Название: Der verschwundene Brief
Автор: Eckart zur Nieden
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783865069580
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Mats bläst Staub von der Kiste auf dem Platz neben seiner Mutter und setzt sich. „Und? Hast du welchen gefunden?“
„Die Frage klingt so, als glaubst du nicht, dass man bei Gott Trost finden kann. Doch, kann man. Sicher gibt es Menschen, die das Vertrauen verlieren, wenn sie schwere Dinge erleben. Mich treiben die Schicksalsschläge eher zu ihm hin. Weil ich da … wie soll ich sagen …?“
„Trost finde.“
„Ja. Und ruhig werde. Und geborgen bin.“
Eine Weile schweigen sie beide. Dann fragt Mats: „Hast du Spielsachen gefunden?“
„Nichts für ein kleines Mädchen. Aber ich werde später noch weitersuchen.“
„Was ist denn das da hinten für ein Karton? Da guckt ein Papierdrachen raus. Oder was ist das für ein Ding?“ „Das sind uralte Sachen. Von deinem Opa.“ Mats steht auf und geht in die Ecke mit den ältesten Kisten. In dem Karton findet er Spielsachen aus Holz und Blech, aus einer Zeit, in der es noch keinen Kunststoff gab. Automodelle und eine Dampfmaschine, die offenbar richtig befeuert werden konnte und sich bewegte. Das muss damals echt was Besonderes gewesen sein. Darunter liegen Stapel von verschiedenen Heften und Bücher. Er liest die Titel. „Die Schatzinsel“, „Addi, der Rifleman“, „Wettflug der Nationen“. Obenauf liegt ein noch verschlossener Brief.
Mats nimmt den Umschlag und kommt damit zu seiner Mutter zurück. „Ein ungeöffneter Brief.“
„Ach ja, ich erinnere mich. Wir haben ihn aus Respekt nicht geöffnet. Aber das hätten wir inzwischen natürlich tun können. Haben’s nur vergessen.“
„Herrn Hans Droste“, liest Mats.
„Das war dein Großonkel. Der ältere Bruder deines Großvaters Klaus. Er wurde mit sechzehn Jahren als Luftwaffenhelfer eingezogen, zur Flak. Davon ist er nicht wiedergekommen.“
„Ja, das hat Papa uns erzählt.“
„Kurz nachdem er fort war, ich meine, es wäre schon am Tag danach gewesen, aber so genau weiß ich das nicht …“
„… kam dieser Brief.“
„Kam dieser Brief an ihn. Seitdem liegt er bei den alten Sachen.“
„Absender ist ein L. Schultheiß. Oder eine L. Schultheiß, der Schrift nach könnte es eher eine Frau sein.“
Hannah ruft von unten: „Seid ihr da oben?“
„Ja, wir kommen!“, ruft Anette Droste und steht auf. Mats folgt ihr und sagt: „Ich nehme den Brief mal mit runter. Wir sollten ihn aufmachen. Nach so langer Zeit müssen wir das Postgeheimnis unseres längst verstorbenen Großonkels nicht mehr so ernst nehmen.“
Als sie im Wohnzimmer sitzen und Mats gerade den Brieföffner sucht, kommt Hannah herein. „Ich habe in der Küche gedeckt. Kommt, wir haben schon Hunger, Mia und ich.“
„Sekunde noch“, sagt Mats. „Wir haben einen uralten Brief an unseren Großonkel gefunden, den noch nie jemand gelesen hat.“
„Von wem?“
„L. Schultheiß. Keine Ahnung, wer das ist.“
„Lies mal vor!“
Mats zieht drei Blätter aus dem Umschlag und wirft einen ersten Blick darauf. Komisch – auf zwei Blättern steht nur eine schier endlose Folge von Buchstaben. „Nur Buchstaben. Die beiden Blätter voll. Nur große Buchstaben, ohne Absätze, ohne Satzzeichen.“
„Eine Geheimschrift?“
„Ein richtiger Brief ist auch dabei.“
„Lies ihn mal vor!“, bittet seine Mutter.
„Kassel, den 17. 3. 1941. Lieber Hans Droste. Ihre Adresse habe ich von Ihrem Freund Daniel Grüntal bekommen. Er ist mein Schüler. In der vergangenen Nacht klingelte er bei mir und bat, sich für kurze Zeit hier verstecken zu können. Seine Mutter war gerade verhaftet worden, aber er konnte fliehen. Er schrieb dann bei mir diesen in einem mir unbekannten Code verfassten Brief und bat mich, ihn an Sie zu schicken. Wenn ich es richtig verstanden habe, haben Sie beide sich diese Geheimschrift aus spielerischen Gründen ausgedacht. Jedenfalls sagte er, Sie könnten den Brief lesen. Er meinte, es sei wichtig, dass jemand, dem er vertraut, einige Dinge wisse. Zum Beispiel, wer seine Mutter schon dauernd bedrängt habe, ihm ihr Haus zu einem Spottpreis zu verkaufen, ehe sie es nicht mehr verkaufen könne. Und auch, wie und wo er mit seiner Mutter die Wertsachen versteckt habe, Bilder, Schmuck und dergleichen. Heute hat Daniel meine Wohnung wieder verlassen. Ich hoffe, dass er diese schwere Zeit überlebt. Er hat mir nicht gesagt, was er vorhat. Vielleicht steht das in diesem Brief. Unbekannterweise grüßt, Klammer auf: In der Annahme, dass ich mir bei Ihnen als einem Freund von Daniel den H. H.-Gruß ersparen kann, Klammer zu, Luise Schultheiß.“
Eine Weile schweigen alle drei, bis Mia kommt. „Essen wir jetzt?“
„Ja, wir essen jetzt“, antwortet ihre Oma, und alle gehen in die Küche.
„Meinst du, wir kriegen den Code geknackt?“, fragt Hannah ihren Bruder.
„Keine Ahnung“, sagt der. „Kann eigentlich nicht so schwer sein. Sie waren schließlich damals noch Kinder, als sie diese Geheimschrift …“
„Auch nicht viel jünger, als du jetzt bist!“
„Stellt euch vor, wir fänden noch die irgendwo versteckten Wertsachen!“
Ihre Mutter sagt nur: „Unsinn!“
„Wieso Unsinn? Ist doch nicht unmöglich.“
„Aber es ist fraglich, wem der Schatz dann gehört.“ Hannah meint: „Lasst uns das besser klären, wenn wir ihn haben.“
Mats überlegt. „Es gibt sicher Programme, mit denen man so einen Code knacken kann.“
„Lass es uns lieber allein versuchen!“, wendet Hannah ein. „Falls da noch Schätze zu heben sind, wäre es gut, wenn kein anderer was davon mitbekommt.“
„Schluss jetzt!“, sagt ihre Mutter energisch.
„Ich habe Hunger.“ Mias Stimme ist ganz leise.
„Ja, wir essen jetzt. Du weißt ja, Mia, wir beginnen immer mit einem Tischgebet.“ Und alle vier senken die Köpfe.
Dienstag, 7. Juni
Es klingelt.
„Das ist für mich“, sagt Hannah. „Jaron, ein IT-Student. Ich kenne ihn von der Uni. Er will mir ein Programm installieren.“
„Was denn für ein Programm?“ Mats ist an allem interessiert, was mit PCs zu tun hat.
Hannah ist schon an der Tür. „Eins, das mir eingescannte Texte vorliest. Tut mir leid, dass ich schon aufstehe! Esst einfach weiter!“
Sie öffnet die Haustür.
„Hallo, СКАЧАТЬ