1.4 Das Modell der Organisationssysteme
Um die Komplexität im Unternehmen, um die Dynamik des Systems fassen und beeinflussen zu können, ist eine Klassifizierung hilfreich. Vier Kategorien von Betrachtungsperspektiven helfen bei Organisationssystemen:
Abb. 2
– die Systemstruktur
– die Systemprozesse
– die Systembalancen
– die Systempulsation
Die Systemstruktur: Aufmerksamkeit, Rollen und Systembeziehungen (A, R und S)
[AUFMERKSAMKEIT] Die Systemstruktur enthält die Systemaspekte, die als strukturelle Bedingungen wirken. Wir beginnen mit der grundlegenden Dimension der Aufmerksamkeit: Wohin wird in einer Organisation die Aufmerksamkeit gerichtet? Jede Organisation hat zu einem bestimmten Zeitpunkt ihre wesentlichen Themen. Dort geht die Aufmerksamkeitsenergie hin. Insgesamt entsteht eine herrschende Wirklichkeitskonstruktion in diesem Unternehmen. Die kann richtig oder falsch, einheitlich oder chaotisch, klar oder nebulös sein. Auch die Elemente des normativen, strategischen und operativen Managements bekommen je nach Unternehmen ihre spezifische Aufmerksamkeit. Offizielle Struktur und Identitätsvorgaben stehen mehr oder weniger mit der tatsächlich gelebten Kultur im Spannungsverhältnis. Die herrschende Aufmerksamkeit ist der härteste Investitionslenker in Organisationen.
Die Struktur eines Unternehmen findet außerdem ihren äußeren Ausdruck in den vorhanden Rollen. [ROLLEN] Sie zeigen eine für jeden sichtbare Oberflächenstruktur einer Organisation. Die Rollen werden durch Personen ausgefüllt und werden dadurch in ihrer Qualität durch die Personen und ihre spezifischen Persönlichkeitsstrukturen mit Leben gefüllt. Andererseits wird auch eine Persönlichkeit in einer Organisation nur so wirksam, wie sie mit einer bestimmten Rolle verbunden wird.
Neben den Rollen charakterisieren die spezifischen Beziehungsstrukturen ein System. [SYSTEMBEZIEHUNGEN] Beziehungen bestehen zunächst auf der Rollenebene, sind aber ebenfalls auf der Ebene der Persönlichkeiten relevant. Wie stark die Rollenebene die Beziehungen und die Persönlichkeitsebene prägt, charakterisiert wiederum die einzelne Organisation. Hier gibt es sehr unterschiedliche Kulturen.
Die Systemprozesse: Kommunikation, Problemlösung und Erfolg (K, PL und E)
Es existieren drei grundlegende Prozesse, die in jedem unternehmerischen System beherrscht werden müssen. Alle Veränderungen und alle Beziehungen werden durch Kommunikation praktisch in Szene gesetzt und gestaltet. [KOMMUNIKATION] Ohne Kommunikation läuft in einem Unternehmen nichts. Der Organisationssoziologe Niklas Luhmann definiert Organisationen gar als Kommunikationszusammenhänge. Dennoch zeigt die Praxis: Wenn man gerade Veränderungsprozesse betrachtet, wird der Dynamik von Kommunikationsprozessen oft zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Der zweite grundlegende Prozess ist die Problemlösung. [PROBLEMLÖSUNG] Organisationssysteme haben die zentrale Aufgabe der Problemlösung. Dies beginnt schon bei der grundlegenden unternehmerischen Leistung, Lösungen für die Herausforderungen des Marktes zu produzieren. Dabei etablieren sich in jedem Unternehmen spezifische Muster, wie an Probleme heran gegangen wird. Ein Extrembeispiel dazu ist die Haltung »Bei uns gibt es keine Probleme«. Die Art, Entscheidungen zu fällen, genauso wie die Art, mit Konflikten umzugehen, sind charakteristische Problemlösungsmuster für eine Organisation.
Im dritten Systemprozess spiegelt sich die Erfahrung: [ERFOLG] »Keine Organisation kommt langfristig ohne Erfolge aus.« Alle Zielsetzungsprozesse machen nur im Zusammenhang mit Erfolgsprozessen Sinn. Die Handhabung der Erfolgsdynamik ist ein zentraler Ansatzpunkt für Energie und Motivation im unternehmerischen Handeln.
