Название: Alles in Blut
Автор: Ole R. Börgdahl
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Tillman-Halls-Reihe
isbn: 9783847634003
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Bruckner blickte von dem Bericht auf. »Es gibt Aufnahmen von der äußeren Leichenschau.«
Er griff wieder in den Umschlag, zog ein weiteres Bündel Fotografien hervor und legte sie auf den Tisch. Ich beugte mich vor. Eines der Bilder zeigte die Narbe am Knie, zwei weitere die Impfnarben an den Oberarmen. Ich nickte und Bruckner fuhr in dem Bericht fort.
»Leichenöffnung: keine inneren Verletzungen. Toxikologisches Gutachten negativ. Infarktbedingte Veränderungen an den Herzkammern und dem Herzmuskelgewebe sowie der Herzkranzgefäße. Eine geringfügige Vorschädigung des Herzens konnte diagnostiziert werden. Die sonstigen inneren Organe, Leber, Lungen, Nieren, Verdauungsorgane, entsprachen der Norm bezogen auf das geschätzte Alter des Toten. Mageninhalt negativ. Die letzte Nahrungsaufnahme muss mindestens zwölf Stunden vor Eintritt des Todes erfolgt sein. So weit zum Obduktionsbericht. Die Tabellen und Laborergebnisse brauche ich Ihnen ja nicht vorzulesen.«
»Nur wenn der Pathologe etwas Außergewöhnliches vermerkt hat«, antwortete ich.
Bruckner suchte noch einmal in dem Bericht und schüttelte dann den Kopf. »Toxikologisches Gutachten negativ, also kommen wir zum Tatort.« Er blätterte in den Seiten. »Fundort der Leiche war wie gesagt das Hotel Euroham in der Barkstraße, im Bezirk Hamburg-Wandsbek, Stadtteil Bramfeld. Kennen Sie sich in Bramfeld aus?«, fragte Bruckner mich.
»Ein wenig, allerdings kenne ich dieses Hotel nicht, nie davon gehört.« Ich überlegte. »Euroham in der Barkstraße, nein.«
Bruckner suchte nach weiteren Fotografien und legte sie mir vor. »Hier ist das Hotel von außen und hier die Barkstraße, eine kleine Nebenstraße. Das Hotel hat Zimmer nach vorne und welche zu einem Innenhof.«
Ich sah mir die Aufnahmen an. Mülltonnen standen auf dem Gehweg, ein Fahrrad mit einem platten Vorderreifen lehnte an der Fassade des Hotels. Die Leuchtreklame mit dem Hotelnamen war an einer Ecke zerbrochen, sodass man die Neonröhren im Inneren sehen konnte. Der Innenhof wirkte aufgeräumt. An das Geländer einer Kellertreppe waren leere Obstkisten und Pappkartons gestapelt. Ich legte die Fotografien zurück auf den Tisch. Bruckner sah mich an. Er versuchte wohl eine Reaktion aus meinem Gesicht zu lesen, aber die war nicht da, denn bisher hatte ich nicht viel Spektakuläres gesehen. Bruckner ging den Bericht weiter durch.
»Das Hotelzimmer: ein schmales Doppelbett, hundertsechzig Zentimeter breit, zweihundert Zentimeter lang. Links und rechts neben dem Bett zwei Nachttische. Die Schubfächer der Nachttische waren mit Zeitungspapier ausgelegt, ansonsten waren die Schubfächer leer. Bei der Spurensicherung wurden weder Fasern, Haare noch sonstige Partikel gefunden. Gleiches galt für das gesamte Hotelzimmer. Die DNA-Spuren beschränkten sich auf die Leiche. Im Hotelzimmer wurden keine DNA-Spuren anderer Personen identifiziert.« Bruckner sah mich wieder an. »Das Hotelzimmer war ohnehin nicht sehr ergiebig.«
Er zeigte mir ein weiteres Foto, eine Totale. Im gesamten Raum waren nur drei Spurenkarten ausgelegt. Die Nummer eins war der Leiche zugeordnet. Die Nummer zwei wies auf einen unregelmäßig geformten Fleck im Teppich.
»Der hat sich hinterher laut Aussagen des Hotelpersonals als alter Kaffeefleck herausgestellt«, erklärte Bruckner.
»Ein alter Fleck, ich dachte, das Zimmer wurde renoviert?«
»So etwas bekommt man eben nicht immer heraus«, sagte Bruckner achselzuckend. »Und der Teppich wurde wohl bei der Renovierung nicht erneuert.«
»Und! War es Kaffee?«
»Ja, schwarz ohne Zucker und ohne Milch.« Bruckner grinste.
