Название: Bullenhitze
Автор: Volker Sebold
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783429064907
isbn:
Roland zog die bereits erstarrten Finger des Toten auseinander. In der Handinnenfläche der rechten Hand lag ein Zettel, darauf ein Wort, am Computer geschrieben:
ICH
„Ich weiß ja nicht. Aber mit den Schwulen komm ich nicht so ganz klar. Tun so, als seien sie die Liebsten der Gesellschaft. Haben bei Frauen ’nen echten Stein im Brett, und dann töten sie sich doch aus Geldgier oder Eifersucht oder was weiß ich. He Rebecca, guck mal!“
Flash! Ein Blitz zuckte durch den Raum, und Rebecca war Nummer 24 zwischen all den Leichenbildern.
„Fotografiere lieber die Kontakte an den Wänden und lass den Unsinn!“
Rebecca war genervt.
René kommentierte die obszönen Sprüche an den Wänden, als es Roland zu bunt wurde.
„Halt endlich die Klappe, René! Mach einfach deine Arbeit!“
Roland hatte im Geldbeutel, der in der Gesäßtasche des Toten steckte, dessen Dokumente gefunden. Der Kollege hatte Recht. Es war Christian Langner. Der Ausweis der Bereitschaftspolizei zeigte sein Konterfei. In der Börse befanden sich exakt 312,94 Euro. Sie stutzten. Sah nicht nach Raubmord aus.
Der Staatsanwalt, Jochen Bohm, war mittlerweile eingetroffen und ließ sich von Rebecca informieren. Sie kannten sich und hatten schon manchen Kampf vor Gericht ausgefochten.
Die Leichenbestatter warteten rauchend vor ihrem Mercedes. Die Tatortarbeit war erledigt. Die Männer in schwarzer Kleidung, die nach Schweiß stank, hoben den Verstorbenen in den schmucklosen Sarg.
Letzte Fahrt. Rechtsmedizin.
Die Sonne sandte ihre Strahlen, als wolle sie das Zink schmelzen und den Toten brandmarken.
Nachdem sie der Obduktion beigewohnt hatten, bat Professor Schwacke die Ermittler in sein Büro. Wie immer hatte er nüchtern und effizient die Leiche untersucht. Roland war den Obduktionen, denen er beiwohnen musste, für seinen Heuschnupfen dankbar. Durch die verstopfte Nase drang so nicht jener Geruch, den der Tod den Lebenden ein letztes Mal entgegenatmet.
„Erwürgt! Das Opfer ist eindeutig durch Erwürgen ums Leben gekommen. Das Sperma, das auf dem Hintern platziert war, ist wohl mit Absicht dort, ähm, abgelegt worden. Ein Analverkehr fand zwar statt, jedoch mindestens vierundzwanzig Stunden vor Eintritt des Todes. Das Sperma war noch nicht ganz getrocknet. Ich bin gespannt, ob es die gleiche dna aufweist wie die des Toten. Das dürfte für Sie ein interessanter Ermittlungsansatz werden. Aber ich sehe schon, wie ihre Gedanken kreisen. Die Todesursache, meine Dame, meine Herren, ist eindeutig Ersticken. Es gab am Tatort und kurz davor mit Sicherheit keinen Analverkehr. Der Körper zeigt keine typischen Kampfspuren. Keine Hämatome oder Risswunden. Das Zungenbein ist gebrochen, der Kehlkopf weist Bruchstellen auf. Die Würgemale am Hals haben Sie ja selbst dokumentiert. Ich werde Ihnen schnellstmöglich einen Bericht zukommen lassen. Viel Glück, Frau Rust. Meine Herren. Kaffee?“
Ohne die Antwort abzuwarten, goss Professor Schwacke vier Becher ein, während sich drei Ermittler verdutzt anblickten.
Im Büro, das sie sich mit Roland teilte, hatte sie über der Tür einen Spruch angebracht: Lupus pilum mutat, non mentem (Ein Wolf ändert sein Haar, aber nicht seine Absicht).
René, der bei der Spurensicherung, im Fotolabor, seinen Platz hatte, erhielt den Auftrag, in die Wohnung Langners zu fahren.
Das Zweizimmerappartement war bieder eingerichtet und penibel sauber. Offensichtlich war Langner Einzelgänger. Zudem hatten Nachforschungen ergeben, dass er keine Schulden hatte. Die Eltern waren vor einigen Jahren gestorben. Die Anwohner sagten, der Vater hätte die Andersartigkeit seines Sohnes nicht ausgehalten.
