Название: Handbuch der Interpersonellen Neurobiologie
Автор: Daniel Siegel
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783867813372
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„Ein Kernaspekt des Geistes kann als verkörperter und relationaler Prozess definiert werden, der den Fluss von Energie und Information reguliert.“
Mit dieser Definition fanden wir einen gemeinsamen konzeptuellen Raum, in dem wir tief in unser grundlegendes Thema eintauchen konnten: Was ist die Verbindung zwischen dem Geist und dem Gehirn? Durch die Arbeit mit dieser Definition hatte die Gruppe eine gemeinsame Grundlage, auf der Kommunikation möglich wurde, und unsere Treffen setzten sich über viereinhalb Jahre fort. Seitdem hat es viele wissenschaftliche Erkenntnisse gegeben und die Interpersonelle Neurobiologie als eine Verständnisform des Geistes und unseres menschlichen Lebens ist in vielerlei Hinsicht gewachsen. Im Jahre 1999 erschien die erste Auflage meines Buches The Developing Mind (in deutscher Übersetzung erschienen als Wie wir werden, die wir sind), darin wurde dieser Ansatz als eine interdisziplinäre Verständnisform des Geistes und der mentalen Gesundheit vorgeschlagen. Wir haben nicht nur versucht, eine Arbeitsdefinition des Geistes zu formulieren, sondern auch Hinweise dazu gegeben, was ein „gesunder Geist“ sein könnte. Zwölf Jahre später wurden in der zweiten Auflage des Buches über zweitausend neue wissenschaftliche Quellen gesammelt, um diesen grundlegenden Ansatz zu bestätigen oder zu widerlegen. Ich hatte das Privileg, im letzten Jahr mit fünfzehn Forschungspraktikanten zu arbeiten, deren Aufgabe es war, zu beweisen, dass „die Interpersonelle Neurobiologie und The Developing Mind fehlerhaft sind“. Unter dieser Vorgabe brachten sie die Quellen auf den neuesten Stand und prüften, welche Aussagen im Buch verändert werden mussten. Oft fanden sie heraus, dass Aussagen wie „Die Wissenschaft hat noch nicht bewiesen, dass dies wahr ist“ nun verändert werden konnten, weil es neue Nachweise für viele der ursprünglichen Hypothesen gab. Somit wird auch das Schreiben dieses Handbuchs befeuert von diesem ansteckendem Ehrgeiz, die essentielle konzeptionelle Struktur sowie Annahmen der Interpersonellen Neurobiologie, die vor über zwölf Jahren formuliert wurden, durch etablierte, wissenschaftliche empirische Forschung zu bestätigen.
Im letzten Jahrzehnt haben wir dieses Forschungsgebiet auch durch die Gründung der Buchreihe „Norton Series on Interpersonal Neurobiology“ weitergeführt – die Reihe, in der auch das vorliegende Buch im englischen Original erschienen ist. Zunächst war ich der verantwortliche Lektor für diese Buchreihe und habe in dieser Rolle fünfzehn Buchprojekte betreut. Ich freue mich, dass ich diese Rolle an Allan Schore übergeben konnte, der heute als verantwortlicher Lektor die Arbeit weiterführt und noch eine Vielzahl von Büchern für diese berufsbegleitende Edition zusammenstellen wird. In den letzten fünf Jahren ist zudem die gemeinnützige Organisation GAINS (Global Association for Interpersonal Neurobiology Studies, MindGAINS.org) entstanden, um die Arbeit von Fachleuten zu unterstützen, die dieses Modell in verschiedenen Gebieten anwenden möchten. Dazu gehören die Bereiche der Psychotherapie, Pädagogik, Organisationsentwicklung, kontemplativen Praxis, Kindererziehung und der Religion. Durch die Erkenntnisse der Autoren von Büchern dieser Reihe konnte den Fachleuten in verschiedenen Bereichen das Verständnis dieser neuen interdisziplinären Denkweise über unser Leben und die Natur der Gesundheit vermittelt werden.
In diesen Anfangsjahren hatte ich den Eindruck, dass ein gemeinsamer Ort notwendig ist, an dem verschiedene Verständnisweisen respektvoll zum Ausdruck kommen können – und diese Überzeugung hat sich im Laufe der Zeit noch verstärkt. Deshalb ist es notwendig, die Interpersonelle Neurobiologie „disziplinneutral“ zu halten. Auf diese Weise können wir dieses Forschungsgebiet so fördern, dass darin das breite Spektrum von Ansätzen integriert werden kann, das wir Menschen geschaffen haben, um die Natur der Wirklichkeit zu verstehen. Die Wissenschaft ist unser Ausgangspunkt, sie ist aber nicht das Ende unserer Untersuchungen. Sorgsam konzipierte Forschung ist ein wunderbares Werkzeug, wenn sie mit der Perspektive angewandt wird, dass sie nicht das Ein und Alles unserer Wissensmöglichkeiten darstellt. Viele Aspekte des Lebens können wir nicht in quantitativen Begriffen messen; die realen Facetten des Menschseins lassen sich häufig nur schwer in den vorgegebenen statistischen Analysen erfassen, die wir in Fachzeitschriften publizieren. Wenn wir über den Geist sprechen, werden andere Erkenntniswege wichtig, solche, die über unsere subjektive Erfahrung funktionieren: innere Reflexion und Kontemplation, poetische Ausdrucksformen, Musik und künstlerisches Schaffen. Und das, obwohl sie nicht auf Zahlen in einer Tabelle reduziert werden können und auch nicht feinsäuberlich in einer Grafik darstellbar sind. Vielleicht werden sie in Zukunft messbar sein, vielleicht aber auch nicht. Das Entscheidende dabei ist Folgendes: Etwas kann real sein, auch wenn es jetzt und in Zukunft nicht numerisch erfasst werden kann. Nichtsdestotrotz bleibt die Wissenschaft, obwohl sie oft von sorgsamer Messung abhängig ist, ein grundlegendes Element dieser interdisziplinären Arbeit.
