Название: Veronika
Автор: Siegfried Ahlborn
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738067279
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Das traf Veronika ins Herz, obgleich sie nicht sagen konnte, dass sie es jetzt schon wirklich verstanden hatte. Aber sie ahnte die Tiefe dieser Aussage und fühlte sich im Innersten erschüttert. Denn auch sie hatte ja schließlich in ihrer Seele die Sehnsucht nach Gott und fühlte sich aus ihm herausgefallen. Trotzdem hielt sie der Alten entgegen:
„Für mich sind die Blumen von Gott und nicht aus der Sehnsucht nach Gott. Ist das nicht Gotteslästerung, wenn man sagt, die Blumen seien nicht von Gott, sondern nur aus der Sehnsucht nach Gott?“
„Habe ich das gesagt?“ lächelte die Alte. „Dann habe ich es auch so gemeint, Sie werden sehen…“
In diesem Moment kam der jüngere der Knaben mit einem Strauß Blumen in der Hand, die er in seinem eigenen Gärtchen gepflückt hatte, und reichte ihn Veronika.
„Die sind meine eigene Züchtung“, sagte er begeistert und erwartete ein Staunen.
Veronika freute sich, nahm die Blumen entgegen, bedankte sich und sagte: „Die sind ja ganz wunderschön, so einen großen Rittersporn habe ich noch nie gesehen. Wie hast du die denn gezüchtet?“
„Ich habe Samen von alten Pflanzen genommen und besonders oft gedüngt. – Und ich habe ihnen mit meiner Flöte vorgespielt.“
Das sagte er so unschuldig begeistert, dass Veronika im Herzen gerührt war.
„Dass Musik eine gute Wirkung hat, wusste ich ja schon“; sagte sie bewundernd, „aber dass sie solche Blumen schaffen kann, ist mir neu.“
Der Knabe freute sich, drehte sich um und lief davon.
Das nahm die Alte zur Gelegenheit, noch einmal auf die Blumen und auf Gott einzugehen und sagte:
„Entschuldigen Sie, wenn ich Sie hier gleich mit so komplizierten Themen konfrontiere, aber ich denke ja, dass Sie auf Ihrem Spazierweg nach etwas Höherem suchten, nicht wahr?“
Veronika bestätigte das mit einem Kopfnicken und die Alte fuhr fot:
„Also: Sie sagten Gott sei in den Blumen – aber wäre Gott in den Blumen, könnten wir sie dann pflücken, um sie dem Tode preiszugeben? Würden die Blumen überhaupt sterben können, wenn sie Gott sind? – Oder könnten wir sie, wenn sie Gott sind, beeinflussen und verändern – im positiven oder auch im negativen Sinne?“
Das machte Veronika nachdenklich. Sie konnte nicht sogleich antworten, brauchte es aber auch nicht, denn in diesem Moment kam der ältere der beiden Knaben gelaufen, der im Haus verschwunden gewesen war, und gab ihr ebenfalls ein Geschenk in die Hand. Es war das Bild einer Pflanze, die er gezeichnet hatte.
„Danke!“, sagte Veronika, „wie heißt du?“ Dabei bedauerte sie, dass sie nicht schon viel früher gefragt hatte.
„Angelo!“ sagte der Junge, wandte sich um und verschwand.
Veronika betrachtete das Bild. Es war die schwarz- weiß Zeichnung eines Rosenstrauches. Und so sehr sie auch die Kunstfertigkeit der Zeichnung bewunderte, so vermisste sie doch die Farbe, die bei ihr zu der Blume gehörte.
Die Alte erriet ihre Gedanken und sagte: „Was Ihnen Angelo damit vielleicht sagen will, ist die Tatsache, dass unser Denken auch nicht weiter zur Natur vordringt als dieses Schattenbild der Pflanze.“
„Schattenbild? Aber ich sehe doch Farben, wenn ich auf die Blumen schaue“, erwiderte Veronika, ohne das Bild abwerten zu wollen.
