Gute Nachrichten auf Papierfliegern. Juan Marse
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Название: Gute Nachrichten auf Papierfliegern

Автор: Juan Marse

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783803143464

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СКАЧАТЬ nicht ins Zimmer bat, dass er die Tür blockierte, er sich mit dem Rücken und einem Bein nachlässig an den Türrahmen lehnte, am meisten schmerzte ihn aber, dass der Junge ihm das Du verweigerte und ihn mit seinem zweiten Nachnamen ansprach, der so gespreizt und hochtrabend klang.

      »Nun ja, mein Sohn, jetzt habe ich dir erzählt, wie es damals war.«

      »Wirklich?«

      »Absolut. Wort für Wort.«

      »Aha.«

      »Es ist dein Leben. Und es gibt keinen Grund, sich zu beklagen oder sich zu schämen. Ich sag’s ich dir.«

      »Aha.«

      »Und was ist dann mit dir los?«

      »Na ja, ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Nein, im Ernst. Es ist so … Ich weiß einfach nicht, wovon Sie da sprechen.«

      Amador schnaufte, geduldig. Er war ein Hippieveteran, pragmatisch geworden und daran gewöhnt, Argwohn zu wecken.

      »Aber Junge, wann kommst du auf den Boden der Tatsachen? Hat deine Mutter dir denn nicht von unserem gemeinsamen Leben dort auf der Insel erzählt?«

      »Doch, ja, ein wenig. Aber das ist es nicht. Es ist nur …«, er zögerte einen Augenblick. »Sie müssen wissen, Herr Raciocinio, ich kann es einfach nicht glauben. Und was heißt das, was Sie da auf dem Rucksack stehen haben, FENG SHUI?«

      »Das heißt Wasser und Wind, also die tellurischen Kräfte der Erdkugel.«

      »Ach so. Also, ich meine das wirklich ernst, ich würde an all das gern glauben, aber schauen Sie …«

      »Schau mal, Sohn, ich sag dir eins: Wer auf dieser Welt an nichts glaubt, ist auch nicht von seinen Ängsten befreit. Ich weiß nicht, ob es etwas nützt, an Gott oder den Teufel zu glauben, ich weiß aber, dass es Wasser und Wind aus irgendeinem Grund gibt …«

      »Ja, aber alles, was Sie mir da erzählen, entschuldigen Sie, wenn ich das sage, aber … Ich kann es einfach nicht glauben. So ist das.«

      »Du bist einfach zu früh groß geworden«, sagte Amador. »Wer weiß, was deine Mutter dir erzählt hat. Die Frauen sind ein Rätsel, weißt du? Vor allem diejenigen, die uns beschützen wollen. Bald wirst du ein Mann sein, also werde ich dir etwas über sie sagen. Vergiss nie … Hörst du mir zu?«

      »Ja, Señor.«

      Kurz darauf, als Ruth sie zum Essen rief, ging Amador mit seinem Rucksack und den Trommelstöcken ins Badezimmer und blieb dort länger als normal eingeschlossen. Bruno hörte, wie er sich mehrmals kräftig schneuzte. Dann gurgelte er sehr lange und in verschiedenen Tonlagen. Ruth schien nichts davon merken zu wollen. Dem Jungen fiel der niedergeschlagene Ausdruck seiner Mutter auf, und er fürchtete, sie könne jeden Augenblick losheulen. Er sagte, er wolle nicht mit Herrn Raciocinio am Tisch sitzen, ihm sei schwindlig und er müsse ins Bett, ging auch nicht auf ihre Bitten ein, sich doch wenigstens zu verabschieden. Er verzog sich in sein Zimmer und ließ die Tür offen, um zu hören, was am Esstisch gesprochen wurde.

      Das Abendessen dominierte die Stimme seines Vaters, er verhedderte sich in langen Erklärungen über wirre Reiseprojekte, Epiphanien und neue Formen, sich den Lebensunterhalt anhand von Analogien, Spiegeln und Korrespondenzen zu verdienen, störrisch darauf beharrend, dass dies alles einen tantrischen Sinn haben müsse, bis er auf einmal gestand, er fühle sich doch inzwischen für einige Dinge zu alt, zu müde und verletzlich. Er sagte ihr, wenn er auf der Klarinette das Lied spiele, das sie so gern gemocht habe, sie wisse schon, jener rosa Kirschbaum, der in einem Winkel deines Gartens wuchs, müsse er immer an ihre Apfelbrüste denken. Dann gab es ein paar Minuten Schweigen, eine kaum hörbare Stimme durchbrach es mit Worten, die nach Trost klangen, dann scharrten Stuhlbeine über die Fliesen, wieder langes Schweigen – scheiße, die werden sich doch nicht küssen? –, das in einem Schluchzer gipfelte – von wem? –, und von da an war seine Stimme nicht mehr dieselbe.

