Название: Organisationskultur der katholischen Kirche
Автор: Paul F. Röttig
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge
isbn: 9783429063337
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Wenn also in dieser Studie über die Kultur der Kirche gesprochen, diese auch „diagnostiziert“ und über ihren Wandel nachgedacht wird, ihre sicht- und greifbaren, tradierten und gemeinsam gelebten Denk-, Verhaltens- und Handlungsweisen auf den Prüfstand gestellt werden, ist die Übersetzung der globalen Kirche in den konkreten Gemeindealltag und gleichzeitig die Übertragung der „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute“ (GS 1) in die von Jesus Christus gewollte katholische, das heißt alle Fülle umfassende Weltkirche und in ihre pfarrlich strukturierten Ortskirchen unabdingbar.
Auch wenn sich die kirchliche Hierarchie bisweilen echte Schwierigkeiten zugestehen muss, die gesprochenen und gelebten Worte Jesu ohne Verfälschung des kirchlichen Lehramtes verständlich in die Gegenwart zu übersetzen, scheinen die „Laien“ – aus welchen Gründen auch immer – oft einen leichteren und unbeschwerteren, wenn auch manchmal weniger reflektierten Zugang zum Lexikon des überzeugenden christlichen Lebens zu haben. Trotz der Untrennbarkeit des hierarchischen kirchlichen Lehramts und der „Basis“ der Kirche muss deren sensus fidei, der „Glaube als Antwort auf das Wort Gottes“193 im Licht des „allgemeinen Prophetentums“ des getauften Christen noch immer als Stiefkind nebenher laufen.
Bisweilen wird der einfache Gläubige von dem einen oder anderen Theologen als „unreif“ bezeichnet, unreif in Bezug auf sein Glaubenswissen und -leben. Diese Unreife aber gründet vielfach in der Unreife jener klerikalen „Gottesdiener“ selbst, die meinen, dass der Dienst Gottes alleine ihre Aufgabe sei. So verwundert immer wieder die krampfhafte Stille, wenn der Priester oder Diakon die Teilnehmer an der Eucharistie- oder Wort-Gottes-Feier einladen, beim Gebet des Volkes ihre eigenen Fürbitten vorzutragen. Da verkrampfen sich sogar die Lippen von Generaldirektoren und Akademikern, lediglich die ungeübten Zungen des einfachen Kirchenvolkes zeigen Mut, ihre Gedanken zu formulieren. Dahinter steckt ebenso die „Unreife“, alle andere, nicht aber sich selbst zur Kirche zu zählen.
Wenn die Meinungsumfrage bezüglich der kirchlichen Kultur alle haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter der Kirche ebenso anspricht wie den nicht direkt in der Kirche aktiven Mitarbeiter, ist das ein klares Signal für eine Kultur des gemeinsamen Denkens und Handelns in der Kirche, nicht eines individualistischen Wegs, mag ein solcher noch so sehr theologisch begründet und kirchlich approbiert zu sein. „Es macht keinen Sinn über Theologie zu sprechen, wenn wir dem Nächsten nicht helfen“, stellt Papst Franziskus die soziale Agenda in den Mittelpunkt dessen, was wir Kirche nennen.194 Diese Erinnerung und zugleich Ermahnung des Papstes an die missionarische Aufgabe aller Pilger des wandernden Volkes Gottes mag auch auf die konkrete pastorale Zielsetzung des praktisch-theologischen Aspekts der Gestaltung der Organisationskultur der Kirche verweisen. Pastoral meint nicht, mit den Menschen über die Kirche, auch nicht über Gott zu sprechen, sondern ihnen den Weg zu öffnen, mit Gott zu sprechen.
Aus christlicher Sicht bedeutet „orientieren, wahrnehmen, deuten und handeln“ im Kontext der kirchlichen Kultur gleichzeitig aktive Beschäftigung und passive individuelle und soziale Betroffenheit. Ohne den Wert von Studien minimieren zu wollen muss jedoch festgehalten werden, dass die Mehrzahl wissenschaftlicher Traktate über Organisationskultur von Lehrenden der Organisationswissenschaften und -theorien und Unternehmensberatern verfasst wurden und werden, die von einer Diagnose der Organisationskultur ausgehen, ohne jemals selbst Teil der untersuchten Organisation gewesen zu sein.