Ein Grund, weshalb ein wissenschaftlich begründeter Ansatz wie der der Interpersonellen Neurobiologie hilfreich ist, besteht darin, dass wir dadurch Voraussagen darüber machen können, was Forschungen in der Zukunft aufzeigen werden. Als wir das Buch The Developing Mind auf den neuesten Stand brachten, erhielten wir neue Unterstützung für diesen Ansatz. Denn viele unserer Vorhersagen – die auf der Synthese wissenschaftlicher Erkenntnisse aus verschiedenen Forschungsfeldern gründeten und diese Implikationen als Hypothesen in die Zukunft projizierten – wurden nun von unabhängigen wissenschaftlichen Laboren in neuen Untersuchungen bestätigt. In der Wissenschaft brauchen wir bestehende Hypothesen, um den Ausgang von Forschungen vorherzusagen; es genügt nicht, dass wir lediglich im Nachhinein erklären, warum wir etwas entdeckt haben. In mehreren Bereichen hat die Interpersonelle Neurobiologie als Quelle für Vorhersagen gedient, die später von der Forschung bestätigt wurden. Diese Erkenntnisse unterstützen den Wert vieler allgemeiner Prinzipien und Prozesse, wie Integration, Regulation und die Bedeutung sozialer Erfahrungen in der Entwicklung eines gesunden Geistes.
Wenn Sie während des Lesens Interesse daran gefunden haben, selbst Zugang zu den Auswertungen und Synthesen der ausführlichen wissenschaftlichen Studien zu bekommen, verweise ich Sie gern auf die Neuauflage von The Developing Mind (Siegel, 2012). Eine weitere Fundgrube sind die vielen Ausgaben dieser Buchreihe von Norton, die zusammengenommen Tausende von Quellen enthalten. Wenn Sie nachlesen möchten, wie die Interpersonelle Neurobiologie im Umgang mit Kindern angewendet werden kann, bietet sich die Gelegenheit in den Büchern Gemeinsam leben, gemeinsam wachsen (Siegel und Hartzell, 2009), Achtsame Kommunikation mit Kindern (Siegel und Bryson, 2013). Im Bereich der Achtsamkeit bietet Das achtsame Gehirn (Siegel, 2007) eine tiefgründige und eingehende Untersuchung darüber, wie die Interpersonelle Neurobiologie alte kontemplative Übungen und ihre modernen pädagogischen und therapeutischen Wirkungen erklären kann. Wenn Sie als Psychotherapeut oder interessierter Laie die Interpersonelle Neurobiologie für sich selbst nutzen wollen, könnte das Buch Der achtsame Therapeut (Siegel, 2012) für Sie interessant sein. Darin werden einige praktische, konkret umsetzbare Anwendungen untersucht, wie das „Bewusstseinsrad“ und die „Möglichkeitsebene“, uns dabei helfen können, den eigenen Geist zu verstehen und zu entwickeln. Und wenn Sie die Geschichten von Menschen lesen möchten, die diese Ideen in ihrem eigenen Leben angewendet haben und sich in der Therapie oder im Alltag tief in einige „Integrationsbereiche“ begeben haben, finden Sie in Mindsight (Siegel, 2012) schrittweise Beschreibungen. Dies sind einige der veröffentlichen Quellen, die unterstützende wissenschaftliche Begründungen enthalten. Zudem finden Sie darin Wege, um diese Konzepte im tagtäglichen Prozess des Lebens und des Erwachens des Geistes in Ihnen selbst und anderen anzuwenden. Aber vor allem anderen gilt: Genießen Sie die Reise!
Das Handbuch
Warum ein Handbuch? In jedem der Bücher, die ich weiter oben erwähnt habe, und in vielen anderen Büchern der Norton-Buchreihe werden Sie eine große Vielfalt an Informationen, Geschichten und wissenschaftlichen Forschungsergebnissen finden. Zusammengenommen würde dies ausreichend Lesestoff für eine ganze Fachausbildung oder die Bibliothek eines Klinikers ergeben. Reicht das nicht aus? Warum noch ein Handbuch? Viele Leser und Studierende der Interpersonellen Neurobiologie haben nach einer Art „Zusammenfassung“, einer „Übersicht“ oder einen „Glossar“ СКАЧАТЬ