Nietzsche aus Frankreich. Jacques Derrida
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Название: Nietzsche aus Frankreich

Автор: Jacques Derrida

Издательство: Bookwire

Жанр: Философия

Серия:

isbn: 9783863936082

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СКАЧАТЬ Mensch Angst; das Mögliche, das er in sich trägt, macht ihn erzittern; das Mögliche, das, was er wäre, wenn er dazu die Kraft – oder das Herz – hätte, macht aus ihm diesen flüchtigen, müden, furchtsamen Schatten. Je näher er diesem Möglichen kommt, desto mehr höhlt ihn die Versuchung, ihm zu entgehen, aus. Demgegenüber will ich hier die anhaltende Strenge herausstellen, die unbefangene, furchtlose Redlichkeit – eine, die unermüdlich das eigene Falschspiel eingesteht –, die die Konzessionen auf das Notwendige beschränkt und niemals gestattet, nicht »souverän zu sein«. Das ist weder der feindselige Eigensinn der Askese noch die nüchterne Arbeit, aus der der Zusammenhang der Gedanken hervorgeht. Es ist nicht die äußerste Konsequenz und äußerste Energie des Verhaltens (das ist der Heiligkeit zu eigen). Es ist nicht die Beschränktheit der wissenschaftlichen Untersuchungen, die zum Verzicht führt. Ich werde vermeiden, von der Poesie zu sprechen, die dem Falschspiel um so näher kommt, als sie im umgekehrten Sinne unmittelbar zum Gipfel führt, wie es scheint… Noch nicht! … die authentische Verwirrung der Ohnmacht und die Anziehungskraft der Unvernunft trennen sie von ihm… Es handelt sich schließlich um Klarsicht und Vergessen, um Stille und stürmische Freude, um übermäßige Freiheit, um die Anmut der Gleichgültigkeit.

      NIEMAND KANN NIETZSCHE AUTHENTISCH LESEN, OHNE NIETZSCHE ZU »SEIN«.

      Ich verstehe darunter: ohne sich völlig und unwiderruflich in genau der Situation zu befinden, in der er sich befand. Anderenfalls geht es um sehr schlechte Gründe (vielfältige Kenntnisse oder Eklektizismus zur Schau stellen – auf die Fassade hin leben – eine aufgeblasene Persönlichkeit kultivieren – sich unfähig zur Freiheit wissen, aber melancholisch ihre Luft schnuppern…).

      Das einzige Motiv, das die Nietzsche-Lektüre rechtfertigt und ihren Sinn begründet, ist, vor der Entscheidung zu stehen wie er, ohne eine Wahl zu haben. … Was Nietzsche an der Wende im geschichtlichen Lauf der Dinge, an der er sich befand, versagt war, war die Möglichkeit zu dienen; nichts erschien ihm wertvoll genug, um geliebt zu werden. Er litt darunter, machte auch löbliche Anstrengungen (im Hinblick auf Richard Wagner zum Beispiel). Sein Vaterland? man hat nicht gezögert, zu sagen, daß er es trotz des Hasses, den er bekundete, liebte; immerhin aber schien es ihm weit davon entfernt, wert zu sein, daß man ihm diene. Das politische Handeln, die Reform der Gesellschaft, die unvermeidliche Revolution? Allenfalls ist darüber zu sagen, daß sie ihn mit tiefer Sorge erfüllte, nicht ohne Feindseligkeit gegenüber ihrer Ethik, zumindest kämpfend, um seine Gleichgültigkeit zu rechtfertigen. Gott war der Gegenstand einer fundamentalen Enttäuschung…

      Wenn nichts, weder das Vaterland noch das tätige Menschsein noch Gott, ihm seines Dienstes wert erschien, wenn er nicht geneigt war, einem erbärmlichen Ehrgeiz zu dienen (dem Reichtum oder persönlichen Erfolgen ohne Glorie), mußte er einer unruhigen Luizidität gegenüber souverän sein. Die Krankheit verschärfte die Situation (doch hätte sie sie nicht schaffen können). Es kam der Augenblick, da er nichts mehr auf später verschieben konnte, zum Beispiel auf die Suche nach diesem, das eines Tages zu jenem dienen würde. Es gab kein Jenes mehr, das gültig wäre, er hatte auf der Stelle zu leben, auf eine Weise, die ihm notfalls trotz seiner Niedergeschlagenheit wert erschiene, gelebt zu werden. Gewiß, man kann nicht von außen über ihn sprechen, wenn man sich nicht selbst in einer Situation befunden hat, die man nur kennen kann, wenn man sie selber erfahren hat. Im allgemeinen wird der Geist von dringenden Problemen belästigt, die nur insoweit Bedeutung haben, als nichts dringlich ist. Wir sind immer (fast immer) bestrebt, nützlich zu handeln; das dispensiert uns davon, zu existieren.

      Die Entscheidung, von der ich spreche, hat kaum eine Chance, uns persönlich zu betreffen. Es ist stets möglich, Gott oder dem Staat zu dienen. Wer keins von beiden liebt, dem bleibt noch die Revolution. Überhaupt genügt eine beliebige Tätigkeit, vor allem eine von schmutzigem Interesse, oft aber auch eine gemeinnützige, um die meisten zufriedenzustellen. Das soll nicht heißen, daß die Menschen gewöhnlich niemals souveräne Augenblicke haben, sondern daß das auf hinterhältige Weise geschieht. Sie sind scheinbar unterwürfig und erkennen Wert nur dem Ernst der Sache selbst zu, für die sie leben (die der private Gewinn wie das öffentliche Interesse sein kann). Ihre souveränen Verhaltensweisen, die immer unvernünftig und oftmals uneingestehbar sind – so sehr, daß umgekehrt, aber komplementär dazu das Uneingestehbare in den Augen des luziden Menschen das Zeichen der Souveränität ist –, halten sie für geringfügig und unbedeutend. Der gesunde Menschenverstand erachtet einen unnützen oder ruinösen Akt für einen Scherz, wenn nicht für einen Fehltritt, den man besser nicht wiederholen wird. Oder es ist eine Entspannung, und am nächsten Morgen bekommt der Ernst wieder seinen Wert. Die Bewußtlosigkeit ist übrigens gar nicht selten. Und auch nicht die Komödie! Der Erstbeste trägt die Ungeniertheit zur Schau, hat jedoch nur die Kraft, sie zu heucheln; der angeblich Tolle ist scharfsinnig, wenn er allein ist; er fängt sich dann wieder, oder wenn er fortfährt, schwitzt er Ängste; die souveräne Haltung ist gezwungen, und sie bekennt am Ende das Falschspiel oder die Verzagtheit ein.

      Nach dem Gesagten – nachdem die Stellung Nietzsches definiert ist – ist meine Intention klar ersichtlich. Ich glaube, daß in der heutigen Welt keine Einstellung außer der des Kommunismus und der Nietzsches annehmbar ist. Andere Einstellungen bleiben möglich…: die geschichtlichen Bedingungen, unter denen sie einen Sinn hatten, sind nicht mehr voll gegeben. Die Kommunisten haben recht, wenn sie von gewissen Denkweisen sagen, daß sie eine gleitende soziale Organisation widerspiegeln, die zum Verschwinden СКАЧАТЬ