Название: Erwachen
Автор: Andreas Nass
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Krisheena — Tor zum Abyss
isbn: 9783742796394
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Schwärze umgab mich. Schmerz durchdrang mich. Ich trieb im Nichts.
Vereinzelt zeigten sich Sterne. Sie bildeten ein Firmament, in dem das Gestirn des Arkanen Triumvirats hell aufleuchtete. Der Stern des Chaosmagiers strahlte am stärksten. Im nächsten Moment pressten sich Lippen auf meine Lippen. Sie waren sanft und weich, ihre Berührung zärtlich. Ein Kuss, dem ich mich ganz hingab, und der so zuckersüß schmeckte, wie ich noch nie zuvor einen Kuss genossen hatte. Der Kuss nahm den Schmerz und füllte mich mit Wärme. Er hob mich empor. Ich folgte ihm willig und dankbar.
Ich sah die Schlüsseltätowierung auf dem Arm von Morrigaine, einer Magierin der Schwesternschaft der Nacht. Der verblasste Schlüssel füllte sich mit Farbe. Die arkane Meisterin stand vor einem gewaltigen, reich verzierten Tor und breitete ihre Arme aus. Die Flügeltüren öffneten sich. Die Silhouette einer Person zeichnete sich dahinter ab und trat hervor.
Übergangslos wurde ich Zeuge, wie im Scharlachroten Tempel der gewaltige Koloss in sich zusammenfiel. Ich spürte ein Knistern. Dann breitete sich eine von grünen Linien durchzogene, schwarze Dunkelheit von dem zerfallenen Koloss aus und verschlang die ganze Stadt. Schreie. Nur wenige Gebäude am Rand der Metropole blieben erhalten. Das Nichts hatte sie sauber von dem, was einst war, durchtrennt.
Sogleich sah ich wieder den Scharlachroten Tempel mit dem aufrecht stehenden Koloss, alles unversehrt. Mein Blick schweifte über das Land. Ich flog dahin und näherte mich der Labyrinthstadt. Ein triumphales Brüllen erschütterte mich. Mein Blick wanderte weiter. Die Stadt schien sich zu bewegen und schlängelte sich über Grund und Boden. Sie floss auf den Scharlachroten Tempel zu und bildete einen gewaltigen Irrgarten um die Metropole.
Die Vision begann zu verblassen. Bilder wechselten sich in schneller Folge ab. Ich sah noch einige Personen, die ich kannte, aber nicht mehr deren Schicksale. Der letzte Eindruck war der Geschmack des Kusses auf meinen Lippen. Ohne Zweifel weiblich, die Frau war mir jedoch nicht bekannt.
Zitternd sank ich auf meine Knie und küsste die Unbekannte weiterhin. Dann wurde ich gewahr, wie ich verdutzt die Flöte in meiner Hand anstarrte.
»Was war das?«, fragte ich laut und sah mich im Raum um. Ich war allein.
Mein erster Gedanke galt Luzius und ich erreichte ihn mit meinen telepathischen Kräften. ›Luzius, ich habe die Kraft der Querflöte entfesselt und in einer Vision gesehen, wie die Schlüssel das Tor geöffnet haben, von dem du gesprochen hast.‹
›Was befand sich dahinter?‹
›Leider konnte ich nur eine Silhouette ausmachen, keine Details, die auf das Wesen der Person schließen lassen. Aber das war nicht der Einzige Eindruck, den ich gewonnen habe. Luzius, ich habe gesehen, wie ich getötet wurde! Heimlich und Hinterrücks. Und das habe ich auch so real gespürt, dass mir noch immer der kalte Schweiß den Rücken runterläuft.‹
›Ich spüre deine Sorge, Schwesterherz. Was hast du noch gesehen?‹
›Da war ein Firmament aus unzähligen Sternen. Ich glaubte, das arkane Triumvirat darin wiederzuerkennen … und ich schmeckte einen unbeschreiblich wohligen Kuss …‹
›Wann … vor oder nach deinem Tod?‹
›Nach meinem Tod. Der Kuss hat mich wieder zum Leben erweckt.‹
›Wenn ich die Eigenheiten von Visionen betrachte, hat dich der Kuss und die damit verbundene Person wohl eher vor dem Tode bewahrt.‹
›Hm, das mag sein. Aber dann kenne ich die Retterin noch nicht, denn diese Lippen hätte ich bestimmt nicht vergessen. Da waren aber noch mehr Eindrücke, Luzius. Der Scharlachrote Tempel wurde von einem schwarzen Nichts verschlungen. In einer anderen Vision habe ich eine weitere Zukunft des Tempels gesehen, wo er von der sich bewegenden Labyrinthstadt umgeben wird. Das ist alles noch sehr verwirrend für mich. Die Eindrücke waren sehr wirklich, als hätten sie bereits stattgefunden. Bist du sicher, Bruder, dass ich das Tor öffnen soll? Woher hast du das?‹
›Wovon ich das habe?‹ Ich konnte sein Schnauben beinahe hören. ›Von unserem Herren und Meister! Und ich rate dir, mit niemanden darüber zu sprechen.‹
›Ich wüsste niemanden, mit dem ich darüber sprechen sollte, außer mit dir, Luzius. Und selbst wenn ich jemanden wüsste, würde ich diesem nichts anvertrauen.‹
›Das ist auch besser so. Und wie deutest du das, was du in den Visionen gesehen hast, Schwesterchen?‹
›Vier Aussagen sind für mich erkennbar. Erstens: Vor dem Tod durch den Chaosmagier kann mich nur eine noch nicht bekannte Frau bewahren. Zweitens: Der zweite Schlüssel öffnet ein prunkvolles Tor und jemand ist dahinter. Drittens: Zu einer nicht bestimmten Zeit oder Gegebenheit fällt der Koloss in sich zusammen und der Scharlachrote Tempel wird verschlungen. Und viertens: Die Labyrinthstadt legt sich um den Tempel zu einer Zeit, wo der Koloss noch steht.‹ Jetzt hatte ich Antworten auf Fragen, die ich noch nicht kannte. Befriedigend oder besser als die fehlenden Antworten auf meine Fragen war diese Erkenntnis nicht.
Zudem machte mir die Vision deutlich, dass Morrigaine nicht nur ein Schlüssel war, sondern sie in sich beide Schlüssel trug. Dafür musste ihre Tätowierung vervollständigt werden. Die Hautmalerei beherrschte ich durch das Anbringen der psionischen Tätowierungen – somit war ich selbst sozusagen der zweite Schlüssel. Leider wusste ich nach wie vor nicht, wo sich das Tor befand, welches durch Morrigaine geöffnet werden konnte.
Und noch viel weniger wusste ich, wer sich hinter dem Portal verbarg.
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