Название: Völkerrecht
Автор: Bernhard Kempen
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Grundbegriffe des Rechts
isbn: 9783811441316
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IV. Ausnahmen
Nach Maßgabe der UN-Charta bilden Zwangsmaßnahmen des → Sicherheitsrates nach Kapitel VII UN-Ch. (→ System kollektiver Sicherheit) sowie Maßnahmen individueller und kollektiver → Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Ch.) die ausdrücklichen Ausnahmen vom universellen Gewaltverbot. Die „Feindstaatenklauseln“ (Art. 53 und Art. 107 UN-Ch.), welche die dritte Ausnahme vom Gewaltverbot darstellten, sind durch den Abschluss von Friedensverträgen nach dem Zweiten Weltkrieg und die Aufnahme der ehemaligen Feindstaaten in die UNO rechtlich obsolet geworden.
Ob darüber hinaus weitere Ausnahmen vom Gewaltverbot bzw. Rechtfertigungsgründe für die Androhung und Anwendung militärischer Gewalt bestehen, ist äußerst umstritten. Diskutiert wird dies insb. für die → humanitäre Intervention. Unklar ist die Rechtslage zudem bei der Rettung eigener Staatsangehöriger im Ausland. In dieser Konstellation entsendet ein Staat militärische Einheiten zu einem gezielten, punktuellen Einsatz auf fremdes Staatsgebiet, um sich dort befindende eigene Staatsangehörige – ggf. auch die Angehörigen befreundeter Staaten – aus einer gefährlichen, regelmäßig sogar lebensbedrohlichen Situation zu befreien. Das ist dann völkerrechtlich zulässig, wenn insoweit die ausdrückliche Einwilligung des von der Intervention betroffenen Staates vorliegt. Derartige Einsätze hat es bereits häufiger gegeben (z. B. Rettung deutscher und anderer Staatsangehöriger in Albanien durch die Bundeswehr im Rahmen der Operation Libelle 1997). Liegt keine Einwilligung vor, dann ist grundsätzlich von einem Verstoß gegen Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch. auszugehen (wie bei der Aktion israelischer Militäreinheiten 1976 in Entebbe (Uganda), bei der Passagiere eines von Terroristen entführten Flugzeuges befreit wurden). Das Selbstverteidigungsrecht (Art. 51 UN-Ch.) scheidet als Rechtfertigungsgrund aus, da die Bedrohung eigener Staatsangehöriger im Ausland keinen bewaffneten Angriff gegen den intervenierenden Staat darstellt. Allerdings hat die Staatengemeinschaft solche offensichtlich der Rettung von Einzelpersonen dienenden Maßnahmen bislang weithin akzeptiert, also nicht den Vorwurf der Verletzung des universellen Gewaltverbotes erhoben. Mit diesem politischen Akzeptieren einer für alle einsehbaren militärischen Notwendigkeit geht jedoch noch nicht die Begründung eines neuen, im → Völkergewohnheitsrecht wurzelnden Rechtfertigungsgrundes einher. Dafür fehlt es insb. am nötigen Rechtsbindungswillen der Staaten. Außerdem wäre ein solcher Rechtfertigungsgrund in seinen inhaltlichen Anforderungen kaum zu präzisieren, wodurch die Gefahr des politischen Missbrauchs deutlich gesteigert würde.
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