Die dritte Spurenkarte wies auf eine gesprungene Kante am rechten Bettpfosten, eine Beschädigung, die ebenfalls schon älter zu sein schien und schon einmal mit Holzwachs ausgebessert worden war, was sich auch aus dem Bericht bestätigte.
»Das sind so gut wie keine Spuren!«, war mein Fazit. »Was ist mit dem Zeitungspapier, das in den Schubfächern der Nachttische gefunden wurde. Wo ist der Rest der Zeitung, welches Blatt war es?«
»Moment!«, sagte Bruckner. Er hatte noch etwas in dem Umschlag. Es war eine Klarsichthülle, in der tatsächlich das alte Zeitungspapier steckte. »Hamburger Abendblatt vom 27. September 2003, Samstagsausgabe. Im rechten Nachttisch lag der Politikteil mit der Doppelseite eins, zwei, fünf und sechs. Links der Hamburgteil mit der Doppelseite sieben, acht, dreizehn und vierzehn. Nach Aussage des Hotelpersonals wurden die Schubfächer der Nachttische immer mit Zeitungspapier ausgelegt. Das gefundene Zeitungspapier wurde direkt nach der Renovierung eingelegt.«
»Gut, was gab es noch?«, fragte ich.
Bruckner sah mich an. Er hielt die Papiere in die Höhe. »Das war es, ein fünfseitiger Bericht und zwanzig, nein einundzwanzig Fotografien. Die Leiche wurde eingeäschert, es gab ja keine Angehörigen und die Einäscherung ist billiger, als wenn die Stadt eine Grabstelle für einen Unbekannten vorhalten muss, das ist so üblich. Die Urne wurde dann anonym beigesetzt.«
»Fünf Seiten! Ziemlich knapp.« Ich streckte meine Hand aus und Bruckner gab mir den Bericht. Die Seiten waren zwar eng beschrieben, aber fünf Seiten sind dennoch verdammt wenig. Beim NYPD arbeiten zwar auch keine Literaten, aber unsere Berichte waren nie kürzer als vierzig, fünfzig Seiten. Bruckner hatte meine Gedanken wohl erraten. Er zuckte mit den Schultern.
»Der Fall hat eben Potential zum ewigen Cold Case«, sagte er fast schon resignierend.
Ich weiß nicht, ob er von mir an dieser Stelle ein Wunder erwartet hatte. Er sah mich zumindest so an. Wir schwiegen einige Zeit. Dann machte ich ihm die Situation klar. Zunächst einmal gab ich ihm recht.
»Es sieht tatsächlich nach einem ewigen Cold Case aus«, sagte ich, »aber so etwas gibt es natürlich nicht.«
»Was gibt es nicht?«
»Es gibt keinen Todesfall, keinen Mord oder Selbstmord oder Unfall, der nicht irgendwann aufgeklärt werden kann. Kein Opfer bleibt ewig unbekannt. In der Theorie gibt es das nicht.«
»In der Theorie?« Bruckner lächelte. »Haben Sie das Ihren Studenten erzählt?«
»Könnte sein.«
»Ach, und was heißt das jetzt?«, fragte Bruckner leicht spöttisch.
»Gut, es gibt keine verwertbaren Spuren, aber wir haben eine Leiche, etwas, dass einmal ein Mensch war.«
»Wir hatten eine Leiche.« Bruckner beugte sich etwas vor und faltete die Hände über der Brust.
»Mir ist klar, dass die Leiche heute nicht mehr existiert, aber ich gehe davon aus, dass die deutsche Polizei und ihr Apparat die Leiche intensiv untersucht hat.« Ich zeigte auf den Bericht. »Diese Untersuchungsergebnisse müssen die Basis für die Identifikation sein. Wenn wir wissen, wer der Tote war, dann wird es sehr schnell weitere Lebende oder Tote geben, die mit ihm in einer Beziehung standen. Unter diesen Menschen kann der Täter sein, wenn es einen Täter gibt.«
»Ich weiß nicht«, Bruckner schüttelte den Kopf. »Ihnen muss doch klar sein, dass wir all diese Möglichkeiten schon erwogen haben.«
»Was wurde denn unternommen?«
Bruckner lehnte sich wieder in seinem Sessel zurück СКАЧАТЬ