      »Du sollst wissen, Ruth, dass ich dir sehr dankbar für diesen Empfang bin. Ich habe nichts anderes von dir erwartet …« Noch ein Absacken der Stimme, nun blieb nichts mehr von dem arkadischen Klang. »Ich habe euch ein wenig enttäuscht, ich weiß. Ein Mann soll für seine Angelegenheiten Verantwortung übernehmen. Aber die Sache ist die, ich habe keine Angelegenheiten, habe sie nie gehabt, ich habe … Wege. Und meine Pilgerreise ist seltsam und leise, wie die der Spinnen; die machten dir damals, als wir zusammenlebten, so große Angst, erinnerst du dich? Ich weiß, wohin ich gehe, ich spüre das Pochen des Universums in meinen Schläfen. Diese neue Reise, zum Beispiel … Obgleich, man wird sehen, es dauert wohl noch eine Weile, bis ich mich aufmache, davor muss ich mich hier noch um einige Dinge kümmern. Es hat ja auch keine Eile, nun ja, ich weiß nicht, in Wahrheit ist ja noch nichts entschieden …« Noch ein Schluchzer, wieder nicht zuzuordnen, und er fügte hinzu: »Bitte, Ruth, es gibt keinen Grund zu klagen. Eigentlich ist alles noch etwas in der Schwebe. Gerade jetzt ist die Pension, in der ich wohne – von Freunden heiß empfohlen und in Wirklichkeit eine üble Absteige –, nun ja, auch noch im Umbau, und ich lass mich wahrlich nicht schnell aus der Ruhe bringen, aber es könnte irgendwas passieren, und ich steh morgen auf der Straße … Glaubst du, Ruth, du könntest … du könntest mich hier vorübergehend unterbringen? Nur ein, zwei Tage – oder drei, liebe Ruth?«

      Wieder das Scharren der Stuhlbeine und ein langes Schweigen. Bruno spitzte die Ohren, wartete auf die Antwort seiner Mutter.

      »Meinetwegen …«, begann sie, und dann nach einer Pause: »Aber ich fürchte, es geht nicht.«

      »Warum nicht? Nur ein paar Tage …«

      »Dein Sohn hat nicht vergessen, und er akzeptiert dich nicht. Hast du das denn nicht gemerkt?«

      »Hmm. Der Junge ist etwas ungezogen, meinst du nicht?«

      Schweigen.

      »Er lügt aber nie«, murmelte Ruth.

      »Er ist auf alles sauer. Und das ist schade. Das Leben ist zu kurz, um ständig sauer zu sein. Sag’s ihm.« Und in versöhnlicherem Ton: »Ich habe nie die Hand gegen ihn erhoben, das weißt du. In der Strandhütte hatten wir drei doch eine gute Zeit. Wenn du ans Karma glaubst, alles kommt wieder, alles wird wieder wie früher … Du hattest Angst vor Spinnen, weißt du noch? Sag mir eins, Ruth … Du warst dort glücklich, stimmt’s?«

      Wieder Schweigen. Das Zischeln eines Siphons in einem Glas.

      »Leidest du noch unter Arachnophobie, liebe Ruth?«

      Die Antwort ließ etwas auf sich warten.

      »Was ist das? Sicher etwas Unangenehmes.«

      »Oh, nein, ein neues Wort.« Wieder eine Pause. »Du hattest immer Angst vor dem Neuen, nicht wahr, Ruth?«

      Kurz darauf entschloss er sich zu gehen, aber davor sperrte er sich noch eine Weile im Bad ein. Er verabschiedete sich von seinem Sohn im Flur, durch die Tür, die Bruno geschlossen hatte und trotz Ruths inständigem Bitten nicht öffnete, man hörte nur ein dumpfes »Adiós«, als spreche der Junge unter einem Haufen Laken. Eine vorbildliche Gemütsfestigkeit vorspiegelnd, wies Amador Ruth an, nicht zu insistieren, und sie, in ein Meer des Zweifels getaucht, demütig, einmal mehr auf ihre Schwäche zurückgeworfen, begleitete ihn zum Ausgang, wo sie ihm ein blaues Halstuch mit weißen Tupfen um den Hals band, dann küsste sie ihn auf die Wange und öffnete ihm die Tür. Der unbeugsame Hippie verabschiedete sich ohne viele Worte, bewahrte mühsam die tolle Haltung seiner besten Jahre, Klarinette СКАЧАТЬ