Название: Dürnsteiner Würfelspiel
Автор: Bernhard Görg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783903200128
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Außerdem war ihr klar, dass für die erfolgreiche Vorzugsstimmenkampagne außer ihren Kundinnen, von denen sich die meisten neben ihrem entsprechenden finanziellen Background auch durch überdurchschnittlich hohes Selbstbewusstsein auszeichneten, vor allem ihre männlichen Fans verantwortlich waren. Das alleine würde aber für eine erfolgreiche Spitzenkandidatur nicht reichen.
Auch wenn sie wenig Freude mit ihrem offiziellen Vornamen hatte, wusste sie, dass sie mit ihren weizenblonden Haaren der Namensgeberin aus der Nibelungensage optisch alle Ehre machte. So sehr, dass ihr in der zweiten Klasse der Handelsakademie eine Klassenkameradin unter großem Hallo der ganzen Klasse den Vorschlag gemacht hatte, sich unbedingt nur von einem Siegfried entjungfern zu lassen. Ein Siegfried war aber nicht bei der Hand gewesen, und so hatte drei Monate später ein Oliver diese Aufgabe übernommen. Sehr ideologiefest war sie ja im Unterschied zu ihrer Mutter nie gewesen.
Die Boutique sollte laut dem Schild, das an der Innenseite der Eingangstür angebracht worden war, schon seit einer dreiviertel Stunde geöffnet haben. Doch Hilde Dahlmeyer hatte es nicht eilig, als sie von ihrer Wohnung am Dominikanerplatz, gleich neben dem Geburtshaus von Franz Liszts Mutter, in Richtung Schmidgasse ging.
Es war ein Fußmarsch von drei Minuten. Als sie am Körnermarkt beim Haus »Zu den vier Jahreszeiten« vorbeikam, stand gerade eine Touristengruppe davor, die sich von einem Stadtführer die Einzelheiten der prachtvollen Rokokofassade erklären ließ. Die Boutiquenbesitzerin, die trotz eines langen Abends aussah, als hätte sie mindestens neun Stunden tief und unschuldig geschlafen, tat so, als würde sie die Blicke der männlichen Touristen, die sich wie auf Kommando von der mehr als zweihundertfünfzig Jahre alten Fassade ab- und ihr zuwandten, nicht bemerken. Sie übersah jedoch auch die Touristin in ausgelatschten Schuhen nicht, die ihrem Begleiter den Ellbogen heftig in die Seite stieß.
Sie war derartige wortlose Komplimente gewohnt. Dennoch fand sie, dass der Rammstoß ihren Tag schon gerettet hatte, bevor er noch richtig beginnen konnte.
4. April, 11:05 Uhr
Gerhard Malzacher hatte beschlossen, das gefundene Skelett nicht mit besonderer Eile zu behandeln. Die Spurensicherung würde ohnehin mit ihrer gewohnten Mischung aus Schnelligkeit und Genauigkeit arbeiten, ohne dass er ihr im Nacken sitzen musste. Die Herrschaften würden nur bockig werden. Was den Arbeitseifer des Gerichtsmediziners anging, der von Wien nach Krems beordert worden war, und den er nicht persönlich kannte, war er da nicht so sicher. Aber auch das war für Spencer kein Problem. Wenn der sich Zeit lassen wollte, bitte sehr.
Er telefonierte gerade mit dem Chef der Schiedsrichterbesetzungskommission der niederösterreichischen Fußballlandesliga. Bei dem wollte er seinen Wunsch deponieren, nicht gleich wieder als Spielebeobachter bei einem Match hoch im Norden an der tschechischen Grenze eingesetzt zu werden. Als er gerade seine Gründe erklären wollte, steckte einer seiner Mitarbeiter den Kopf zur Tür herein. Spencer, der sich bei dieser Art von Telefonaten besonders ungern unterbrechen ließ, bedeutete dem Mitarbeiter mit einer unmissverständlichen Geste, die Tür gefälligst wieder von außen zu schließen. Das lag nicht daran, dass er vor seinen Mitarbeitern den Inhalt dieser Gespräche geheim halten wollte. Im Gegenteil, die ganze Mordkommission wusste über das Wochenendhobby ihres stellvertretenden Chefs Bescheid. Sie wussten auch, dass er zur Vorbereitung seines Freizeitvergnügens die Dienstzeit und das Diensttelefon benützte. Aber der Chef der Schiedsrichterbesetzungskommission war ein vielbeschäftigter Mann, den man schwer ans Telefon bekam.
