Die Anerkennung des Verletzbaren. Bernhard Kohl
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      Für die christliche Anthropologie ist der Mensch in seinem Personsein und die Sicht des Menschen im sozialen Kontext von entscheidender Bedeutung. Anthropologie und Ekklesiologie stehen also in einer Wechselbeziehung zueinander. Das verdeutlichte auch die frühchristliche Theologie, indem sie die Gottebenbildlichkeit des Menschen niemals nur als eine bloße Widerspiegelung verstand, sondern den Menschen immer auch als von Gott angesprochenes, freies Individuum betrachtete. Dies spiegelt sich vor allem auch in der Herausbildung einer trinitarischen Theologie wieder, wonach die göttliche Natur nicht in sich abgeschlossen existiert, sondern sich als Vater, Sohn und Geist manifestiert. Hinzu kommt die Zweinaturenlehre der frühen Christologie. Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott, d. h. in seiner einen Person wird die Grenze dessen überschritten, was natürlicherweise in der Kategorie Person gefasst ist. Aus diesen Elementen entsteht ein Bild vom Menschen, wonach dieser eine Einheit aus zwei Teilen, Leib und Seele, darstellt, dem Gott als Sinn und Ziel die Gottebenbildlichkeit gesetzt hat.188

      Die Wurzeln dieses anthropologischen Ansatzes liegen zunächst in der biblischen Tradition der Schöpfungserzählung. Gen 1,26f. als alttestamentliche Grundlage der neutestamentlichen und frühchristlichen Aussagen über die Gottebenbildlichkeit und somit grundsätzliche Gleichheit aller Menschen wurde in der frühchristlichen Verkündigung wie kaum eine andere Bibelstelle herangezogen.189 Ebenso spielte Gen 2,17 eine Rolle, wonach Gott den Menschen aus Staub formte und ihm seinen Geist in die menschliche Nase blies, um ihn zu einem lebendigen Wesen zu machen. Darüber hinaus musste die apostolische Tradition bewahrt werden, wonach die Menschheit in Adam gefallen war und in Christus, dem neuen Adam wiederhergestellt wurde. Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss der hellenistischen Kultur auf die Ausprägung eines christlichen Verständnisses von der Gottebenbildlichkeit des Menschen. Die – wie man nach heutigen Forschungsstand formulieren darf – Übersetzungsfehler der LXX und der Vulgata trugen dazu bei, dass eine jeweils eigene Interpretation der eigentlich synonym verwandten Begriff zaelaem und demut für nötig gehalten wurde, da geklärt werden musste, welchen Begriffsinhalt das Wort Bild und welchen das Wort Ähnlichkeit hat. Dadurch kam es zu einer Deutung des Menschen, als einem in der Spannung zwischen ontologischem Bild-Charakter (eikon) und moralischpersönlichem Ähnlich-Sein (homoiosis) lebenden Wesen.190

      Bevor nun näher auf den Vorgang der Dissoziation der Begriffe Gottebenbildlichkeit und Gottähnlichkeit eingegangen werden kann, muss noch ein kurzer Blick auf das frühchristliche und frühkirchliche Verständnis der Alten Testaments und dessen Auslegungsgeschichte in den ersten Jahrhunderten der Kirche geworfen werden. Zunächst ist festzuhalten, dass mit dem Geschichtsverständnis des frühen Christentums die Typologie als Auslegungsmethode des Alten Testaments eng verbunden ist. Bereits Paulus hatte in Gal 4,34 dem Begriff der Allegorese die neue Bedeutung der Typologie gegeben. Voraussetzung hierfür ist ein Verständnis der Herrschaft Gottes über alles, was man in der Geschichte vorfindet, über Personen, Institutionen und Gegenstände. Sowohl Typen als auch Antitypen sind diesem Verständnis zufolge von Gott selbst in die Geschichte eingeordnet. Anfänge der Genesisauslegung und somit auch der Rede von der Gottebenbildlichkeit des Menschen finden sich bereits im Alten Testament selbst. Auslegungen, die dann durchaus auch für das neutestamentliche Verständnis prägend werden. Im Neuen Testament gilt die Autorität des Alten unbestritten weiter. Dennoch sollte über die Typologie bewiesen werden, dass Christus im göttlichen Plan schon immer vorgesehen war. Darüber hinaus erwies sie sich als nützlich für die frühchristliche Apologetik und Polemik. Dieser Gebrauch des Alten Testaments und besonders der Genesis war von größter Bedeutung für die Ausbreitung des Christentums und blieb der maßgebende Gebrauch über mehr als zwei Jahrhunderte.191

