Название: Vater Goriot
Автор: Honore de Balzac
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754187227
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»Dies hier«, sagte er zu Frau Vauquer und legte die Hand zärtlich auf eine Platte und ein kleines Kännchen, dessen Deckel von zwei sich schnäbelnden Tauben gebildet wurde, »ist das erste Geschenk meiner Frau; sie gab es mir am Jahrestag unserer Hochzeit. Arme Kleine! Sie hatte ihre ganzen Mädchenersparnisse dafür hingegeben. Sehen Sie, liebe Frau, ich möchte lieber die Erde mit meinen Nägeln aufkratzen, als mich hiervon trennen. Gott sei Dank, ich werde bis ans Ende meiner Tage meinen Kaffee aus diesem Kännchen genießen können! Ich bin nicht zu beklagen, ich habe für lange Zeit Brot im Kasten.«
Schließlich hatte Frau Vauquers spähender Elsternblick auch noch in Goriots Hauptbuch ein paar Zahlen entdeckt, die, flüchtig zusammengerechnet, ergaben, daß der treffliche Alte eine Jahreseinnahme von acht- bis zehntausend Franken haben mußte. Von da an nährte Frau Vauquer, geborene von Conflans, die damals achtundvierzig Jahre zählte, aber neununddreißig zugestand, einen gewissen Gedanken. Obgleich Goriots Augen rot und geschwollen waren, weshalb er sie oft trocknen mußte, fand sie ihn von angenehmem und stattlichem Äußeren. Überdies ließ seine kräftige, schön geschwungene Wade und seine lange, breite Nase auf gewisse moralische Eigenschaften schließen, auf die die Witwe Wert zu legen und die das einfältige Vollmondgesicht des Biedermannes noch zu bestätigen schien. Das mußte ein kräftig gebauter Mann sein, fähig, all seinen Geist in Gefühle umzusetzen. Seine taubengrauen Haare, die der Friseur des Polytechnikums ihm jeden Morgen ordnete und puderte, zeichneten fünf Löckchen auf seine niedrige Stirn und standen ihm gut zu Gesicht. War er auch etwas plump, so kleidete er sich doch stets so sorgfältig, schnupfte so reichlich und streute dabei so viel Tabak um sich, daß er ganz den Eindruck eines Mannes machte, der sicher ist, seine Tabaksdose zeitlebens voll Makuba zu sehen. So kam es, daß am Tage seines Einzuges Frau Vauquer, als sie sich abends schlafen legte, im Feuer ihres glühenden Wunsches schmorte wie das Rebhuhn in seiner Speckschwarte; ihre Wünsche aber gingen dahin, das Leichentuch Vauquer abzulegen und als Goriot wieder aufzuerstehen. Sich verheiraten, ihre Pension verkaufen, diesem feinen Bürger die Hand reichen, in ihrem Viertel eine angesehene Dame werden, sich durch Mildtätigkeit angenehm auszeichnen, des Sonntags kleine Ausflüge machen nach Choisy, Soissy, Gentilly, nach Gefallen ins Theater gehen, in die Loge, ohne auf die Freibillette warten zu müssen, die ihr einige ihrer Pensionäre im Sommer zukommen ließen, – sie träumte sich das ganze Dorado eines kleinen Pariser Haushalts zusammen. Übrigens besaß sie, was sie niemandem verraten hatte, ein Sou für Sou zusammengespartes Vermögen von vierzigtausend Franken. Ja, was das Geld anlangte, hielt sie sich mit Recht für eine gute Partie.
›Und im übrigen bin ich dem guten Manne durchaus ebenbürtig‹, sagte sie sich und drehte sich im Bett herum, wie um sich selbst die Formenreize zu vergegenwärtigen, die die dicke Sylvia jeden Morgen im Bett eingedrückt fand.
Von jenem Tage an benutzte die Witwe Vauquer den Friseur des Herrn Goriot und gab etwas mehr für ihre Kleidung aus, was sie mit der Notwendigkeit entschuldigte, ihrem Hause einen gewissen Glanz zu verleihen, damit es der ehrenwerten Gäste würdig sei. Sie strengte sich sehr an, ihre bisherigen Pensionäre aus dem Hause zu bekommen, unter dem Vorgeben, von nun an nur in jeder Hinsicht angesehene Leute aufnehmen zu wollen. Zeigte sich ein Fremder, so rühmte sie sich der Ehre, die Herr Goriot, einer der geachtetsten Geschäftsleute von Paris, ihrem Hause erwiesen habe. Sie versandte Prospekte, auf denen zu lesen stand: ›Haus Vauquer‹. Es sei, sagte sie, eine der ältesten und berühmtesten Familienpensionen des Quartiers Latin. Man genieße von hier eine prächtige Aussicht auf das Val des Gobelins – vom dritten Stock aus war es sichtbar – und habe dicht beim Hause einen ›hübschen‹ Garten, an dessen Ende eine ›Lindenallee‹ sich ›erstrecke‹. Sie redete ferner von guter Luft und idyllischer Ruhe. Dieser Prospekt führte ihr die Gräfin de l'Ambermesnil zu, eine Frau von sechsunddreißig Jahren, die auf Regelung und Erledigung einer Pension wartete, die man ihr als der Witwe eines ›auf den Schlachtfeldern‹ gefallenen Generals schuldete. Frau Vauquer sorgte für bessere Kost, heizte fast sechs Wochen lang die Wohnräume und hielt die Versprechungen ihres Prospekts gut inne, da sie auch so noch ihren Schnitt dabei machte. Die Gräfin verkündete daraufhin Frau Vauquer, die sie ›liebe Freundin‹ nannte, daß sie ihr die Frau Baronin Vaumerland und die Witwe des Obersten und Grafen Picquoiseau zuführen wolle, zwei ihrer Freundinnen, die vorläufig noch im Marais2 in einer weit teureren Pension eingemietet seien. Sobald die Bureaus des Kriegsministeriums mit ihrer Abrechnung fertig wären, würden diese Damen, wie auch sie selbst, sehr gut gestellt sein.
