Название: Beweisantragsrecht
Автор: Winfried Hassemer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Praxis der Strafverteidigung
isbn: 9783811448209
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Teil 2 Die Stufen der petitativen Einflussnahme auf den Umfang der Beweisaufnahme › IV. Der bedingte Beweisantrag › 1. Bedingung aus der Sach- oder Prozesslage
1. Bedingung aus der Sach- oder Prozesslage
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Ein wichtiges Verteidigungsinstrument stellen die bedingten Beweisanträge dar, die während der Beweisaufnahme gestellt werden und bei denen die Beweiserhebung davon abhängen soll, ob eine für den Antragsteller bei der Antragstellung ungewisse Sach- oder Prozesslage eintritt. Diese kann in einer rechtlichen Würdigung oder in einer Sachverhaltswürdigung bestehen.
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Beispiel:
„Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht die nachstehend unter Beweis gestellte Tatsache nicht bereits aufgrund der bisherigen Beweisaufnahme als erwiesen ansehen sollte, wird beantragt, noch den Zeugen … zu vernehmen, zum Beweis der Tatsache …“
oder:
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„Für den Fall dass das Gericht die folgenden strafmildernd zu berücksichtigenden Tatsachen nicht glaubt als wahr unterstellen zu können, wird beantragt …“
Weitere Beispiele sind die Glaubwürdigkeit eines vernommenen Zeugen oder das Verhalten (z.B. die Anträge) eines anderen Verfahrensbeteiligten.
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Da das Gericht über einen solchen bedingten Beweisantrag im Rahmen der Beweisaufnahme gemäß § 244 Abs. 3-5 StPO entscheiden und die Ablehnung gegebenenfalls förmlich durch Beschluss (§ 244 Abs. 6 S. 1 StPO) bekannt geben muss, handelt es sich hierbei um ein für die Verteidigung wichtiges Instrument der „Früherkennung richterlicher Beweiswürdigung“[12]. Die Art und Weise der Behandlung seines Antrags durch das Gericht gibt dem Verteidiger nämlich die Möglichkeit, Rückschlüsse auf den Meinungsstand des Gerichts zu ziehen.
Dabei sind im Wesentlichen folgende Varianten möglich:
• | Dem Beweisantrag wird stattgegeben, indem der Vorsitzende die Ladung des benannten Zeugen verfügt. Dies ist für den Verteidiger ein Hinweis darauf, dass das Gericht noch nicht von der Richtigkeit der unter Beweis gestellten Tatsache überzeugt ist. Andererseits darf die Aussagekraft dieser konkludenten „Mitteilung“ über die bisherige Beweiswürdigung nicht überschätzt werden, weil die Ladung des Zeugen auch schlicht bedeuten kann, dass das Gericht sich noch nicht festlegen möchte. |
• | Lehnt das Gericht den Beweisantrag durch Beschluss mit einer anderen als der im Antrag „angebotenen“ Begründung ab, so gelten keine Besonderheiten gegenüber dem Aussagewert einer sonstigen Zurückweisung eines Beweisantrages i.e.S. |
• | Lehnt das Gericht den Beweisantrag mit der Begründung ab, dass seine ausdrückliche Bedingung nicht eingetreten ist (dass das Gericht also die unter Beweis gestellte Tatsache bereits als erwiesen ansieht), so steht diese Tatsache für das weitere Verfahren fest (s. dazu im Einzelnen unten Rn. 476). |
• | Bescheidet das Gericht den Beweisantrag überhaupt nicht durch Beschluss, so legt es sich damit ebenfalls auf den unter Beweis gestellten Sachverhalt fest, weil die darin an sich liegende Verletzung des § 244 Abs. 6 S. 1 StPO nur unter der Voraussetzung, dass das Tatgericht spätestens im Urteil die unter Beweis gestellte Tatsache als erwiesen ansieht, im Revisionsrechtszug das Urteil nicht gefährdet.[13] |
Teil 2 Die Stufen der petitativen Einflussnahme auf den Umfang der Beweisaufnahme › IV. Der bedingte Beweisantrag › 2. Der Hilfsbeweisantrag
2. Der Hilfsbeweisantrag
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Hierbei handelt es sich um einen Sonderfall[14] des bedingten Beweisantrages. Die Bedingung für das Beweisbegehren besteht darin, dass das Gericht einem vom Beweisführer gestellten Hauptantrag nicht entspricht.
