Original Linzer Tortur. Erich Wimmer
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Название: Original Linzer Tortur

Автор: Erich Wimmer

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783903200104

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СКАЧАТЬ denn einen Menschen getroffen, dem sich das Spektrum sympathischer Sehnsüchte aus dem Klang von Unter- und Obertönen erschloss.

      »Haben Sie Psychologie studiert?«, fragte Korab seine Gastgeberin.

      »Ja«, antwortete Frau Rabental, »an der besten Universität, die es dafür gibt, dem KZ. Wenn Sie jahrelang jeden Tag mit Ihrer Ermordung rechnen müssen, dann entwickeln Sie Sinne, die es Ihnen erlauben, Stimmen zu lesen. Selbst als Kinder, die wir damals waren, mussten wir im Lager eine übermenschliche Aufmerksamkeit entwickeln. Und glauben Sie mir, Herr Korab, nicht was ein Mensch sagt, sondern wie er es sagt, entscheidet über Nähe und Ferne, über Sinn und Unsinn, über Leben und Tod.«

      »Kann man dieses Stimmenlesen auch ohne Todesgefahr lernen?«, fragte Korab.

      »Vermutlich können das alle Künstler«, antwortete Frau Rabental. »Wissen Sie, ich habe auch nicht davon geträumt, Werklehrerin zu werden. Eigentlich wollte ich Bildhauerin werden, aber mein Schicksal hatte etwas anderes mit mir vor. Und ich habe mich gefügt. Sie haben sich noch nicht gefügt. Sie sind noch auf der Suche. Und wenn Sie mir nicht helfen, weil Sie meinen Fall für aussichtslos oder finanziell unergiebig halten, dann muss ich auf die Wiedergutmachung verzichten. Ich kann mir keinen teuren Detektiv leisten. Ehrlich gesagt habe ich auch bei ein paar anderen Detekteien angefragt. Aber dort sind die Preise astronomisch.«

      Genau das hatte Korab befürchtet. Dieses wasserwaldwilde Knusperhäuschen war in Wahrheit eine Zwickmühle. Genau deshalb hatte er die anderen Möglichkeiten zumindest andiskutiert. An ihn wandte sich nur eine ganz besonders gebeutelte Menschengattung, die der hilflosen Hungertuchnager. Schon an seine Wiege war das Schicksal mit der Posaune herangetreten und hatte verkündet, dass seine zukünftigen Klientinnen entweder junge Malerinnen ohne fixes Einkommen sein würden, wie in seinem letzten Fall Julia Hofer, oder alte Werklehrerinnen wie Frau Sarah Rabental, deren Pension so klein war, dass man sie sogar mit dem Elektronenmikroskop vergeblich suchte. Korab gebot sich, nicht zu seufzen.

      »Ein wenig Bakschisch müssen Sie mir aber schon zahlen. Immerhin habe ich laufende Recherchekosten. Die halte ich so gering wie möglich – ebenso wie meinen Stundenlohn. Das kann ich aber nur, weil mich geniale Freunde unterstützen. Deren Geduld und Mitgefühl ist für mich heilig. So heilig, dass ich sie auf gar keinen Fall über Gebühr beanspruchen werde. Also brauche ich auch von meinen Kunden immer wieder einmal das, was Sie mir am Anfang unserer Begegnung zukommen haben lassen, echtes, gültiges Bargeld.«

      »Ich verstehe Sie natürlich und danke Ihnen sehr«, sagte Frau Rabental. »Über ein kleines Grundeinkommen verfüge ich ja … und, Herr Korab, seien Sie versichert, dass ich Sie garantiert nicht vergesse, sollte ich das Haus an der Landstraße tatsächlich zurückbekommen.«

      5

      »Anita Ligula!«, rief Korab den Vor- und Nachnamen seiner besten Freundin und Lieblingskollegin, der Hauptkassierin des LinzMuseums und Königin des menschenleeren Foyers, während er über die gepflegte Schiebetürschwelle trat. »Lumen Gentium! Licht der Völker und Licht meines schattigen Daseins! Du Stern des Südens und letztes Stützrad am Vehikel meiner Moral! Du Sonne der Sinne, du Samen der Seele, du Salz der …«

      Bevor Korab das Wort Ursuppe aussprechen konnte, unterbrach seine Gesprächspartnerin die kolossale Einleitung mit einem ebenso kolossalen Gebrüll: »Stopp! Klink dich wieder ein und komm zur Sache, Pius! Dein Vorschleim verätzt unsere frisch geputzte Halle! Hör auf mit den verdammten Floskeln und leg endlich die Fakten auf den Tisch! Namen, Zahlen, Schuhnummern und so weiter!«

