Die Kunst, mit sich allein zu sein. Stephen Batchelor
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Название: Die Kunst, mit sich allein zu sein

Автор: Stephen Batchelor

Издательство: Bookwire

Жанр: Религия: прочее

Серия:

isbn: 9783942085748

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СКАЧАТЬ mit dieser mir neuen Medizin zu.

       5

       Über die Einsamkeit

       Michel de Montaigne

      Ausgewählte Passagen aus den Essais

      Es war eine melancholische Gemütsverfassung und damit eine Gemütsverfassung, die deutlich im Widerspruch zu meiner Natur stand, hervorgerufen durch den Verdruss der Einsamkeit, der ich mich vor einigen Jahren übergeben hatte, die mir zum ersten Mal diesen Tagtraum in den Kopf setzte, mich mit dem Schreiben zu beschäftigen. ||

      Inzwischen glaube ich, dass das einzige Ziel der Einsamkeit darin besteht, mit mehr Muße und Behagen allein zu leben. ||

      Ich bin nicht von Natur aus dem hektischen Treiben bei Hofe abgeneigt: Ich habe einen Teil meines Lebens darin verbracht und bin es gewohnt, in solchen Menschenmassen frohgemut meinen Geschäften nachzugehen – allerdings nur gelegentlich und wenn es mir beliebt. Meine Pedanterie bindet mich indes zwangsläufig an die Einsamkeit. Zuhause, in einem geschäftigen Haushalt mit vielen Besuchern, sehe ich viele Menschen, aber selten diejenigen, mit denen ich gerne rede. ||

      Indem wir uns vom Amtsgebäude und Marktplatz befreien, befreien wir uns nicht von den wesentlichen Kümmernissen unseres Lebens. Ehrgeiz, Habgier, Unentschlossenheit, Ängste und Sehnsüchte werden uns wohl kaum verlassen, nur weil wir die Adresse wechseln. Sie verfolgen uns von sich aus in Klöster und philosophische Fakultäten. Weder Wüsten noch Höhlen, noch Büßerhemden, noch Selbstkasteiung können uns von ihnen befreien. ||

      Aus diesem Grund genügt es nicht, sich von den Menschen zu entfernen, genügt es nicht, woanders hinzugehen. Wir müssen uns von den Gewohnheiten des gemeinen Volkes in unserem Inneren lösen. Wir müssen unser eigenes Selbst isolieren und es wieder in unseren Besitz überführen. Wir tragen unsere Fesseln immer mit uns herum; wir sind nicht vollständig frei. Wir richten unseren Blick immer wieder zurück auf die Dinge, die wir hinter uns gelassen haben; wir fantasieren andauernd über sie. ||

      Unser Leiden ergreift uns in der Seele, und die Seele kann nicht sich selbst entfliehen. Also müssen wir sie zurückholen und zu sich selbst zurückführen. Das ist wahre Einsamkeit: Man kann sie in Städten und Königshäusern genießen, jedoch günstigerweise abseits davon. ||

      Die Einsamkeit, die ich liebe und verfechte, besteht in erster Linie darin, meine Emotionen und Gedanken zu mir selbst zurückzuholen, nicht meine Schritte, sondern meine Sehnsüchte und Ängste zu begrenzen und zu bezähmen, mich zu weigern, mich um äußere Dinge zu sorgen, und unbedingt vor Knechtschaft und Verpflichtungen zu fliehen: Es geht weniger darum, sich aus der Menschenmenge, sondern vielmehr aus der großen Menge menschlicher Angelegenheiten zurückzuziehen. ||

      Der Philosoph Antisthenes scherzte, ein Mann solle sich mit Besitztümern ausstatten, die schwimmfähig sind, so dass sie gemeinsam mit ihm dem sinkenden Schiff entkommen können. ||

      Selbstverständlich sollten wir Frauen, Kinder, Besitztümer und allem voran gute Gesundheit haben: aber nicht, um so sehr an ihnen anzuhaften, dass unser Glück von ihnen abhängt. ||

      Lasst diese Dinge uns gehören, aber nicht so fest verklebt und mit uns verbunden, dass wir uns nicht mehr von ihnen lösen können, ohne uns dabei unsere eigene Haut vom Leib zu reißen. Das Höchste auf der Welt ist es zu wissen, wie man für sich selbst sein kann. ||

      Wir sollten uns hinter dem Geschäft einen Raum reservieren, nur für uns, gänzlich abgeschieden, wo wir, da er der wichtigste Rückzugsort für unsere Einsamkeit ist, unsere wahre Freiheit verwirklichen. Dort sollten wir unser übliches Gespräch mit uns selbst fortsetzen – in Privatheit, ohne Kontakt oder Kommunikation mit irgendetwas außerhalb davon –, wo wir mit uns plaudern und lachen können, als hätten wir keine Frau, keine Kinder, keine Besitztümer, keine Begleiter und keine Diener. Wenn es dann an der Zeit ist, diese Dinge zu verlieren, so wird es für uns nichts Neues sein, ohne sie zu sein. ||