Der regelmäßig im Schlussvortrag gestellte Beweisantrag bedarf nicht einer ausdrücklichen Bezeichnung als „Hilfsantrag“, solange durch die Verbindung mit einem (unbedingten) Hauptantrag unzweifelhaft ist, dass die Verteidigung in erster Linie die mit diesem begehrte Sachentscheidung (zumeist den Freispruch) anstrebt. Umgekehrt gilt allerdings ein Antrag, der im Schlussvortrag gestellt wird, im Zweifel als Hilfsantrag.[15] Aus diesem Grund sollte ein im Schlussvortrag gestellter unbedingter Beweisantrag ausdrücklich als solcher bezeichnet werden, um beim Gericht in dieser Hinsicht keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.[16] Werden an einem gesonderten Hauptverhandlungstag nach den Schlussanträgen noch weitere Beweisanträge gestellt, dann werden diese hingegen nicht ohne Weiteres als Hilfsbeweisanträge gewertet. Der Antragsteller muss vielmehr klarstellen, ob er die Anträge unter einer bestimmten Bedingung stellt oder ob er sie als selbständige Beweisanträge gewertet wissen will, die von seinem Hauptantrag völlig unabhängig sind.[17]
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Ist ein Beweisantrag hilfsweise für den Fall gestellt, dass das Gericht nicht ohnedies zum Freispruch gelangen sollte, so wird über ihn in der Urteilsberatung entschieden. Entspricht das Gericht dem Hauptantrag nicht, d.h. gelangt es in der Schlussberatung zu der Überzeugung, dass ein Schuldspruch zu ergehen hat, dann tritt damit die im Antrag enthaltene Bedingung für das Beweiserhebungsverlangen ein. Sieht das Gericht Veranlassung, den beantragten Beweis zu erheben, so muss es erneut in die Beweisaufnahme eintreten. Will es den Antrag ablehnen, so braucht es die Ablehnungsgründe erst zusammen mit den Urteilsgründen bekannt zu geben.[18] Der Antragsteller erfährt in einem solchen Fall also erst mit der Urteilsbegründung, aus welchem Grund das Gericht seinem Beweiserhebungsverlangen nicht entsprochen hat.
Dieses Ergebnis ist mit einer konkludenten Verzichtserklärung des Antragstellers begründet worden: Wer einen Antrag von einem Umstand abhängig mache, über den erst in der Urteilsberatung befunden werde, der gebe damit zu erkennen, dass es ihm nicht darauf ankommt, dass über seinen Antrag noch vor der Urteilsverkündung entschieden wird. Andernfalls würde er den Antrag ohne die Bedingung stellen.[19] In Rechtsprechung und Lehre umstritten ist jedoch, welche Konsequenzen sich hieraus ergeben.
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Nach zutreffender Ansicht folgt aus dem Umstand, dass der Zeitpunkt, zu dem über den Hilfsantrag entschieden werden muss, maßgeblich aus dem Verhalten des Antragstellers abgeleitet wird, die Befugnis des Antragstellers, durch ausdrückliche Erklärung den weiteren Verfahrensverlauf zu bestimmen. Soll in der hilfsweisen Antragstellung im Schlussvortrag ein Verzicht auf die Mitteilung der Gründe für eine eventuelle Antragsablehnung vor der Urteilsverkündung liegen, dann muss der Antragsteller auch die Befugnis besitzen, hierzu eine eigene Erklärung abzugeben. Er kann deshalb durch einen entsprechenden Zusatz zu seinem СКАЧАТЬ