»Aber«, sagte sie, »die Bureaus werden nie fertig.«
Die beiden Witwen stiegen nach Tisch hinauf in das Zimmer der Frau Vauquer und machten ein kleines Schwätzchen, wobei sie Johannisbeerlikör tranken und Süßigkeiten naschten. Frau de l'Ambermesnil billigte vollständig die Absichten ihrer Wirtin auf Goriot: vortreffliche Absichten, die sie übrigens vom ersten Tage an geahnt habe; sie hielt ihn für einen prächtigen Mann.
»Ah, meine liebe Dame, ein Mann – gesund wie mein Auge!« sagte die Witwe Vauquer, »ein vortrefflich konservierter Mann, der einer Frau noch viel Vergnügen bereiten kann.«
Die Gräfin ließ sich herab, Frau Vauquer ein paar Worte über ihre Kleidung zu sagen, die mit ihrem Vorhaben nicht in Einklang stände.
»Sie müssen sich auf den Kriegsfuß stellen«, sagte sie zu ihr.
Nach langem Überlegen gingen die beiden Witwen gemeinsam zum Magasin du Palais-Royal, wo sie einen Federhut und eine Haube kauften. Die Gräfin schleppte ihre Freundin zum Magasin de la Petite Jeannette, wo sie ein Kleid und eine Schärpe auswählten. Als die Witwe so unter den Waffen stand, hatte sie alle Ähnlichkeit mit einem Pfingstochsen. Nichtsdestoweniger glaubte sie sich so sehr zu ihrem Vorteil verändert, daß sie sich in der Schuld der Gräfin fühlte und sie – allerdings schweren Herzens – bat, einen Hut zu zwanzig Franken von ihr anzunehmen. In Wahrheit rechnete sie damit, sie um den Dienst zu bitten, Goriot auszuhorchen und sie bei ihm herauszustreichen. Frau de l'Ambermesnil widmete sich sehr eifrig diesem Freundschaftsdienst und stellte dem alten Nudelfabrikanten nach, und schließlich gelang es ihr, eine Unterredung mit ihm zu erreichen. Aber da sie ihn den Versuchungen gegenüber, denen sie ihn in ihrem eigenen Interesse aussetzte, zurückhaltend, um nicht zu sagen widerstrebend fand, verließ sie ihn, empört über seine Plumpheit.
»Mein Engel,« sagte sie zu ihrer lieben Freundin, »aus diesem Manne werden Sie nie etwas herausholen! Er ist lächerlich mißtrauisch, ein Geizhals, ein Tölpel, ein Dummkopf, der Ihnen nur Unannehmlichkeiten bereiten wird.«
Zwischen Herrn Goriot und Frau de l'Ambermesnil hatten sich derartige Dinge ereignet, daß die Gräfin nicht mehr mit ihm zusammenzutreffen wünschte. Sie verschwand daher anderntags, wobei sie vergaß, die Rechnung zu bezahlen, die sich auf sechs Monate Kost und Wohnung belief. Ein abgelegtes Kleid im Werte von etwa fünf Franken war das einzige, was sie zurückließ. Mit wieviel Eifer auch Frau Vauquer die Nachforschungen betrieb, sie konnte in ganz Paris keine Auskunft über die Gräfin de l'Ambermesnil erhalten. Sie sprach oft von diesem schweren Schlag, der sie betroffen hatte, und beklagte ihre allzu große Vertrauensseligkeit, und doch war sie mißtrauischer als eine Katze. Aber sie glich sehr jenen Leuten, die den Nahestehenden mißtrauen und sich dem ersten besten Fremden ausliefern; eine seltsame, aber oft beobachtete Tatsache, deren Wurzel im Menschenherzen leicht zu finden ist. Vielleicht haben solche Seelen bei ihrer nächsten Umgebung nichts mehr zu gewinnen; sie haben ihr die Leere ihrer Seele aufgedeckt und fühlen sich mit verdienter Härte von ihr verurteilt. Da sie aber ein unbezwingliches Bedürfnis haben, sich umschmeichelt zu sehen, oder gern Eigenschaften vortäuschen möchten, die sie nicht besitzen, so hoffen sie die Achtung oder die Liebe eines Fremden zu erringen, selbst auf die Gefahr hin, sich eines Tages betrogen zu sehen. Endlich gibt es auch geborene Mietlinge, die ihren Freunden oder Angehörigen nicht den kleinsten Dienst erweisen, weil er hier selbstverständlich wäre, wohingegen, wenn sie sich einem Fremden widmen, ihre Eigenliebe einen Gewinn davonträgt. Je näher ihnen jemand steht, СКАЧАТЬ