Der Mann, der zu einem blitzartigen Rückzug aufgefordert wurde, schien dieses Zeichen entweder nicht bemerkt zu haben oder zu ignorieren. Er blieb nicht nur stehen, sondern bedeutete seinem Chef mit einer Auf- und Abwärtsbewegung der geschlossenen linken Hand, den Hörer aufzulegen. Diese Geste war ebenfalls unmissverständlich.
Spencer entschuldigte sich bei seinem Gesprächspartner mit einem Notfall und versprach, später noch einmal anzurufen. Dann wandte er sich dem Störenfried zu. »Ich kann für dich nur hoffen, dass es wirklich wichtig ist. Sonst kannst du in deinem Heimatkaff wieder Streife schieben.«
Malzacher grinste. »Dann wäre ich dich endlich als Chef los. Aber leider ist es wirklich dringend. Ich habe den Gerichtsmediziner am Apparat. Und er muss in spätestens drei Minuten weg.«
»Warum sagst du mir das nicht gleich? Worauf wartest du noch? Dalli, Dalli. Aber wie der Blitz, wenn ich bitten darf.«
Keine zehn Sekunden später hatte er den Mediziner am Apparat. Mit einer Lautstärke, die vielleicht einem Telefonat von der niederösterreichischen Metropole in die Hauptstadt von Burkina Faso angemessen gewesen wäre, begrüßte er seinen Gesprächspartner in Wien.
»Jetzt sagen Sie bloß, Sie können mir schon etwas über das Skelett erzählen. Dann arbeiten Sie ja schneller, als die Polizei erlaubt.«
»In Wien gibt es bei der Arbeit keine Geschwindigkeitsbeschränkung. Ich habe nicht gewusst, dass das in St. Pölten anders ist.«
Dem Chefinspektor war der ironische Ton natürlich nicht entgangen. »Den Rüffel habe ich verdient. Gefällt mir. Dann schießen Sie bitte los!«
»Sehr viel, das Sie weiterbringen wird, kann ich Ihnen leider nicht bieten. Der Verwesungsprozess der Knochen ist schon stark fortgeschritten. Ich bin allerdings sicher, dass das Skelett von einer Frau über sechzig stammt. Wahrscheinlich deutlich über sechzig. Circa ein Meter sechzig groß und wahrscheinlich eher von der dünnen Sorte. Und sie hatte eine künstliche rechte Hüfte. Gut erkannt. Nur leider wurde sie teilweise zertrümmert. Das kann aber erst vor Kurzem geschehen sein.«
»An der Zertrümmerung ist der Finder des Skeletts schuld. Unfreiwillig. Stimmt es übrigens, dass künstliche Gelenke alle eine Kontrollnummer haben müssen?«
»Prinzipiell schon, die Hüfte hat aber nur mehr Spuren davon. Ich bezweifle, ob Ihnen die Reste weiterhelfen werden.«
»Habe ich mir schon gedacht.« Spencer, der sich Notizen machte, konnte seine Ungeduld nur schwer zügeln. »Haben Sie schon eine Einschätzung, wie lange die Frau unter der Erde gelegen sein könnte?«
»Nachdem es keine Spur von Haaren mehr gibt und von den Zähnen auch nicht mehr viel übrig ist, würde ich sagen mindestens fünfzehn und maximal fünfundzwanzig Jahre. Bei einem reinen Lehmboden könnten es sogar ein bisschen mehr sein.«
»Anzeichen von Gewaltanwendung?«
»Sicher keine Schussverletzung und auch kein Schlag durch einen schweren Gegenstand. Der linke Ringfinger fehlt. Die Knochenfragmente sind an der Stelle sehr ausgefranst. Könnte sein, dass der Finger unsachgemäß entfernt worden ist. Aber viel Geld würde ich darauf nicht setzen. Tut mir leid.«
»Wie heißt es so schön in der Bibel, oder wo immer das steht: Ich bin so klug als wie zuvor. Ich habe nichts anderes erwartet. Die Frau könnte aber erwürgt oder vergiftet worden sein?«
»Die Frage, ob die Frau stranguliert worden ist, wird Ihnen kein Gerichtsmediziner der Welt beantworten können. Beim Gift sieht es anders aus. Ihnen brauche ich ja nicht zu erklären, dass sich einige Gifte in den Knochen eine Ewigkeit lang nachweisen lassen. Ganz nebenbei bemerkt: Das Zitat steht nicht in der Bibel, sondern im ›Faust‹.«
»Danke für den Hinweis. Aber dafür wissen Sie sicher nicht, wie letzten Sonntag der SV Würmla gegen den СКАЧАТЬ