Balancieren statt ausschließen. Hildegard Wustmans
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СКАЧАТЬ der anderen in ihrem sozialen Kontext zu verstehen suche. Auf mich schauen heißt, meiner emotionalen Reaktion und ‚Betroffenheit‘, meiner Verunsicherungen und Wertungen im Forschungsprozeß gewahr werden; es heißt Selbstkonfrontation, Selbstreflexion in Beziehung zu den Lebenspraxen der anderen Frauen; denn meine oft unbewußten Vorannahmen, meine Werte, meine Position sind zu klären und evt. zu revidieren“ (Becker-Schmidt/Bidden 1991, 27). Und so erkennt die Forscherin auch den blinden Fleck ihrer Realitätswahrnehmung. Die Selbstreflexion ist wichtig, aber es ist hervorzuheben, dass es dabei nicht um Selbsterfahrung geht. Vielmehr muss die Selbstreflexion in den Forschungsprozess eingebettet sein, „welcher Materialerhebung und- interpretation, Arbeit an den eigenen Gefühlen und Einstellungen mit dem theoretischen Begreifen weiblicher Subjektivitätskonstitution verbindet“ (ebd., 28).

      Diese Aspekte sind in besonderer Weise im Rahmen der vorliegenden Studie von Bedeutung – dies nicht zuletzt deswegen, weil auch Interviews in einem anderen Kulturkreis, mit Frauen in einer gänzlich anderen sozialen Situation und mit außerordentlich verschiedenen Lebensgeschichten stattgefunden haben. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, wurden in der vorliegenden Arbeit in Anlehnung an die von Maya Nadig entwickelte ethnopsychoanalytische Methode (Nadig 1986) nicht nur Interviewprotokolle erstellt, sondern zu jedem Interview auch ein kontextuelles Gesprächsprotokoll, in dem die Beobachtungen, Gefühle, Irritationen, Gedanken und Fragen während des Forschungsprozesses festgehalten wurden. Diese Protokolle dienten vor allem dazu, den eigenen Standpunkt in der Forschungsarbeit immer wieder einer Reflexion zu unterziehen.

      Das Sample dieser Forschungsarbeit bietet einen Einblick in die Praxis von Frauen innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche, die Frauenliturgien und Rituale feiern. Das Anliegen dieser Studie ist es, die oben genannte Fragestellung an einer kleinen Gruppe von Frauen mit Methoden der qualitativen Sozialforschung genauer zu untersuchen und zu verifizieren. Aufgrund der methodischen und inhaltlichen Ausgangsbasis sollte eine gewisse Bandbreite von Frauen erreicht werden, um Hinweise auf bedeutsame Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten zu können.

      Vor diesem Hintergrund wurden folgende Aspekte beachtet:

      Eine gewisse Streuung in Bezug auf das Alter der befragten Frauen sollte vorhanden sein. Auch war daran gelegen, Frauen mit unterschiedlichen Lebenskonzepten und Lebensformen in den Blick zu nehmen. Darüber hinaus war ein gewisser Grad an Verbundenheit mit der katholischen Kirche (und sei es wegen der erfahrenen Sozialisation) wichtig. Zudem sollten auch Frauen aus einem anderen Land zu Wort kommen, um nicht zuletzt auch den weltkirchlichen Aspekt der Fragestellung zu berücksichtigen und der Tatsache Rechnung zu tragen, dass in vielen Ortskirchen Frauen Wege zu einer lebensnahen und frauenspezifischen Spiritualität und rituellen Praxis suchen. Die Beschränkung auf zwölf Interviews ermöglicht eine inhaltsanalytische Betrachtung und Auswertung und gewährt zudem eine Streuung in Bezug auf Alter, Lebensform, Kultur etc.

      Die Auswertung bewegt sich zum einen im Bereich der Einzelfallanalyse, zum anderen in der Stichprobenauswertung und ist somit ein Prozess mit mittlerer Tiefenschärfe. Die genaue Darstellung der einzelnen methodischen Schritte dieser Forschungsarbeit findet sich in Kapitel 2, wo unerhörte Frauenerfahrungen zu Wort kommen sollen.

      1 In der Enzyklika Pacem in terris werden folgende Zeichen der Zeit aufgeführt: die Arbeiterfrage, die Frauenbefreiung, die Freiheit der kolonialisierten Völker, die Menschenrechte sowie die Verhinderung von kriegerischen Auseinandersetzungen durch Organisationen wie die Vereinten Nationen (vgl. DH 1963, 3955–3997).

