Название: Lebendige Seelsorge 4/2020
Автор: Verlag Echter
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783429064747
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Die Auferstehung geschieht „im Entschwinden“. Ist sie deshalb ein flüchtiges Ereignis, das wie eine Seifenblase zerplatzt, wenn man es berühren will? Das Markusevangelium stellt sich dieser Frage mit besonderer Eindringlichkeit. Es endet wie ein modernes Theaterstück: offen, mitten in einer Krise. Das spiegelt, so die Markusforschung, die Krise, aus der heraus der Text des ältesten Evangeliums entstanden ist und auf die er eine Antwort geben will. Die Ursachen der Krise werden in unterschiedlichen Faktoren gesucht: im Trauma der Tempelzerstörung während des blutig niedergeschlagenen jüdischen Aufstands, im Traditionsabbruch durch das Sterben der Augenzeugen der Gründungsereignisse, in der Enttäuschung über die ausbleibenden Wiederkunft des Herrn oder in den Schwierigkeiten, die das Leben als Minderheit in den Städten des römischen Reiches mit sich brachte.
Die größte Krise bedeutete jedoch die Abwesenheit des Herrn. Wurde in der älteren Exegese die Anwesenheit des Auferstandenen als Grunddynamik im Neuen Testament betont, so spricht die gegenwärtige Exegese immer klarer von der Bewältigung der fundamentalen Abwesenheit des Herrn, die die urchristliche Theologie zu leisten hatte (vgl. Toit; Hübenthal). Der älteste Evangelist wird als besonders radikaler Theologe der Abwesenheit gesehen. Er ist es, der den Todesschrei Jesu als Schrei der Gottverlassenheit überliefert (vgl. Mk 15,34). Gottesnacht als grausame Realität. Seine Ostertheologie setzt diesem Schrei jedoch kein Happy End entgegen. Der Schock der Frauen am Grab wird nicht in einer Begegnung mit dem Auferstandenen aufgelöst – kein „er ist wieder da“ –, sondern durch das gesamte Evangelium hindurch gedeutet. Das folgt der Notwendigkeit, den Jesus, den man doppelt verloren hatte, sinnstiftend zu erinnern und erzählend zu vergegenwärtigen. Indem die Evangelien das Leben Jesu erzählen, umtasten sie das Geheimnis von Ostern. Die Evangelien geben dem Abwesenden einen literarischen Körper.
Indem die Evangelien das Leben Jesu erzählen, umtasten sie das Geheimnis von Ostern.
Der Engel schickt die Frauen nach Galiläa: „Dort werdet ihr ihn sehen“ (Mk 16,7). Der Weg zurück nach Galiläa steht nicht für die Rückkehr in einen „Alltag“; jeder Alltag ist nach der Auferstehung unmöglich geworden. Mit der Erwartung, dem Auferstandenen „in Galiläa“ zu begegnen, liest man jedoch das Leben Jesu neu. Besondere Bedeutung gewinnen jetzt die Nachfolgeworte: Auferstehung wird konkret in der Nachfolge, sie geschieht auf dem Weg! Man muss dem Entschwindenden, den man immer nur von hinten sieht, nachlaufen. Nur so kann man ihn finden.
DER KÖRPER DES VERSCHWUNDENEN
Woran erkenne ich den Auferstandenen? Der Beginn des christlichen Glaubens ist geprägt von einer Erfahrung, die ihn bis heute begleitet: eine Verborgenheit und Entzogenheit, die sich als Uneindeutigkeit, Ambiguität, manifestiert. Bist Dus oder bist Dus nicht?
Die Ostererzählungen legen Spuren, die zu einer Theologie der Unterscheidung führen. Eindeutig wird der Auferstandene im Brot und an den Wunden. Beides findet sich in der Schrift, die jedoch erschlossen werden muss. Es ist die Emmauserzählung, die für beide Spuren der österlichen Gegenwart eine so einfache wie tiefe Form findet. Der unerkannte Wegbegleiter öffnet zuerst die Augen für die Schrift, die den Sinn des Leidens deutet: Die Wunden gehören in den Heilsplan Gottes (vgl. Lk 24,26). Dann bricht der fremde Gast das Brot und gibt es ihnen (vgl. Lk 24,30). „Da gingen ihnen die Augen auf“ (Lk 24,31) und sie „sahen“ ihn erkennend für einen kurzen Augenblick, bevor auch sie wieder im „geglaubten Licht“ (Lehnert, 114) weitergehen mussten. Geteiltes Brot bedeutet geteiltes Leben, und das schon in den Sündermählern Jesu. Deshalb gibt es noch eine dritte Spur, die das Evangelium legt, um den Auferstandenen zu erkennen: „Ich war hungrig …“ (Mt 25,35ff.): Der Leib des Herrn wird durchsichtig für die Leiber seiner Brüder und Schwestern. In der Fußwaschung bückt sich Gott zu den Füßen der Menschen und weist sie an, das gleiche einander zu tun (vgl. Joh 13,1-17). So führt die Eindeutigkeit der „Geringsten“ nach Christoph Theobald zu einer Manifestation der unsichtbaren Auferstehung: „Und schließlich die menschliche Solidarität und das Engagement für die ‚Letzten‘: sind dieses Taten nicht paradox? Was bringt mich dazu,
Könnte man sich, so frage ich mich heute, nach den Erfahrungen des sakramentalen Lockdowns im Frühjahr 2020, so etwas vorstellen: Eine Welt ohne Sakramente, aber voller Diakonie?