„Schon richtig“, sagte die Alte, pflückte eine gelb leuchtende Blume und fuhr fort:
„Sehen wir die ganze Natur nicht tatsächlich nur so wie ein Schattenbild? Selbst dann, wenn wir farbig sehen?“
Veronika betrachtete den Strauß Blumen in ihrer Hand und sagte:
„Ein Schattenbild? – Nein!“
Sie wusste wohl, dass des Menschen Geist in seiner Beschränktheit an die Geheimnisse der Natur nicht heranreichte, aber konnte man das als Schattensehen bezeichnen?
„Es tut mir wirklich leid“, sagte sie, „aber ich freue mich an den Farben, erlebe sie in meiner Seele und kann nicht sehen, dass sie nur Schatten sind. Sie stehen ja vor mir und leuchten mich an. Außerdem kann ich auch noch nicht verstehen, warum sie aus Gott herausgefallen sein sollen.“
„Seien Sie froh“, lächelte die Alte, „seien Sie froh, dass Sie sich in Ihrer Wahrnehmung von ihnen und ihrer Farbe distanzieren. Dass Sie sie nur von außen sehen. Das machen wir Menschen so. Das ist unsere Freiheit, weil auch wir aus Gott herausgefallen sind. Aber dadurch sehen wir die Farben – und mit ihr die Pflanzen –nicht so, wie sie wirklich sind, sondern eben nur als herausgefallene Schattenbilder des Geistes.“
„Und wie sind sie wirklich?“ wollte Veronika wissen und dachte nun von Gott zu hören, also von der Göttlichkeit der Pflanzen, die sie ja suchte.
Die Augen der Alten begannen zu leuchten, als sie fortfuhr:
„Die Farben sind nur die Außenseite übersinnlicher Wesen, welche Ihre Augen nicht sehen, Veronika.“ –
„Woher wissen Sie meinen Namen?“ fragte Veronika überrascht.
„Hatten Sie ihn mir nicht genannt?“
Veronika schüttelte den Kopf.
„Nun gut, dann war das ein Zufall. Aber weiter: Die Farben, so wie auch die Pflanzen selbst, sind nur ein Gleichnis, wie Goethe es sagte: Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis. – Also: Sie sind nur ein Gleichnis für ein übersinnliches Wesen. Was glauben Sie denn, würden Sie sehen, wenn Ihre Blicke hinter das Gleichnis reichten?“
„Ich weiß es nicht“, sagte Veronika – „Gott?“
„Sie würden sehen“, fuhr die Alte begeistert fort, „dass die Blume, die ich hier in der Hand halte, das Bild eines Engels ist. Sie ist ein Gleichnis für die Wesenheit eines Engels in der übersinnlichen Welt. Sozusagen nur ein Schattenbild einer lebendigen, übersinnlichen Idee. Zerstören wir eine Pflanze, so zerbrechen wir nur ihr Bild hier auf Erden. Die Idee ist unvergänglich, denn sie lebt in einem Engel. – Jede Idee muss von einem Wesen getragen werden und diese Idee hier in der Blume, die lebt in einem Engel. Es ist eine einheitliche Idee, die der gesamten Pflanzenwelt zu Grunde liegt, Veronika, aber verschiedene Engel tragen sie auf verschiedene Art.“
Die Alte war wohl sehr geistdurchdrungen, aber Veronika sah keinen Engel.
„Ich habe schon viele philosophische Schriften gelesen“, sagte sie, „habe mich auch genügend mit Religionen beschäftigt – aber Engel als Wesenheiten der Pflanzen habe ich noch nicht gefunden. Es tut mir leid, da kann ich nicht folgen. Was ist denn überhaupt die Idee der Pflanze?“
„Liebe Veronika“, sagte die Alte, „Sie wissen doch, dass die Idee eines Hauses der Raum im Abgeschlossenen ist, der vielfältige Formen haben kann. Diese Idee, also die Idee des Raumes, die lebt im Geiste eines Architekten und wird von ihm dann im äußeren Raum verwirklicht. Nun, die Idee der Pflanze lebt in einem Engel und ist die Gestaltung der Zeit im Raum.“
Veronika schaute sehr fragend – und so fuhr sie schnell fort:
„Ich meine, dass die Idee der Pflanze СКАЧАТЬ