Название: Mettes Flucht in den Tod
Автор: Jürgen Hoops von Scheeßel
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783838262291
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Es war später Nachmittag. Die Apothekerfamilie Aldendorfer hatte sich vor ihrem Haus an der schmalen, kopfsteingepflasterten Straße versammelt, die parallel zur Vorstadt verlief. Georg Aldendorfer, das Familienoberhaupt, war in ein angeregtes Gespräch mit dem Rotenburger Küster vertieft, als sie die plötzliche Unruhe, die die Menschen auf der Straße ergriff, aufhorchen ließ. Aldendorfer und der Küster blickten gespannt auf.
Sie erkannten Meister Hans, den hiesigen Henker, der auf seinem kräftigen Rappen aus Richtung der Burg kommend, langsam auf sie zuritt. Hans schleifte einen großen, länglichen Gegenstand an einem Strick über das Steinpflaster.
Als er nur noch einen Steinwurf entfernt war, schnappte Aldendorfer nach Luft. Nun konnten er und die Umstehenden erkennen, was Hans so achtlos hinter sich herzog: Es war ein Mensch, am Hals angebunden, mit zerrissenen Kleidern, blutig geschunden. Schockiert und gleichsam neugierig versuchte Aldendorfer, das Geschehen genauer zu erfassen. Das Geschöpf war eine alte Frau, das erkannte er jetzt, Arme und Beine hingen schlaff am Körper. Die Frau war tot.
Regina, Aldendorfers Frau, ließ ein Wimmern ertönen, sie drehte sich zur Seite und erbrach sich. Sie hatte die Tote erkannt. Es war Mette Meinken.
Als der schauerliche Reiter vorbeigezogen war, sagte der Küster zu Georg: „Das muss die alte Meinken gewesen sein. Sie hat sich heute Morgen in der Zelle umgebracht. Ich weiß es von meinem Schwager.“
„Was ist eigentlich mit dem Fuhrmann und seiner Tochter?“, fragte er den Küster vorsichtig. Der zuckte kurz mit den Schultern, verabschiedete sich rasch und entfernte sich eilends. Auch ihm war übel geworden. Er wollte es sich nur nicht anmerken lassen.
Im Amt verbreitete sich die Kunde wie ein Lauffeuer:
„Die alte Hexe Mette ist tot!“
Das Niedersachsenhaus 1
1 Abb 4 ...aus Gerhard Eitzen, Bauernforschung in Deutschland, Seite 416, Abb.A, Zweiständerhaus mit Walmdach, erbaut 1650
Kapitel 1
Die Jahre 1596 - 1623
Es war ein bitterkalter Winterabend im Januar 1604. Seit Tagen hatte ein eisiger Wind über die geschlossene, kniehohe Schneedecke geweht, dabei bizarre Formen und Wehen um jedes noch so kleine Hindernis geformt. Die Sonne spiegelte sich dabei in der Verschmelzung der Eiskristalle, als lächle sie und habe dazu noch Freude am Treiben der Naturgewalten.
In diesen Tagen ging niemand auch nur einen Schritt nach draußen, wenn er es nicht wirklich musste.
Die Menschen in den umliegenden Dörfern hielten die Türen und Fenster fest verschlossen, ja sie verstopften sogar die Ritzen mit alten Lappen, da sonst die wenige lebensnotwendige Wärme nach draußen entwichen wäre. Türen wurden verrammelt und die geschlossenen Fensterläden ließen kein Licht in die Häuser. Da sich in den Dörfern kaum jemand Fensterglas leisten konnte, waren die Rahmen der kleinen Fensteröffnungen mit Tierhäuten bespannt, die auch an hellen Sommertagen wenig Licht in das Innere der großen Fachwerkhäuser ließen.
Harm Hoops, der Bauer und Familienvater, saß an diesem Abend mit seinen nunmehr 49 Jahren dick eingehüllt im Kreise seiner Familie am Flettfeuer, das die lebensspen-dende Wärme sicherte.