mich für andere einzusetzen, für ein anderes Lebewesen, sogar für diejenigen, die noch nicht geboren sind?“ (Theobald, 116). So lädt der Auferstandene seine Zeuginnen und Zeugen ein, „die Zeichen der Auferstehung im Herzen der Menschheitsgeschichte zu lesen, einer Geschichte, die weitergeht“ (Theobald, 117). Könnte man sich, so frage ich mich heute, nach den Erfahrungen des sakramentalen Lockdowns im Frühjahr 2020, so etwas vorstellen: Eine Welt ohne Sakramente, aber voller Diakonie? Und was sagte diese Vorstellung über die Weise der Anwesenheit Gottes in der Welt? Und was wiederum über die Sakramente, in denen sich diese Anwesenheit ja verdichtet? Auferstehung ist also eine weitere Radikalisierung der Bewegung von Golgota. Die Kenosis, die Selbst-Entleerung Gottes, geht weiter. Er entäußert sich auch als Auferstandener hinein in die Welt (vgl. Kearney, 243).
Damit bin ich wieder in der Osterimagination von Mark Andre: „Er wird erkannt“, schreibt Andre, „er verschwindet vor den Augen von Maria Magdalena, die bleibt als die erste Zeugin, oder vielleicht auch als der wahrhaftige Körper des Verschwundenen.“ Der Auferstandene hat für Andre auch einen Ort: die Grabeskirche oder eben die Auferstehungskirche, Anastasis, in Jerusalem. Dort finden sich die Gläubigen und Ungläubigen, die Suchenden und Zweifelnden der Jahrhunderte. So ist auch diese Kirche, Symbol für die „Gottsucherbanden“, wie es in seiner Oper „Wunderzaichen“ heißt, ein „Körper des Verschwundenen“.
LITERATUR
Gruber, margareta, Nichts ist so schön wie das, was vor unseren Augen verschwindet, in: Gruber, Margareta/Widmann, Jörg, Lob auf Mark Andre. Der Kunst- und Kulturpreis der Deutschen Katholiken geht an einen Komponisten, in: Stimmen der Zeit 143 (2018), 85-91, hier 89-91.
Gruber, margareta, Abba – im Geist des Sohnes beten. Die Krise der Auferstehung und der Gebetsglaube Jesu, in: Redtenbacher, Andreas/Schulze, Markus (Hg.), Sakramentale Feier und theologiaprima. Der Vollzug der Liturgie als Anfang und Mitte der Theologie (Pius Parsch Studien 16), Freiburg i. Br. 2019, 125-140.
Hübenthal, Sandra, Das Markusevangelium als kollektives Gedächtnis (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 253), Göttingen 2014.
Kearney, Richard, Revisionen des Heiligen. Streitgespräche zur Gottesfrage, Freiburg i. Br. 2019; insb. Kapitel „Anatheismus und radikale Hermeneutik. Gespräch mit John Caputo“, 243-272.
Lehnert, Christian, Korinthische Brocken. Ein Essay über Paulus, Berlin 2013.
Theobald, Christoph, Transmettre l’Évangile de liberté, Paris 2007.
Toit, David du, Der abwesende Herr. Strategien im Markusevangelium zur Bewältigung der Abwesenheit des Auferstandenen (Wissenschaftliche Monografien zum Alten und Neuen Testament 111), Neukirchen-Vluyn 2006.
„Nicht ohne“
Replik von Stephan Lüttich auf Margareta Gruber OSF
Margareta Grubers Skizze einer kenotischen Theologie der Auferstehung ist ein Stück Nacht-Theologie par excellence. Dies gilt zuerst natürlich inhaltlich für das Wahrnehmen und Ernstnehmen der oszillierenden Ambivalenz des einen Paschamysteriums. Der Ostermorgen löscht den Karfreitag nicht aus. Gottverlassenheit am Kreuz und das sich Entziehen des Auferstandenen zeigen sich СКАЧАТЬ