Was den Raben gehört. Beate Vera
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Название: Was den Raben gehört

Автор: Beate Vera

Издательство: Автор

Жанр: Секс и семейная психология

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isbn: 9783955522407

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СКАЧАТЬ noch gut weggekommen. All die Jahre, die man in seine Arbeit investiert hatte, zählten offensichtlich gar nichts, wenn man das Spiel nicht mitspielte. Seine Versetzung nach Brandenburg hatte Glander das deutlich vor Augen geführt. Er hatte schon zu lange auf der Abschussliste gestanden. Auch die schützende Hand seines Mentors Brachniks hatte die Abmahnung nicht abwenden können. Und nachdem kurz darauf im vergangenen Sommer erneut ein Fall an seinen verhassten Kollegen Rolf Prinz gegangen war, hatte Glander endlich den letzten Schritt getan: Er hatte gekündigt. Glander hatte sich eingestehen müssen, noch nie gerne ein Teamplayer gewesen zu ein. Seine Eltern hatten ihm größte Vorwürfe gemacht, immerhin verzichtete er auf einen erheblichen Teil seiner Pension. Sie wussten nichts von der üppigen Abfindung, die der Ausgang seiner letzten, inoffiziellen Ermittlungen als Kripobeamter im Sommer im Zuge seines einvernehmlichen Aufhebungsvertrags mit sich gebracht hatte. Es war ein turbulentes Jahr für ihn gewesen.

      Glander war stolz auf die alte Fischerkate. Sie war ein Kleinod in der durchsanierten Ortschaft im Schwedeneck, in der viele alte Häuschen größeren und mondäneren Eigenheimen gewichen waren. Nichts mehr erinnerte an das pittoreske Fischerdörfchen, das seinen Großeltern Heimat gewesen war und in dem die Wurzeln seiner Familie lagen.

      Glander brauchte das Wasser, Bergurlaube waren ihm ein Gräuel. Und er war froh, dass es im Berliner Südwesten genug Seen und Flüsse gab, in denen er sich, sooft es ging, tummeln konnte. Da er nur wenigen Lastern frönte, hatte er sich auch mit Mitte vierzig eine gute Figur bewahren können. Das Herumsitzen bei gleichzeitigem Leeren von Chipstüten gehörte nicht in sein Feierabendrepertoire. Glander liebte es, in Bewegung zu sein, auch geistig. Er war zufrieden damit, den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt zu haben. Vier Monate zuvor hatte er mit einer ehemaligen Kollegin vom Berliner LKA, Merve Celik, eine eigene private Ermittlungsagentur gegründet.

      Glander nahm noch einen letzten Zug von der rauen Meeresluft, die baldigen Schneefall ankündigte, zog die Jacke aus, warf sie auf den Rücksitz seines Audi A4 und stieg in den Wagen, um nach Berlin aufzubrechen, in sein neues Leben – und zu Lea. Beim Gedanken an das Wiedersehen mit ihr drückte er aufs Gaspedal.

       3

       Juni 1964

      Die neue Siedlung mit familienfreundlichen Reihenhäusern im Süden Berlins befindet sich kurz von ihrer Fertigstellung. In die Häuser am Stolberger Ring und an seinen Querstraßen, Monschauer Weg und Eupener Weg, sind die ersten Eigentümer eingezogen. Lediglich im Bauabschnitt Dürener Weg sind noch einige Häuserzeilen im Rohbau. Verkauft sind bereits alle Parzellen des etwa zwanzig Hektar großen Viertels – ausschließlich an Ehepaare, die sich schriftlich verpflichtet haben, innerhalb der ersten fünf Jahre nach dem Einzug eine Familie zu gründen, wenn sie noch keine Kinder haben. Gewerkschaftsmitglieder erhielten Vorzugskonditionen, sodass eine bunte Mischung von Bewohnern entstanden ist: Arbeiterfamilien, Akademikerpaare, Selbstständige. Hier ist die breite Berliner Wirtschaftswundergesellschaft vertreten, die sich ihren Traum vom kleinen Eigenheim mit Garten erfüllen will.

      Sigrun Lehmann ist gerade sechs Jahre alt, nach dem Sommer wird sie eingeschult werden. Ihre große Schwester Gudrun geht schon in die zweite Klasse der neuen Schule. Sigrun steht an der Hand ihrer Mutter in dem neuen Haus im Monschauer Weg und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie und ihre Schwester werden ein eigenes Zimmer bekommen! Ein ganzes Zimmer für sich alleine. Wie zwei Prinzessinnen! Dabei hatten sie sich zuerst gar nicht über den Umzug gefreut.

      Ihre Mutter kniet sich neben sie und legt den Arm um ihre Hüfte. »Na, Spatz, was meinst du, gefällt dir unser neues Zuhause?«

      Sigrun kann gar nichts sagen und drückt ihr Gesicht an die Brust ihrer Mutter. Die riecht so wunderbar, nach Marmorkuchen und nach ihrer Seife – einfach nach Mami. Bislang haben Gudrun und sie in einer Nische im Flur ihrer kleinen Zweizimmerwohnung in Moabit geschlafen.

