Weisheit und Mitgefühl in der Psychotherapie. Christopher Germer
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Название: Weisheit und Mitgefühl in der Psychotherapie

Автор: Christopher Germer

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783867812313

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СКАЧАТЬ Fahrzeug“) genannt wurden und die bei der Verbreitung des Buddhismus nach Tibet und in andere Regionen des Himalaya eine zentrale Rolle spielten. Zum Teil auf der Grundlage der oben beschriebenen Lehren hatten einige Schulen des Mahāyāna die Auffassung vertreten, dass eine gewaltige Fähigkeit für Mitgefühl und Weisheit und für alle damit verbundenen Qualitäten des Erwachens angeboren und schon mit der tiefsten, unbedingten Natur unseres Geistes gegeben ist. Die Traditionen des Vajrayāna legen besondere Betonung auf diese Lehre von der Buddha-Natur. Mit Bezug auf diese Lehre wurden die grundlegenden Lehren über Leiden und seine Ursachen neu gefasst.

      Unsere Buddha-Natur

      Nach Auffassung des Vajrayāna ist unsere fundamentale Bewusstheit vor allen Mustern selbstbezogenen Anhaftens wesentlich unbedingt, rein und unkontaminiert. Unsere grundlegende Bewusstheit ist eine grenzenlose Weite der Leere und des Erkennens, die schon mit allumfassender Weisheit und allumfassendem Mitgefühl begabt ist, wie grenzenloser Raum, der von Sonnenlicht durchdrungen ist. Individuelle und sozial konditionierte Gewohnheiten, zu verdinglichen und festzuhalten, haben viel von diesem grundlegenden Potential verschüttet. Mitgefühl und Weisheit zu kultivieren, besteht daher nicht darin, neue innere Zustände zu erzeugen und sie stärker werden zu lassen (wie es im Theravāda und in einigen früheren Traditionen des Mahāyāna gesehen wurde), sondern vielmehr darin, dem Geist zu helfen, seine auf Täuschung beruhenden Tendenzen aufzugeben, sodass sich seine angeborene, unbedingte Kraft grenzenlosen Mitgefühls und grenzenloser Weisheit, seine Buddha-Natur, spontan manifestieren kann. Ein Psychotherapeut, der diese Vision im Bewusstsein hält, kann unabhängig von den emotionalen Problemen im Vordergrund die tiefste Natur eines Patienten nähren und unterstützen.

      Die tiefe ursprüngliche Natur des Geistes, heißt es deshalb im Vajrayāna, enthält als Potential alle positiven Energien und Qualitäten des Erwachens. Wenn die Aufmerksamkeit eines Menschen dauernd in Mustern selbstbezogenen Denkens und selbstbezogener Reaktionen befangen ist, werden diese angeborenen Energien zu Emotionen geformt, die auf Täuschung beruhen, wie Angst, Streben nach Besitz und Abneigung – zu inneren Ursachen von Leiden (Bokar Rinpoche, 1991). Bei der Praxis des Vajrayāna geht es darum, diese verwirrten Muster von Emotionen zu transformieren und zu befreien, indem sie die angeborene, primordiale Bewusstheit alle Erfahrungen als Ausdruck ihres eigenen leeren Wissens, jenseits von Verdinglichung oder Anhaften, erkennen lässt. Wenn angeborene Bewusstheit Gedanken und Emotionen als Muster der eigenen wissenden Leere erkennt, lösen sich Emotionen spontan von selbst in ihrer eigenen unkonditionierten Leere, wie das Schreiben auf Wasser wieder in seinem eigenen unveränderlichen Wesen des Wassers aufgeht. Dann werden die angeborenen Energien, die auf Täuschung beruhende Emotionen genährt hatten, von ihrer entstellten Prägung zu Mustern befreit, um sich als Energien allumfassenden Mitgefühls, allumfassender Weisheit und allumfassender Präsenz für andere zu manifestieren (Dilgo Khyentse Rinpoche, 1996; Makransky, 2010; Ray, 2001; Sogyal Rinpoche, 2012). Mitgefühl wird so als eine intrinsische Fähigkeit fundamentaler Bewusstheit verstanden – als eine angeborene Qualität primordialen Geistes, die automatisch entfesselt wird, wenn der Geist von seinen gewohnten Mustern selbstbezogener Konzeptualisierung und Reaktivität befreit ist.

      Weil alle Menschen diese selbe angeborene Fähigkeit für spontanes Erwachen besitzen, kennt das Mitgefühl eines Schülers des Vajrayāna andere Wesen nicht nur in ihrem Leiden, sondern auch in ihrer unermesslichen Würde, in ihrer ursprünglichen Reinheit und in ihrem angeborenen Potential. Jemand, der seine Buddha-Natur verwirklicht hat, kommuniziert dann mit der Buddha-Natur in anderen Menschen, die noch nicht verwirklicht ist, spiegelt ihnen damit ihr tiefstes Potential und hilft damit, es in ihnen hervorzurufen (Makransky, 2010). Erwachen zum eigenen angeborenen Potential wird ansteckend.