Die Systembalancen: Gleichgewicht und Rekursivität (Gg und R)
Lebende Systeme zeigen ein grundlegendes Streben nach Ordnung, Sicherheit und Überleben. [INNERE BALANCE-MUSTER VON ORGANISATIONEN] In Gleichgewicht und Rekursivität (dem sich Wiederholen von Mustern auf unterschiedlichen Ebenen der Organisation) werden wesentliche Prinzipien der Entwicklung von unternehmerischen Systemen deutlich. Diese Grundtendenz sagt noch nichts über die Qualität des Gleichgewichts aus. Die zuletzt so oft beschworene stetige Veränderung muss den Menschen immer wieder nahegebracht werden. Es ist nur die eine Seite der Entwicklung und viele erhoffen bei Veränderungen eigentlich nur die Ruhe danach. Möglichst ein Gleichgewicht zu erringen, ist eine Kraft in Systemen. Auch Visionen und Zielpunkte sind vorgestellte Gleichgewichte. Man macht sich mit diesen Instrumenten die Gleichgewichtstendenz zunutze. Häufig sind Gleichgewichte auch rückwärtsgewandt. Das, was einmal war, wird verklärt und erscheint als nostalgisches Gleichgewicht in der Erinnerung.
Die Rekursivität bezieht sich auf den Aspekt, inwieweit Systeme auf unterschiedlichen Ebenen gleiche Prinzipien zeigen. [REKURSIVITÄT] Wie eine russische Puppe, die in sich mehrere jeweils kleinere Spiegelbilder ihrer selbst enthält, zeigen Systeme auf unterschiedlichen Ebenen ähnliche Strukturen. Man muss nicht immer das Ganze erfassen, auch viele Teile beinhalten die wesentlichen Aspekte. Die »fraktale Beratung«, die einen Zipfel des Systems anpeilt, aber darin alle wesentlichen Aspekte zu berühren versucht, macht sich dies zunutze.
Die Systempulsation: Äußere Pulsation und innere Pulsation (ÄP und IP)
Pulsation ist die Veränderung der äußeren und inneren Grenzlinien eines Systems. [PULSIERENDE BEWEGUNGEN] Organisationssysteme zeigen über die Zeit pulsierende Bewegungen an inneren und äußeren Grenzlinien. Dabei gibt es sehr viele Möglichkeiten die äußere Grenzlinie zu ziehen. Ein Trend ist heute die Flexibilisierung der Grenzziehungen. Organisationen schöpfen gegenüber ihren Mitgliedern ein breites Spektrum an Arbeits-, Dienst-, Werk- und Beratungsverträgen aus. »Föderale« Organisationsstrukturen mit unterschiedlichen Mitarbeitergruppen, wie der Organisationsforscher Charles Handy sie nennt, sind die Folge. Offenheit bezeichnet die Grundfähigkeit eines Systems mit seinem Innen und dem Außen in Beziehung zueinander umzugehen.
Die inneren Grenzlinien haben in der Dynamik zwischen den Subsystemen entscheidende Folgen. Bereiche, Abteilungen und Gruppen stellen Subsysteme im Unternehmen dar. Aber auch Frauen und Männer, die Alten und die Jungen, die in der Zentrale und die »am Markt« können eigene Subsysteme bilden. Große Umstrukturierungen, strategische Neupositionierungen der Gesamtorganisation erzeugen neue Subgruppen. Im schlechten Fall stehen einigen Gewinnern viele Verlierer gegenüber. Subsysteme entstehen aber immer durch die Kategorien der Beobachter und Gestalter von Unternehmen.
Die vier Dynamikfelder beinhalten so insgesamt zehn Dimensionen. Der Stern zeigt die wichtigsten Perspektiven, ein unternehmerisches System zu betrachten.
Abb. 3
Abb. 4
Man kann die Betrachtung an einer beliebigen Stelle der folgenden Punkte beginnen. Die folgende Tabelle zeigt einzelne Fragen, wie man sich die Dimensionen im praktischen Beispiel erschließen kann.