      2 Im Rahmen dieser Arbeit bleibt die ebenso entscheidende und lebensprägende Frage des Transgender unberücksichtigt und so verweise ich hier nur auf Literatur zum Thema: Beemyn, Brett/Eliason, Mickey (ed.): Queer Studies. A lesbian, gay, bisexual, and transgender anthology, New York 1996; Degele, Nina: Gender/Queer Studies. Eine Einführung, Paderborn 2008; Fausto-Sterling, Anne: Sexing the body. Gender politics and the construction of sexuality, New York 2006; Ekins, Richard/King, Dave: The transgender phenomenon, London/Thousands Oaks/New Delhi 2006; Lang, Claudia: Intersexualität: Menschen zwischen den Geschlechtern, Frankfurt a. M. 2006; Lindemann, Gesa: Das paradoxe Geschlecht. Transsexualität im Spannungsfeld von Körper, Leib und Gefühl, 2., überarb. u. aktual. Aufl., Wiesbaden 2010.

      3 Definition des Europarates von 1998: „Gender mainstreaming besteht in der (Re)Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung politischer Prozesse mit dem Ziel, eine geschlechterbezogene Sichtweise in alle politischen Konzepte auf allen Ebenen und in allen Phasen durch alle an politischen Entscheidungen beteiligten Akteure und Akteurinnen einzubeziehen.“

      4 Luce Irigaray wurde in den 30er Jahren in Blaton, Belgien, geboren. Bezüglich ihres Geburtsjahres kursieren unterschiedliche Angaben. Die einen sprechen von 1932, andere von 1939 oder 1940. Sie ist ausgebildete Linguistin, Psychologin und Psychoanalytikerin. In den 60er Jahren studierte sie u. a. bei Jacques Lacan. Die Auseinandersetzung mit ihm und der Psychologie hat ihre Forschungen nachhaltig geprägt. Nach Lehrtätigkeit an verschiedenen Orten (Rotterdam, Bologna, Paris) war sie zuletzt Forschungsleiterin für Philosophie am Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Paris. Mit ihren Arbeiten verfolgt sie das Ziel, ein neues Denken und eine neue private und politische Praxis der Geschlechterdifferenz auszuarbeiten. Ihr Hauptthema ist das Verhältnis zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht. Ein konstruktiver Umgang zwischen Frauen und Männern ist nach ihrer Meinung erst dann möglich, wenn jedes der Geschlechter sich selbst entdeckt und sich selbst akzeptiert. Dies setzt voraus, dass sich die soziokulturelle Ordnung verändert und ihre ethischen und rechtlichen Fundamente eine Umgestaltung erfahren (vgl. Irigaray, Klappentext zu: Ethik der sexuellen Differenz, Frankfurt a. M. 1991) Ihre theoretische Arbeit wurde immer auch durch politische Arbeit in unterschiedlichen Bündnissen ergänzt. Wichtige Publikationen: Speculum Spiegel. des anderen Geschlechts, Frankfurt a. M. 1980; Das Geschlecht, das nicht eines ist, Berlin 1997; Ethik der sexuellen Differenz, Frankfurt a M 1991; Genealogie der Geschlechter, Freiburg i. Br. 1998; Die Zeit der Differenz, Frankfurt a M 1991; Der Atem der Frauen, Rüsselsheim 1997.

      5 Auch das Schreiben der Glaubenskongregation „Über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt“ vom 31. Mai 2004 geht von der Geschlechterdifferenz aus. Es weist auf die Zusammenarbeit von Männern und Frauen, bei der ausdrücklichen Betonung der Verschiedenheit der Geschlechter, hin. Allerdings gewinnt man bei der Lektüre den Eindruck, dass zwar die Differenz anerkannt wird, dass dies aber nicht zwingend zu einer kreativen Balance zwischen den Geschlechtern führt. Vgl. hierzu auch den Kommentar von Luisa Muraro: http://christel-goettert-verlag.de/html/kardinal_ratzinger.htm (15. Juli 2005).

      6 Wie den Angaben des Statistischen Bundesamtes zu entnehmen ist, wurden 2009 185.817 Ehen in Deutschland geschieden 145 656 minderjährige Kinder waren betroffen „Bei den im Jahr 2009 geschiedenen Ehen wurde der Scheidungsantrag in der Mehrheit der Fälle von der Frau (53,3 %) und in 38,1 % vom Mann gestellt“ (http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/ DE/Presse/pm/2011/01/PD11_028_12631,templateId=renderPrint.psml, 14. Februar 2011).

      7 Vgl. Lebenslagen in Deutschland Der 3 Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, http://www.bmas.de/portal/26742/property=pdf/ dritter_armuts_und_reichtumsbericht.pdf, 14. Februar 2011. Er bestätigt, dass soziale Ungleichheit auch in Deutschland kein Randphänomen mehr ist und in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen hat. „Etwa jeder achte Bundesbürger (13 http://digiom.wordpress.com/2009/11/24/es-gibt-keine-authentizitaet-es-sei-denn-wir-entdecken-was-wir-fur- wahrscheinlich-halten-koennen/) war arm“ (http://www.sovd.de/1343.0.html, СКАЧАТЬ