      »Doktor Johann Gruber«, begann Korab sachlich, während er an Anitas ausladenden Eckschreibtisch herantrat, sein Sudelbuch auspackte und auf seine Notizen schielte. »Er war ein oberösterreichischer Priester und wurde 1944 im KZ Gusen ermordet, und jetzt soll er seliggesprochen werden. Dieser Prozess ist einer gewissen Frau Wagner ein ganz besonderes Anliegen. Sie ist eine ehemalige Schülerin von Dr. Gruber. Nach fünfzig Jahren Ehe mit dem Waffenhändler Ernst Wagner hat sich Frau Wagner von ihm getrennt und ist untergetaucht. Jetzt, im Untergrund, treibt sie die Seligsprechung auf ihre Weise voran … was immer das heißen mag. Das Ungute aber ist: Ernst Wagner wurde entweder bei dieser Trennung oder kurz danach ermordet. Lotte Wagners Bekannte, eine gewisse Frau Sarah Rabental, hat mich engagiert, um Frau Wagner noch vor der Polizei zu finden. Ich soll von ihr Geld für ein Dokument Dr. Grubers entgegennehmen, das ein südamerikanischer Neffe Rabentals verhökern möchte. Dieses Dokument ist für beide Frauen von überragender Bedeutung. Für die eine, weil sie damit ein großes, ihrer Familie in der NS-Zeit enteignetes Zinshaus an der Landstraße zurückfordern kann, für die andere, weil das Dokument die Seligsprechung ihres Leitsterns Dr. Gruber enorm beschleunigen würde. Ende der Primärfakten.«

      »So gefällt mir das. Kein zähes Herumgelaber«, sagte Anita, während sie wild auf ihrer Tastatur herumhackte. »Ich weiß doch, an dir ist ein Nachrichtensprecher verloren gegangen.«

      »Bloß nicht«, wehrte Korab ab, »das ist einer der gefährlichsten Berufe der Welt. Denk an das Schicksal vom alten Belcredi. Das geht mir heute noch nahe. Der hat vor Urzeiten im ORF das Wetter angesagt. Und immer wenn es nicht ganz so schön geworden ist, wie von ihm verkündet, dann haben ihm die alten Frauen im Supermarkt aufgelauert.«

      Anita sah kurz und skeptisch auf von ihrer Tabulatur.

      »Großes Hundianereherenwort«, beschwor Korab seine Behauptung, »das ist eine Tatsache, das hat er selber erzählt. Und wenn er mit seinem Einkaufswagen um die Ecke gebogen ist, dann haben ihm die Omas als Strafe für die falsche Vorhersage ihre Regenschirme auf den Rücken gewuchtet. Der Mann hat Striemen wie ein alter Galeerensträfling.«

      »Und das hat er von seiner eigenen Leber weg erzählt?«, fragte Anita.

      »Aber frisch und froh«, sagte Korab, »anlässlich eines Interviews kurz vor seiner Pensionierung.«

      »Jaja, unterschätze nie die alten Frauen«, schmunzelte Anita, »und was ist mit den jungen? Was tut sich bei dir und Julia Hofer?«

      »Pattstellung.«

      »Hui«, frohlockte Anita, »die kenn ich ja noch gar nicht. Wie muss man sich die vorstellen?«

      »Ich war mit Julia im Kino bei einem Tolkien-Revival«, überging Korab den kamasutrischen Hintergrund der Anspielung und trat ein paar Schritte vom Schreibtisch zurück, wo Anita thronte wie Leutnant Uhura im Raumschiff Enterprise.

      »… wir sitzen also in der Mitte, so zehnte Reihe von zwanzig und um uns gut und gerne zweihundert Leute. Und auf der Leinwand werden Orks abgeschlachtet, so ratzfatz, weil die ja aussehen wie Atommutanten und deshalb überhaupt kein Mitleid verdienen, aber irgendwann zwischendurch kommt auch einer von den Guten dran … also ein Zwergenkönig, ein Guter aus dem zweiten Glied sozusagen … und alle anderen Zwerge scharen sich um den Sterbenden und knien nieder, und nach und nach knien auch die großen Hauptdarsteller nieder, und wie dann irgendwann alle knien und erhaben blicken, also da wird es mir zu bunt und ich rutsche aus dem Sitz und knie mitten im Kino auch nieder, so ungefähr …«

      Vor Anitas interessierten Augen sank Korab inmitten des menschenleeren Museumsfoyers auf den Teppich, ließ den linken Arm sinken, legte den rechten auf die Brust und begann mit ein paar ausladenden, weihevoll grüßenden Gesten.

      »Und wie ich da so knie und dem sterbenden Königszwerg meine Referenz erweise, drehen sich ungefähr hundert Kinobesucherhälse in meine Richtung, vor allem die, die hinter uns sitzen. Und alle schauen mich mit großen Augen und irgendwie ratlos an, weil ihnen die Aktion nicht geheuer ist. Aber egal. Was dann kommt, ist noch viel trauriger. Statt mit mir zu knien oder wenigstens zu schmunzeln, bleibt Julia mental irgendwie bei den anderen … sie sinkt immer tiefer in СКАЧАТЬ