      Wir haben eine Seele, die sich sich selbst zuwenden kann; sie kann sich selbst Gesellschaft leisten. Sie vermag anzugreifen und zu verteidigen, zu geben und zu empfangen. Mach dir keine Sorgen, dass Einsamkeit dich vor Langeweile verzehrt. ||

      Wir müssen es wie jene Tiere anstellen, die ihre Spuren am Eingang ihres Unterschlupfs verwischen. Es sollte nicht mehr länger deine Sorge sein, dass die Welt von dir spricht; dein einziges Anliegen sollte sein, wie du zu dir selbst sprichst. ||

      Zieh dich in dich zurück, aber bereite dich allem voran darauf vor, dich dort zu empfangen. Wenn du es nicht verstehst, dich selbst zu geleiten, wäre es doch Wahnsinn, dich dir selbst anzu vertrauen. Es gibt Wege des Scheiterns in der Einsamkeit wie in der Gesellschaft. ||

      Wenn ich tanze, tanze ich; wenn ich schlafe, schlafe ich. Wenn ich allein in einem schönen Obstgarten spazieren gehe, sind meine Gedanken zuweilen mit dem beschäftigt, was anderswo passiert, dann wiederum bringe ich sie zurück zum Spaziergang, zum Obstgarten, zur Süße jener Einsamkeit und zu mir selbst. ||

       Ehrlich gesagt erweitert begrenzte Einsamkeit meinen Horizont und öffnet mich nach außen: Ich stürze mich bereitwilliger in Staatsangelegenheiten und in die weite Welt, wenn ich allein bin.

       6

      Ohne bemerkt zu haben, wie und seit wann, befinde ich mich in einem veränderten Geisteszustand. Mein Bewusstsein ist auf subtile, aber intensive Weise geschärft. Ekstatisch spüre ich, wie elektrische Wellen meinen Körper durchströmen, mich dazu bringen, mich zu dehnen und zu stöhnen. Meine Wirbelsäule richtet sich auf, als wollte sie die Kontemplation, die mich ergriffen hat, vervollkommnen. Ich muss mich nicht mehr konzentrieren; das geschieht ganz von allein. Ablenkung ist keine Option; alle zufälligen Gedanken haben aufgehört. Während ich in das atmende, orangefarbene Herz des Feuers starre, bin ich auf intensive, stille Art geistig präsent.

      Andrés rüttelt den Mara’akame sanft wach. Don Toño richtet sich auf, setzt den breitkrempigen Hut auf, dessen Quasten vor seinen Augen hin- und herschwingen, hebt eine Handtrommel auf und stimmt einen eindringlichen Gesang im Rhythmus seines Grundschlags an. Was auch immer er in seiner nasalen Stimme singen mag, es hat eine hypnotisierende Schönheit und Intensität. Etwas Uraltes und Melancholisches schwingt in seinen Worten in der Huichol-Sprache mit. Andrés zündet eine Zigarette an und steckt sie Don Toños zwischen die Lippen. Der Mara’akame nimmt einige tiefe Züge und trommelt weiter. Dann legt er sich hin und schläft wieder. Dieses Ritual wird sich im Laufe der Nacht mehrmals wiederholen.

      Nacho, der Jüngere, flüstert mir ins Ohr: »Wie ist der Name deines Großvaters?« Ich sage: »Alfred.« Er sagt: »Das Feuer ist dein Großvater. Die Madonna ist deine Großmutter.« Ich spüre, dass dies ein Hinweis für mich sein soll, etwas zu tun. Ich weiß aber nicht, was er meint, und verspüre kein Bedürfnis nachzufragen. Eingetaucht in mein Alleinsein, fühle ich mich in seliger Losgelöstheit von allen anderen, bin mir gleichzeitig aber ihrer Anwesenheit – und wie diese mich unterstützt – überaus bewusst.

      Raúl, ein junger Arbeiter mit dichten schwarzen Bartstoppeln, springt auf. Er nimmt alle Kräfte zusammen, spuckt mehrmals ins Feuer, starrt unverwandt in die Flammen und legt ein leidenschaftliches Bekenntnis ab. Er schlingt die Arme um seinen Körper, wiegt sich unruhig hin und her, jammert und weint, während ein Redeschwall aus ihm heraussprudelt. Irgendwann sieht es so aus, als versuchte er, sich in die Flammen hinein zu erbrechen, aber ohne Erfolg. Andrés kommt herüber und streicht mit an einem kurzen Stock befestigten Federn von Kopf bis Fuß über Raúls Körper; schüttelt СКАЧАТЬ