen nennte!

      Widerwärtig, daß diese mit Musikklängen vermischten Kopfschmerzen nicht besser werden wollten. Immerfort hörte er das verflixte Gedudel … Welche Unmengen von Champagner da getrunken worden waren! Üppigkeit.

      Er malte sich ein Bild aus: Seine eigene Person, die Sir Bussy nahezu feierlich ein kleines Buch überreicht. »Hier«, sagte er dazu, »ist ein Buch, das Sie zum Nachdenken anregen wird. Ich weiß, es wäre zu viel verlangt, wenn ich Sie bäte, es ganz durchzulesen, so kurz es auch ist; aber lesen Sie wenigstens den Titel: Die unsterbliche Vergangenheit. Sagt Ihnen nicht der schon allerlei?«

      Er sah sich ernst dastehen, während Sir Bussy mit bedrückter Miene an ihm vorbeizugelangen strebte.

      In dem Begriff Üppigkeit ist auch der Hinweis auf ein Gutteil ungebrochener ursprünglicher Kraft enthalten. Tief unter all dieser bunten Nichtigkeit, dem leichtsinnigen Getriebe, unter Champagnergelagen und Jazztanz, unter diesen Festen, auf denen miteinander unvereinbare soziale Elemente sich sorglos zusammenfanden, lag der ewig beständige Kern des menschlichen Daseins verborgen, lagen harte Arbeit, Zielbewußtheit, Rangunterschiede, Loyalität, notwendiger Zwang. An der Oberfläche mochte ein Fragonard mit einem Schuß Negerblut als wahrer Lebenskünstler erscheinen, in der Tiefe aber arbeiteten ernste Geister an der Gestaltung einer großen Zukunft. Regierungen und auswärtige Ämter waren ja immer noch am Werk; Soldaten sammelten sich in den Kasernen, und große Kriegsschiffe pflügten unbarmherzig die vergeblich gegen sie anstürmenden Wogen. Religionslehrer predigten immer noch Treue und Gehorsam; Kaufleute schickten ihre Handelsschiffe über das Meer und in den Fabriken brauten sich soziale Kämpfe zusammen. Dieser Winter mochte ernste wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen. »Das grimmige Gespenst der Not.« Sir Bussy lebte in einer erträumten Welt des ununterbrochenen Genießens. Doch alle Träume nehmen einmal ein Ende.

      Es war, als ob der Geist der Hebräischen Propheten in Mr. Parham gefahren sei. Er sah sich auf dem Wege nach einer Kapelle, in der sich die Angehörigen irgend einer dunklen Sekte versammelten, Männer mit strengen, ernsten Gesichtern. Einer nach dem anderen kamen sie in die düstere Seitenstraße, in der die Kapelle lag, während hoch über dem unscheinbaren Gebäude der feurig rote Planet Mars den Himmel regierte. Die Musikkapelle in seinem schmerzenden Kopf spielte immer wildere, immer drohendere Weisen.

      »Wahrhaftig«, flüsterte er. »Seid reuig … Ja.

      Die heiligen Kräfte des Lebens sammeln sich unbemerkt, aber sicher, sie bereiten sich, die Posaunen zu blasen, wenn die Zeit gekommen ist, bereiten sich, die hohle Welt zu neuen Taten und großen Entschlüssen anzuspornen, sie werden die Fahne entfalten, sie werden die Seelen der Menschen erheben und prüfen, werden ihnen Opfer und Leiden auferlegen, СКАЧАТЬ