Harm sah seinen Sohn und Nachfolger Joachim dankbar und anerkennend an, denn dieser hatte ohne Anstoß von ihm bereits im Herbst die Löcher und Ritzen des Hauses durch den Großknecht Peter mit Lehm und Stroh zuschmieren lassen. Das Werk war zwar gut geraten, trotzdem bibberten sie alle im Hause fürchterlich vor Kälte und ihre Gesichter waren von dieser eisigen Frische gerötet. Die Bärte und Augenbrauen waren trotz Feuer und dicker Winterkleidung mit Eiskristallen überzogen, denn die Temperaturen lagen gleichwohl unter dem Gefrierpunkt.
Die Körperwärme der Menschen und der Tiere, die ja nicht nur in einem Haus, sondern auch in einem Raum lebten sowie das kleine offene Feuer waren die einzigen Wärmequellen in den ungedämmten Häusern jener Zeit.
Neben Harm und seiner Frau Adelheid saßen der ihnen als einziger gebliebene und inzwischen zwanzig Winter alte Sohn Joachim, der betagte Großknecht Peter und die 13-jährige Jungmagd Abelke. Sie saßen auf groben Holzbänken, die um das kleine Feuer gestellt waren, welches in diesen Tagen nicht ausgehen durfte.
Lediglich Harm und seine Frau saßen auf Stühlen, deren Sitzflächen mit einem Geflecht aus Weidenrinde versehen waren.
Das Brennholz, um die Feuerstelle auf diesem Hof auch über einen langen Winder zu versorgen, war vorhanden. Andere hatten keine so üppigen Holzvorräte und ertragreichen Höfe vorzuweisen wie Harm in Höperhöfen.
Sie heizten überwiegend mit Torf, Heide oder auch gar nicht mehr, weil nichts mehr zum Verbrennen vorrätig war. Der diesmal schon sehr früh hereingebrochene und lang andauernde, ungewohnt kalte Winter hatte bei manchem alles Brennbare aufgezehrt. Selbst Möbel, so berichtete man, hätten einige bereits der Not geopfert.
Dass es Harms Familie besser ging, schürte nicht nur Neid, es brachte auch Hass hervor, denn nicht Wenige waren in ihren Häusern bereits verhungert oder gar erfroren.
Harm hatte noch zwei weitere Jungknechte. Diese waren von Harm zur Wintersonnenwende zu ihren Familien entlassen worden und würden in wenigen Tagen zurückkehren.
Der heutige Abend aber war für die Familie auch ein besonders trauriger Tag.
Harms jüngster Sohn Warneke wäre heute 18 Jahre alt geworden, wenn er noch leben würde. Ihnen war nur Joachim geblieben. Die anderen Kinder von Harm und Adelheid waren schon früh an Masern oder Schürken verstorben. Adelheid war eine der wenigen Frauen im Kirchspiel Sottrum, die als Hebamme tätig war. Doch auch sie blieb von Schicksalsschlägen nicht verschont.
Abelke, die Jungmagd, wusste zwar aus Erzählungen durch den Großknecht, dass der jüngere Bruder von Joachim tot war, aber nicht warum.
Sie war nun schon beinahe seit einem Jahr auf dem Hof und es gefiel ihr hier, auch wenn die Arbeit schwer und die Tage lang waren. Sie hatte sich entschlossen, auch Hebamme zu werden und es bei der Bäuerin zu lernen.
So fragte sie Adelheid und sah sie dabei erwartungsvoll, zugleich aber auch zurückhaltend an.
„Was ist mit Joachims Bruder geschehen und wie ist er gestorben?“, wollte sie wissen.
Harm und Adelheid sahen sich an und Harm nickte nach einer Weile zustimmend. Adelheids Lippen wurden sehr schmal und ihre Augen schlossen sich, als ginge sie in sich. Harm spuckte seinen Priem hinter sich auf den Boden, sah nachdenklich in die Runde und begann in einem ruhigen, aber schwermütigen Ton zu erzählen.
„Heute wäre unser Warneke 18 Jahre alt geworden. Du weißt sicherlich, dass meine Frau als Bademutter überall gebraucht wird. Diese wichtige Aufgabe ist bei vielen aber leider mit einem Makel behaftet. Diese Vorurteile waren mir schon als junger Mann bekannt und die Reformation mit der Einführung hier bei uns in der Gegend, da war ich 15 Jahre alt, hat daran nichts verändert. Dennoch habe ich meine Adelheid geheiratet“.
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