      Schon der hellenistisch-jüdische Philosoph Philo verfasste einen allegorischen Kommentar zur Genesis, in welchem er durch die Methode der Allegorese eine Versöhnung zwischen dem Alten Testament und der Philosophie versuchte.192 In Bezug auf die Schöpfung des Menschen unterschied er klar zwischen dem nach dem Bild Gottes geschaffenen und dem aus Erde geformten Menschen. Er folgerte, dass die eikon in Gen 1 der hypostasierte göttliche Logos sei und auf die menschliche Seele führenden Nous, die Vernunft verweise. Dieser These folgten bis heute eine große Anzahl von christlichen Auslegern.193 In der Patristik eignet der Aussage von der Ebenbildlichkeit höchste theologische Bedeutung. Hauptsächlich auf die Geistnatur des Menschen zielend, seit Irenäus unter unsachgemäßer Unterscheidung der Lexeme imago und similitudo, geriet die alttestamentliche Wendung in die christlichtheologische Spekulation anthropologischer wie soteriologischer Fragerichtungen: Diskussion um natürliche und übernatürliche Ebenbildlichkeit sowie um Schwächung bzw. Verlust der Gottebenbildlichkeit infolge der Erbsünde.194

      Irenäus zitiert als erster sowohl das Neue als auch das Alte Testament ausdrücklich als Schrift, wobei insbesondere das Buch Genesis bei ihm eine wichtige Rolle spielt und die Genesiszitate bei ihm, nach denen aus Jesaja und den Psalmen, an dritter Stelle stehen. Diese Gewichtung lässt sich vor dem Hintergrund verstehen, dass Irenäus in seiner Auseinandersetzung mit der Gnosis die christliche Schöpfungslehre gegen die gnostisch kosmologischen Spekulationen in Anschlag bringen möchte. Er betont darüber hinaus antignostisch den Gedanken der Einheit, der sich auf drei Ebenen entfaltet: die Einheit Gottes, des Schöpfers und Vaters Jesu Christi; die Einheit Christi, des Gottmenschen; die Einheit des göttlichen Heilsplanes.195

      Insbesondere die Einheit Gottes als Schöpfer und Erlöser ist bei Irenäus mit der Einheit von Schöpfung und Erlösung verbunden. Diesen Gedanken entfaltet er beispielsweise in seinen Überlegungen zur Einheit Adams mit der gesamten Menschheit und zur Menschwerdung Christi als verwirklichter imago et similitudo dei.196 Theologisch äußerst bedeutsam ist seine Erklärung des „kat‘ eikona kai homoiosin“. Irenäus möchte diese beiden Begriffe, obwohl er sie unterscheidet, in keinem Fall trennen. Seiner Auffassung zufolge ist der Mensch ohne beide zusammen gar kein Mensch, weswegen er von einem „esse secundum imaginem et similitudinem Dei“ oder mit Paulus von eikon für beide Begriffe spricht.197

      Um diese Einheit darzustellen entwarf Irenäus von Lyon auf Grundlage der differenzierenden Übersetzung des hebräischen Textes von Gen 1,26f. als erster kirchlicher Theologe eine systematische Bildtheologie. Unter eikon verstand er die natürliche und unter homoiosis die übernatürliche Gottebenbildlichkeit des Menschen, womit er nicht die Trennung zwischen Natur und Übernatur bezweckte, aber deren Grundstein legte.198 Nach dem Sündenfall blieb dem Menschen nur der Status der imago, d. h. des Vernunft- und Willensbesitzes. Erst durch die heilsgeschichtliche Rekapitulation erhält er seine verlorene similitudo zurück. Die Bildlehre Irenäus‘ begründete also die kategoriale Unterscheidung von Bild und Ähnlichkeit, wobei man seine Theologie als Reaktion auf die Gnostiker begreifen muss, welche nie bereit waren, die Berichte im Buch Genesis einfach zu bejahen.199

      So hatte Philo sie bspw. im Licht seiner Kenntnis von Platons Timaios gelesen, weswegen er den Schöpfungsbericht als allegorische Deutung auf den präexistenten Christus hin interpretierte. Darüber hinaus konnten die Gnostiker, ausgehend von einem strikten Dualismus, die Vorstellung eines Gottes, der die Welt wirklich erschaffen hat, Verantwortung für sie trägt und sie für gut erachtet nicht akzeptieren. Vielmehr besteht das gemeinsame Grundmuster speziell gnostischer Schöpfungsmythen, wie sie sich bspw. in der Nag Hammadi-Sammlung finden darin, Gott von der Welt zu distanzieren.200 Allerdings stellte die eikon auch für die Gnosis einen Schlüsselbegriff dar: das göttliche Urprinzip alles Seienden stellt sich selber im himmlischen Urmenschen dar. Dieser ist aber nicht der geschaffene, irdische Mensch, sondern eine mythische Gestalt, in der die Gottheit bildhaft in Erscheinung tritt. Gott selber ist in ihm anwesend, aber eben in der Weise der Abbildung. Die Gnostiker verstanden Gen 1,26f. so, dass hier über die Entstehung dieses Urmenschen berichtet wird. Der irdische Mensch ist Abbild dieses Anthropos, des Urmenschen. Ebenbildlichkeit lässt sich deswegen in der Gnosis auf den Nenner bringen, dem Urmenschen gleichgestaltet zu werden. Natürlich kann im gnostischen Verständnis nur der Geist, niemals СКАЧАТЬ