Gemeinsam mehr von der Welt wissen. Hans-Dieter Mutschler
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СКАЧАТЬ Für Cusanus ist das mystische Innewerden der absoluten Einheit etwas, was alles diskursive Denken übersteigt, also etwas, was nur der anschauenden Vernunft zugänglich ist. Diese Vernunft ist mystische Vernunft. Wir sehen: Die mystische Erfahrung tritt erst dort ein, wo der Verstand mit seiner analysierenden Bewegung schweigt. Das Denken überschlägt sich sozusagen und geht in ein Schweigen über, in dem die Differenzen aufgehoben sind.

      Ich bin der Meinung, dass Cusanus das Verhältnis zwischen analysierendem Denken und mystischer Erfahrung richtig beschrieben hat, und das gibt uns einen Hinweis darauf, wie wir das Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Spiritualität ausbuchstabieren sollten. Insofern der Naturwissenschaftler sein Tagesgeschäft betreibt, leistet er Verstandesarbeit. Wenn er sich darauf konzentriert, dann kann ihm das Absolute, das allem Zugrundeliegende, niemals zu Gesicht kommen. Bei der Steuererklärung oder beim Tippen einer Telefonnummer erlebt man gewöhnlich keine Ekstasen. In der Einstellung des diskursiven Verstandes sind wir von Natur aus nicht disponiert zur Einheitserfahrung. Dieser Zusammenhang erklärt zwanglos, weshalb es so viele hochqualifizierte Wissenschaftler gibt, die die Mystik für Unsinn halten. Der Verstand ist von sich aus blind für die Einheit der Dinge, und wer sich nur auf der Verstandesebene bewegt, wird davon nichts wissen können. Es ist damit so ähnlich, wie wenn sich jemand nur mit Geld beschäftigt. Auch der wird Gott für eine Illusion halten. Wir verstehen nun auch, woher es kommt, dass große Spirituelle, wie z.B. Franz von Assisi, keine Intellektuelle waren (und auch gar nicht sein mussten) und weshalb so viele Intellektuelle von Spiritualität so gar nichts halten. Es gibt eben diesen von Cusanus herausgestellten Gegensatz zwischen anschauender Vernunft, die auf das Eine zielt, und dem rechnenden Verstand, der nicht aufhört, zu zergliedern, zu vergleichen, zu analysieren, und so seine großen Triumphe feiert.

      Nun hindert natürlich nichts, dass auch ein Wissenschaftler eine Einheitserfahrung macht, dann nämlich, wenn er nicht nur rechnet und analysiert. Aber dazu muss er einen Schritt von seinen Forschungen zurücktreten. Er muss eine kontemplative Distanz herstellen, er muss sozusagen vom Laboratorium ins Oratorium überwechseln. Dass das sinnvoll möglich ist, werde ich im letzten Kapitel zeigen, und dann werden wir auch sehen, dass trotz aller Widersprüche und Gegensätze ein Leben der Wissenschaft und der Kontemplation zugleich möglich ist. Ich habe in diesem ersten Kapitel dennoch auf den Gegensätzen bestanden, weil das Thema ›Naturwissenschaft und Spiritualität‹ hauptsächlich von Esoterikern und Neomystikern behandelt wird, die es sich viel zu leicht machen. Sie legen ein schwankendes Brett über den Grand Canyon, weil sie nicht imstande sind, dessen wahre Tiefe abzuschätzen.

      Um mich aber nicht dem Vorwurf auszusetzen, ich würde mir selbst die Sache zu einfach machen, möchte ich betonen, dass meine kritischen Äußerungen bezüglich Esoterik und Neomystik sich nur auf das Verhältnis dieser Formen von Spiritualität zur Naturwissenschaft beziehen. An dieser Stelle nehme ich ein beträchtliches Defizit wahr. Würde jemand ein Buch schreiben über das Verhältnis zwischen christlicher und außerchristlicher Spiritualität im Allgemeinen, dann könnte seine Darstellung weit weniger kritisch ausfallen.

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