Im Schlafzimmer fanden sie ein paar Schwulenpornos. Nichts deutete auf ein extravagantes Leben des Toten hin. Er lebte als Single und hielt wenig Kontakt zu seinen Nachbarn.
Die Kollegen der Bereitschaftspolizei verhielten sich ihnen gegenüber reserviert. Ja, man hatte gemunkelt, dass Herr Langner homosexuell sein könnte. Na und! Er war beliebt und kollegial. Was einer in seiner Freizeit machte, ging niemanden etwas an. Als sie zum Auto zurückkehrten, stolperte Rebecca über einen Stein, der vom Aushub für das neue Sportzentrum auf die Straße gerollt war. Die Luft flirrte über dem Asphalt.
„Ich wette, wenn wir hier draußen sind, zerreißen sie sich die Mäuler. Und dann wussten sie schon immer, dass Langner mal so enden würde. Diese Scheinheiligen!“ René kommentierte mal wieder unaufgefordert.
Roland bog Büroklammern zurecht, um sich die Fingernägel zu putzen. Rebecca hasste das, vermied aber, ihn darauf anzusprechen. Sie holte zwei Becher Kaffee. Fluchte, da die Maschine nebenan schon wieder defekt war und sie in den obersten Stock gehen musste.
„ICH, was glaubst du, René? Hast du eine Ahnung, was es bedeuten soll?“
René hob die Schultern an und legte den Kopf zur Seite.
„ICH bin das Opfer oder ICH bin der Täter. Allmachtsfantasien eines Psychopathen, wenn du mich fragst. Vielleicht auch: ICH bin schwul?“
René stutzte. Rebecca lächelte nicht.
„Vielleicht auch nur ein unvollständiges Gebilde. Da kommt noch was auf uns zu. Da bin ich mir sicher.“
„Die Buchstaben sind am Computer geschrieben. Akkurat und ohne Satzendzeichen.“
„Es ist noch viel zu früh, uns auf irgendwas festzulegen. Es wäre reine Spekulation. Warten wir doch mal die Laborproben ab.“
„Wir haben bis dato auf den Bildern vom Tatort nichts Verdächtiges gefunden. Die Nummern an den Wänden sind abtelefoniert. Meistens waren die Angerufenen verblüfft und erstaunt, dass sie nicht nur im Telefonbuch, sondern auch im Schwulenklo auftauchen. Ich lasse es mir nicht nehmen. Der Mörder kann nur in der Szene zu finden sein. Überleg doch mal. Schwulenklo. Opfer: schwul. Sperma auf dem Hintern. Was wollen wir denn noch? Ich denke, wir müssten die Jungs in der Szene mal gehörig aufmischen!“
So war René. Geradeheraus. Direkt. Aber manchmal, das musste Rebecca sich eingestehen, blieb nur die Wahl, seinen einfachen Gedanken zu folgen. Unter anderem deshalb war er auch in ihrem Team.
Eine Woche später war die Analyse da: Das Sperma, das der Täter auf dem Anus von Langner platziert hatte, wies eine differente dna auf. Demnach war es das erste wirkliche Beweismittel, das sie hatten. Ein Abgleich in den Datenbanken des bka verlief allerdings ohne greifbares Ergebnis. Die Laune sank wieder. Rebecca sah sich gezwungen, Renés Vorschlag zu folgen und die Schwulenszene zu überprüfen.
Ihr war nicht wohl in ihrer Haut. Als junge Beamtin musste sie im Rahmen ihrer Ausbildung unter Gauweilers Innenministerherrschaft Homosexuelle an Szenetreffs aufspüren, ihre Namen notieren, um sie aktenkundig zu machen. Die AIDS-Hysterie hatte die Gesellschaft erfasst und ließ manchen Politiker zu überzogenen Handlungen hinreißen. Halbwahrheiten und Lügen vermischten sich zu einem unseligen Gebräu.
Auch wenn sie mit Bauchschmerzen das Gespräch mit Rufer bestritt, war der auf ihrer Seite. Sie einigten sich auf so wenig Unterstützungsbeamte wie notwendig und beschränkten sich auf den Bahnhofsbereich, die öffentlichen Toiletten und den Ringpark.
Rebecca forderte in der Einsatzbesprechung Fingerspitzengefühl СКАЧАТЬ