Eine Unternehmenskulturanalyse ist zunächst alles andere als einfach, denn sie beinhaltet eine zweifache Herausforderung, die auch in dieser Forschungsarbeit nicht unterschätzt werden darf: Erstens lebt jede Unternehmenskultur im Kontext oft zahlreicher Subkulturen, die nicht immer mit der übergeordneten Kultur in Einklang zu bringen sind. Als Beispiel für ein solches Auseinanderklaffen von Kulturen wären die unterschiedlichen Charaktere eines Ordens und der Diözese, in der er wirkt.195 Und zweitens manifestiert sich keine Kultur eines sozialen Gefüges als klar ersichtliches, exakt umrissenes und vielleicht sogar quantifizierbares Bild, sondern ist gefordert, aus vielen Einzelelementen ein qualitatives Spiegelbild und somit eine (für einen Dritten) verständliche Aussage zu erarbeiten, die allerdings „sicher ein intuitives Moment nicht ausschließen läßt“.196 In anderen, die vorliegende Studie betrachtenden Worten: Die Beschäftigung eines engagierten Kirchenmitglieds mit der Organisationskultur der Kirche bringt gewiss Vor-, aber auch Nachteile mit sich: einerseits ein gewisses Insiderwissen, andrerseits aber das Faktum, dass ein wertneutraler „Objektivismus“ selbst bei professionellen Beobachtern fast nicht möglich erscheint. Ein unabhängiger, also ein strikt neutraler Standpunkt im Diagnoseprozess einer Organisation ist extrem schwierig zu erreichen, denn jeder noch so wissenschaftlich orientierte Fachmann wird mit seinen persönlichen Wertvorstellungen, Denkschemata und Verhaltensweisen an die Aufgabe herangehen. Bewusst und noch mehr unbewusst unterlegte Hypothesen können die Objektivität einer Kulturanalyse belasten. Die Gefahr besteht sowohl in einer Identifikation mit der untersuchten Kultur als auch in einer gezielten Distanzierung.
Die im Kapitel 6 „Kulturanalyse zweier österreichischer Diözesen“ dargestellten Ergebnisse einer exemplarischen Befragung von Mitarbeitern und Gläubigen stützt sich auf die langjährige Erfahrung mit solchen Prozessen in der säkularen Wirtschaft und in karitativen Institutionen, von denen einige der Kirche angehören oder dieser sehr nahe stehen. In solchen Befragungen ging es nie um eine Wertung im Sinne einer organisatorischen Kultur-Exzellenz, sondern stets um die Orientierung aller Stakeholder, das Unternehmen auf seinem Weg zum strategischen Ziel effizient und effektiv zu begleiten. Eine solche qualitative Intention liegt auch der empirischen Erfassung der Unternehmenskultur zweier österreichischer Diözesen zugrunde.
2.2.3 Kirche – eine Gesellschaft mit hierarchischen Organen
Aber, so stellt sich die Frage, kann und darf die eine Kirche Jesu Christi wirklich als Organisation bezeichnet werden – auch wenn die Kirchenkonstitution Lumen gentium im Zweiten Vatikanischen Konzil die irdische Kirche als sichtbare, also soziale Versammlung (LG 8) definiert hatte? Bei seiner morgendlichen Predigt in der Kapelle des Hauses Santa Marta griff Papst Franziskus einmal die Turbulenzen um die Vatikan-Bank IOR auf und meint, dass die Kirche „ihre wesentliche Substanz verliert“,197 wenn sie sich in ihrem Verhalten und ihren Aktivitäten als Organisation definiert. Ob der Papst mit diesen Worten der Kirche menschliche und soziale Werte absprechen möchte, die in jeder Organisation, in der Menschen zusammenarbeiten, zum Tragen kommen, oder ob er mit der Bezeichnung Organisation vielleicht doch eher mafia-verwandte Strukturen meinte, muss offen bleiben. Beides ist denkbar, aber aus dem theologischen Verständnis des Konzils, und hier vor allem der Kirchenkonstitution, bietet sich doch eher eine hermeneutische Eingrenzung dahingehend an, dass der Kirche, die „geheimnisvoller Leib Christi“ ist, als einer „mit hierarchischen Organen ausgestatteten Gesellschaft“ (LG 8) kaum das Wesensmerkmal einer Organisation abgesprochen werden kann.
Um potentiellen, sowohl angestrebten oder aber auch unbewussten Fehlinterpretationen aus dem Weg zu gehen, sei hier jedoch der Versuch gewagt, die vielleicht zu sehr auf eine weltliche Institution bezogene und damit eingrenzende Begriffsbezeichnung „Organisationskultur“ im Kontext der Kirche Jesu Christi präziser zu formulieren. Zudem könnte die Begrifflichkeit „Organisationskultur“ zur Betrachtung einer eindimensionalen, d.h. der sichtbaren Fassade der Kirche verleiten. Um der ungeteilten komplexen Wirklichkeit der Kirche nach Lumen gentium gerecht werden zu können, sollte demnach der in der Betriebswirtschaft wurzelnde Ausdruck „Organisationskultur“ für die Kirche präziser und somit auch unmissverständlicher gefasst werden.
Um diese Spannung lösen zu können, bedarf es der Reflexion auf die Sendung der Kirche in der Welt. „Man wird den ganzen Fragen nur gerecht, wenn man die Botschaft von der Gottesherrschaft als die Mitte der Verkündigung Jesu darstellt“, schreibt Kardinal Karl Lehmann schon 1982, damals noch nicht Bischof, und fügt hinzu: „Jesus sieht die endzeitliche Gottesherrschaft als das Heil an, das schon jetzt das ganze Denken und Handeln des Menschen bestimmen soll.“198 Es geht also keineswegs um eine Vertröstung auf das jenseitige СКАЧАТЬ