Название: Internationales Strafrecht
Автор: Robert Esser
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Praxis der Strafverteidigung
isbn: 9783811448100
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Im Übrigen hat die mit sieben Richtern besetzte Kammer (Chamber) über die Begründetheit von Beschwerden zu entscheiden. Ihr gehört neben dem Sektionspräsidenten von Amts wegen der für den als Partei beteiligten Staat gewählte „nationale Richter“ an (Art. 28 Abs. 2 EMRK). Ist der für eine Vertragspartei gewählte Richter – wegen Ausschluss, Befangenheit (vgl. Rule 28), Rücktritt, Tod oder aus einem anderen Grund – nicht in der Lage, an der Verhandlung über eine Beschwerde teilzunehmen, so kann der betreffende Vertragsstaat an seiner Stelle einen anderen Richter des Gerichtshofs oder eine andere Person benennen, die in der Eigenschaft eines Richters an den Sitzungen der Kammer teilnimmt (sog. ad hoc-Richter; Art. 26 Abs. 4 EMRK/Rule 29 Abs. 1 lit. b).
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Es gibt weder Kammern für spezielle Fragestellungen noch eine regionale Verteilung der Beschwerden auf einzelne Spruchkörper.
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Die mit 17 Richtern besetzte Große Kammer (Grand Chamber, Art. 26 Abs. 4, 5 EMRK; Rule 24) entscheidet als übergeordneter Spruchkörper erstinstanzlich und abschließend über Individualbeschwerden, wenn eine Kammer die Rechtssache an sie abgibt, weil diese ihrer Ansicht nach eine schwerwiegende Auslegungsfrage der Konvention aufwirft oder die zu treffende Entscheidung zu einer Abweichung von einem früheren Urteil des Gerichtshofs führen kann (Art. 30 EMRK). Künftig kann die Abgabe an die Große Kammer nicht mehr durch Widerspruch einer Partei verhindert werden, Art. 3 des 15. P-EMRK (CETS 213).
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Als Kontrollinstanz entscheidet die Große Kammer, wenn eine der Parteien die Verweisung der Rechtssache an sie beantragt (Art. 43 EMRK; siehe Rn. 335). Auch für die Erstellung der advisory opinions im Rahmen des durch das 16. Protokoll zur EMRK (CETS 214) neu geschaffenen Vorabentscheidungsverfahrens wird die Große Kammer zuständig sein.
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Das Plenum des Gerichtshofs (Plenary Court) nimmt rein organisatorische und administrative Aufgaben wahr und erlässt die für die Einlegung und Behandlung der Individualbeschwerde maßgeblichen Rules of Court (Art. 25 lit. d EMRK).
2. Ausschluss/Befangenheit eines Richters
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Ein Kammermitglied kann an der Prüfung einer Beschwerde nicht teilnehmen (Rule 28 Abs. 2), wenn es
• | an der Rechtssache ein persönliches Interesse hat, |
• | an der Rechtssache vorher mitgewirkt hat – sei es als Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigter, Rechtsbeistand oder als Berater einer Partei oder einer an der Sache interessierten Person, sei es als Mitglied eines Gerichts, einer Untersuchungskommission oder in anderer Eigenschaft, |
• | als ad hoc-Richter (Rule 29) oder über seine Amtszeit hinaus über die Beschwerde entscheiden soll und seine sonstige politische, administrative oder berufliche Tätigkeit mit den Grundsätzen einer richterlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht zu vereinbaren ist, |
• | sich zu der Sache öffentlich, über die Medien etc. in einer Art und Weise geäußert hat, die seine Unparteilichkeit objektiv in Zweifel zieht, |
• | oder sonst ein berechtigter Zweifel an seiner Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit besteht. |
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Sieht sich ein Richter als befangen an und will er deswegen von sich aus nicht an der Behandlung der Beschwerde teilnehmen, so hat er den Präsidenten seiner Kammer entsprechend zu informieren, der ihn dann von der Teilnahme an der Rechtssache freistellt (Rule 28 Abs. 3). Bei Zweifeln an der Unparteilichkeit eines Kammermitglieds entscheidet die Kammer nach Anhörung des Betroffenen, in dessen Abwesenheit (Rule 28 Abs. 4).[65] Ist der nationale Richter betroffen, muss er durch einen ad hoc-Richter nach Rule 29 Abs. 1 lit. c ersetzt werden.
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Einen speziellen Rechtsbehelf zur Geltendmachung eines Befangenheits- oder Ausschlussgrundes in der Person eines Richters sehen weder die EMRK noch die Rules of Court vor. Der Bf. bzw. der Verteidiger sollte bei berechtigten Zweifeln an der Unparteilichkeit eines Richters ein schriftliches Ablehnungsgesuch an den Präsidenten der Kammer bzw. der Sektion richten und dieses entsprechend begründen.
3. Kanzlei
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Die Kanzlei („La plume de la Cour“)[66] unterstützt die Arbeit des Gerichtshofs. Sie führt die Korrespondenz mit den Beschwerdeführern, nach der Zustellung auch mit den Regierungen der betroffenen Staaten, und legt Akten über die Beschwerden an (Rule 17 Abs. 2), die grundsätzlich öffentlich sind (Rule 33). Die Mitarbeiter der Kanzlei sorgen auch für die Vervollständigung dieser Akten. Den Juristen der Kanzlei obliegt außerdem die erste Einschätzung der Erfolgsaussichten der Beschwerde.[67]
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Sind die Akten vollständig, weist der bearbeitende Jurist die Beschwerde vorläufig einem Entscheidungsorgan zu. Außerdem bereitet die Kanzlei auf Anweisung des (richterlichen) Berichterstatters[68] (siehe Rn. 300) auch Entscheidungs- und Urteilsentwürfe unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs vor.[69] Zu den Aufgaben der Kanzlei gehört ferner die Öffentlichkeitsarbeit. Sie sorgt für die Zugänglichkeit der Rechtsprechung und verbreitet auch aktuelle Informationen und Statistiken zur Tätigkeit des Gerichtshofs.[70]
Anmerkungen
Der Text der EMRK nebst Ratifikationsstand und die Verfahrensordnung des EGMR sind über die Homepage des Gerichtshofs (www.echr.coe.int) erhältlich.
Die Konvention ist von 47 Mitgliedstaaten des Europarates СКАЧАТЬ