      Gudrun kommt aufgeregt ins Zimmer gerannt. »Siggi, hast du den Garten schon gesehen? Wir haben einen Garten! Los, komm mit, da steht ein Bäumchen!«

      Annie Lehmann sieht ihren beiden Mädchen nach. Ihr Lächeln weicht einem besorgten Blick. Wie stellt Ernst sich das nur vor? Wie sollen sie diesen Kredit abbezahlen und dann auch noch ihrem Schwiegervater das Geld für die Anzahlung wiedergeben? Ernst verdient nicht viel, er baut Fernseher für Telefunken im Werk in Moabit. Es reicht gerade so für sie beide, die Mädchen und den kleinen Holger. Trotzdem hat Ernst darauf bestanden, eine Waschmaschine und einen Fernseher für das neue Haus zu kaufen. Dass sie wieder arbeiten geht, kommt für ihn nicht in Frage.

      Sie folgt den Kindern in den Garten. Auf der Terrasse schläft Holger friedlich in seinem Kinderwagen. Die beiden Mädchen spielen Fangen, dann knien sie sich vor eine der wenigen Stauden, die Annie in die Beete, die den Rasen umrahmen, gepflanzt hat, und betrachten ein Insekt. Vor dem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen einige Bauarbeiter und rauchen, das scheinen sie immer zu tun. Annie ist froh, dass sie keine Arbeiten mehr an ihrem Grundstück ausführen müssen. Die Arbeiter lösen Unbehagen in ihr aus. Manche von ihnen riechen schon am Morgen nach Alkohol. Jetzt sehen sie zu ihr herüber. Einer dreht sich kurz zu seinen Leuten, sagt etwas, und alle grölen. Der Arbeiter schaut wieder in ihre Richtung, hebt seine Bierflasche und prostet ihr laut zu: »Ein schöner Tag heute, junge Frau! Viel Glück im neuen Heim!« Er lacht anzüglich.

      Sie sind grob, diese Männer, ungehobelt, und sie gehen derb miteinander um. Annie Lehmann kennt Männer dieses Schlages sehr genau. Sie wendet sich ab und geht zurück in die Küche. Ernst hat seinen Vater eingeladen, sie muss sich bei der Vorbereitung des Abendessens Mühe geben.

       4

       Advent 2012

      Natürlich war Glander bei Wittstock / Dosse wieder einmal abgelichtet worden. Sicher hatte er auch dieses Mal kein gewinnendes Lächeln aufgesetzt. Aus keinem ersichtlichen Grund wurde die Geschwindigkeit dort auf achtzig Stundenkilometer begrenzt, und keine zweihundert Meter dahinter stand der Blitzer. Glanders Ärger legte sich erst, als er im Norden Berlins auf den Stadtring fuhr. Auf Höhe des Kaiserdamms hatte die Vorfreude auf sein Wiedersehen mit Lea dem Ärger über den bevorstehenden Bußgeldbescheid um Längen den Rang abgelaufen. Bei der Ausfahrt Steglitz war er aufgeregt wie ein Teenager vor seinem ersten Date, als sein Handy die Titelmelodie der alten Fernsehserie Die Profis spielte. Die beiden MI5-Agenten waren die Helden seiner Jugend und sicherlich prägend für seinen Berufsweg gewesen. Glander schaute kurz auf den angezeigten Teilnehmer und nahm das Gespräch über die Freisprechanlage entgegen. »Lutz! Was macht das Formaldehyd?«

      Ganz seiner Art entsprechend kam Harnack ohne Umschweife zur Sache. »Martin, ich fürchte, was ich hier habe, wird dir gar nicht gefallen. Ich sitze bei Lea im Wohnzimmer, zusammen mit ihren beiden Nachbarinnen, den Damen Lehmann. Im Keller der Nummer 56, also im Nachbarhaus der Lehmanns, wurden die skelettierten Überreste zweier Toter entdeckt, die eines Mannes und einer Frau. Ich fand bei dem weiblichen Skelett einen Ring, und die Lehmann-Schwestern sind überzeugt davon, dass er ihrer Mutter gehört habe, die Mitte der Sechzigerjahre spurlos verschwand. Ein in den Ring eingraviertes Datum scheint das zu belegen, es ist das Hochzeitsdatum des Ehepaars Lehmann. Ich schätze, ein Gebissvergleich des weiblichen Leichnams wird abschließend bestätigen, dass es sich bei der Toten um Annie Lehmann handelt. Den gehen wir direkt am Montag an.«

      Glander schüttelte den Kopf. In dem kleinen Viertel am Stadtrand gab es nicht wenig Klatsch und Tratsch, aber vom Verschwinden Annie Lehmanns hatte er noch nichts gehört. Dabei wurden ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit potenziell verwerfliche Handlungen von Nachbarn angetragen. Das fand er nach wie vor kurios. Viele der älteren Anwohner hielten ihn offenbar für eine Art richterliche Instanz. СКАЧАТЬ