      Die Meditationspraxis des tibetischen Vajrayāna verkörpert diese Möglichkeit der „Ansteckung“. Man ruft sich eine Menge erwachter Wohltäter in menschlicher oder symbolischer Form ins Bewusstsein, die man als Verkörperungen tiefsten Mitgefühls und tiefster Weisheit, von verwirklichter Buddha-Natur betrachtet. Man kommuniziert intensiv mit diesen mitfühlenden Gestalten, indem man der Buddha-Natur, die sie repräsentieren, rituell alle seine äußeren und inneren Erfahrungen anbietet. Unsere Schichten von Leiden können jetzt, da sie mit dem durchdringenden Mitgefühl und der durchdringenden Weisheit dieser Wohltäter gehalten werden, in einem Bewusstsein tiefer Akzeptanz und Sicherheit wahrgenommen werden. Das hilft uns, den Zugriff und die Fixierung unserer emotionalen Prägung zu lösen und schließlich mit unseren Wohltätern im Grund ihres umfassenden Mitgefühls, der Buddha-Natur, der grenzenlosen Weite von Leere und Erkenntnis, zu verschmelzen (Thondrup, 1995). Von dieser Stelle aus kann jetzt unsere eigene angeborene Fähigkeit befreit werden – unser Mitgefühl für alle anderen in ihrem Leiden und dem darunter liegenden Potential kann sich spontan entfalten. Wenn wir auf diese sanfte Weise lernen, zur Anerkennung unserer Buddha-Natur zu gelangen und ihre mitfühlende Energie auf alle anderen auszudehnen, lernen wir, unseren eigenen Platz unter erwachten Wohltätern einzunehmen und zu einer Erweiterung oder Fortsetzung ihrer Aktivität für alle Wesen zu werden (Bokar Rinpoche, 1991; Dilgo Khyentse Rinpoche, 1996; Makransky, 2010).

      Mitgefühl und Weisheit sind in den drei führenden buddhistischen Traditionen auf unterschiedliche Weise miteinander verbunden. Im frühen Buddhismus und im Theravāda-Buddhismus wird Mitgefühl als eine Kraft für tiefe innere Reinigung und für Schutz und Heilung gesehen, die innere Freiheit unterstützen kann. Im Mahāyāna-Buddhismus wird Mitgefühl zu dem primären Mittel, eine nicht konzeptuelle Weisheit in Kraft zu setzen und zu vermitteln, in der man sich selbst und andere als ungetrennt erlebt. Im Vajrayāna-Buddhismus strahlt unbedingtes Mitgefühl allumfassend als ein spontaner Ausdruck der tiefsten unkonditionierten Natur des Geistes aus.

      Systematische Formen, weises Mitgefühl zu kultivieren, wurden in jeder der drei Traditionen entwickelt. In unserer modernen globalen Kultur haben Therapeuten die Möglichkeit, zu untersuchen, welcher Ansatz sie selbst oder ihre Klienten am besten orientieren und nähren kann. In Zusammenarbeit mit erfahrenen Lehrern dieser Traditionen der Meditation können Therapeuten auch untersuchen, wie existierende Konzepte und Techniken vielleicht an ihre Settings angepasst werden können. Möge dieses Buch diese edlen Bemühungen fördern und unterstützen.

      KAPITEL 5

      Der mitfühlende Therapeut

      ELISSA ELY

      Menschen sind keine Probleme, die gelöst werden.

      DIANA TRILLING (1982, S. 339)

      Anmerkung der Herausgeber: Die meisten Therapeuten halten sich für mitfühlend, und sie sind es auch wirklich. Doch wir sind alle mit Grenzen dessen konfrontiert, was wir tun können. Die folgende Geschichte illustriert, wie schwer es ist, angesichts des namenlosen Leides in der Welt mitfühlend zu bleiben.

      An zwei Abenden der Woche besuche ich ein Obdachlosenasyl. Viele der Patienten, die ich da habe, hören Stimmen, und manchmal glauben sie, dass sie für Verbrechen bestraft werden, die sie nie begangen haben. Sie leben in großer Angst vor schrecklichen Ereignissen, die nie eintreten werden, und manchmal können sie das Schreckliche nicht vergessen, was sie tatsächlich erlebt haben.

      Ich verschreibe Meditationen, halte bildlich gesprochen ihre Hand, bewundere ihre Stärken und gebe ihnen zu verstehen, dass ihre Symptome abnehmen werden und sich ihr Leben verbessern wird, wenn sie einfach durchhalten – wenn sie ihre Medikamente nehmen, regelmäßig Terminvereinbarungen mit ihren Therapeuten einhalten und sich von Drogen fernhalten.

      Aber ich weiß, dass dies nicht immer so ist.

      Dies ist die Geschichte eines Patienten aus dem Asyl. Sie begann mit einem Zeitungsartikel, den ich über ihn schrieb. Sein Intelligenzquotient lag unter 70. Weder trank er noch nahm er Drogen, aber es fiel ihm schwer, seinen Drang nach Lotterielosen zu kontrollieren. Wenn seine Zahl gezogen wurde, lud er die vielen Freunde aus seinem Umkreis, die er plötzlich hatte, zu chinesischem Essen und manchmal ins Kino ein.

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