Название: Jahrhundertwende
Автор: Wolfgang Fritz Haug
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783867548625
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Kulturkritik als Melancholie des Kapitals. – »Ganz gleich, ob von Fastfood-Ketten die Rede ist, vom Bevölkerungswachstum, von Übertötungskapazitäten in der Hochrüstung, vom ›Siegeszug‹ der wissenschaftlichen Rationalität, von der Steigerung des Bruttosozialprodukts, von der ›Entfesselung der Produktivkräfte‹, von der ›industriellen Massenfertigung‹ oder von der Auto-, Beton- und Kommunikationsgesellschaft: stets, wenn ein Teil seine Funktionen unkontrolliert auf Kosten aller anderen Teilfunktionen erweitert, steht die Lebensfähigkeit des Ganzen auf dem Spiel.« (Bernd Guggenberger, FAZ vom 2.2.) – Arbeitsteilige Melancholie des Kapitals, das sich da als Natur in der Natur entnennt und sich über das Entropiegesetz beugt. »Imperialismus des Partiellen«, »Chauvinismus der Art«, mit einem Wort: der Untergang der »Zuvielisation«. Alle Politiken arbeiten »letztlich nur dem großen Widersacher, der sprengenden Kraft sozialer Desintegration, in die Hand«. Weil, wer Ordnung schafft, unversehens Unordnung um ein Vielfaches vermehrt. Gruenter könnte diesen Diskurs mit im Auge gehabt haben.
11. Februar 1991
Die FAZ schreibt, dass sich Wallstreet »seit genau vier Monaten in einer echten Hausse befindet«. In Zürich und Frankfurt »fließen Milliarden vom Geldmarkt an die Kapitalmärkte«. Die Zinsen sinken.
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Lese jetzt erst Biermanns vor genau zwei Wochen datierten ZEIT-Artikel »Kriegshetze Friedenshetze«. Er argumentiert differenzierter als Enzensberger, hat nicht die US-Interessen und die Mehrschichtigkeit des Konflikts vergessen. Aber auch er bläst zum Krieg. Der Friedensbewegung wirft er vor, sie möchte jetzt »die Zerstörung der ABC-Fabriken und Raketen aufhalten, mit denen Saddam & Co Israel vernichten wollen«. Er will diese Zerstörung der Zerstörungsmittel, und ich würde sie, bliebe es dabei, ebenfalls wollen. Er sieht auch den Messecharakter des Kriegs vom Standpunkt der USA als Leistungsschau der US-Rüstungsindustrie, ebenso die Rechtfertigung der durch die Beendigung des Kalten Kriegs bedrohten Staatsausgaben fürs Militär.
Als linken Selbstbetrug, durchmischt (und z.T. manipuliert) von Heuchelei, deutet er die antiamerikanisch artikulierte Hauptlosung der Friedensdemonstranten: sofortiger und bedingungsloser Waffenstillstand. Kehrt die Losung eines PDS-Flugblatts, »Schickt Politiker in die Wüste, nicht Soldaten!«, gegen die soeben von einem Volk in die Wüste geschickten Politiker der PDS. Immer noch einmal: gegen die Endlösung, gegen die Nazis war der auch damals von miesen Interessen mitbenutzte Krieg notwendig. So der heutige: zum Schutz vor einer neuen »Endlösung« und zur Zerstörung eines Militärregimes, das ABC-Waffen einzusetzen bereit ist. Hussein-Hitler haben beide die Ausrottung der Juden vorangekündigt, beide sind »Emporkömmlinge, Tyrannen, Demagogen und Machtparanoiker«. Während man bei Hitler nicht wissen konnte, ob die Drohung leeres Wort war, weiß man bei Hussein heute, dass sie ernst gemeint ist.
Biermanns Skizze amerikanischer Interessen: »Natürlich geht es […] ums Öl. Noch schlimmer: Das Pentagon brannte schon lange darauf, seine Waffen auszuprobieren. Noch perverser: Die US-Rüstungslobby braucht dringend den Beweis dafür, dass die Billionen Dollars kein rausgeschmissenes Geld waren. Der lukrative Ost-West-Konflikt ist ihnen verdorben, aber die Aktionäre der Kriegsindustrie wollen, dass das Wettrüsten trotzdem weitergeht. Und bei den Präsidentschaftswahlen will kein Kandidat die jüdischen Stimmen verspielen.« Desto besser, sagt Biermann. Ohne diese schmutzigen Interessen würden die USA ihre Kriegsmaschine nicht in Gang gesetzt und Israel verteidigt haben. Saddams mörderischen Eroberungskrieg gegen den Iran sahen die USA zufrieden und belieferten ihn mit Waffen, »Saddams Völkermord an den Kurden war denen eine hässliche Lappalie, und Saddams Terror gegen das eigene Volk war ein totalitäres Kavaliersdelikt. Die USA hatten schon so viele unglückliche faschistische Liebschaften in der Welt.« Das kuwaitische Öl – List des Zufalls, um die »zuverlässig miesen Interessen« zu mobilisieren.
Hilflos-gutwillig, keineswegs unwahr: Palästinenser und Israelis sind die einzigen, deren existenzielle Interessen auf dem Spiel stehen und die »eigentlich Verbündete sein sollten«.
Gegen den irakischen Diktator bietet Biermann sein ganzes gesundes Misstrauen auf. »Der Hass auf die Juden und die Liebe zu den Palästinensern sind nur zwei Seiten derselben falschen Münze, mit der er die Einheit der arabischen Welt unter seiner Führung kaufen will.« Er sieht keinen Todeswunsch wie Enzensberger, sondern das Kalkül, im Tiefbunker trotz bis zu 5 Millionen Toten durchstehen zu können.
»Grade weil er so schön komplex ist, führt uns dieser Krieg modellhaft das Perpetuum mobile unserer Selbstvernichtung vor.« Die Rüstungskonzerne liefern Waffen, zu deren Bekämpfung sie dann noch modernere Waffen liefern müssen. Die armen Länder bezahlen mit Elend und Unwissenheit, die reichen mit dem Surplus, das sie den Armen hätten übertragen müssen. Das Personal, das diese Kriegswirtschaft betreibt, gehört zu Kriegsverbrechern erklärt. »Und die feinsinnigen Rechtsanwälte, die wasserdichten Notare, die hanseatischen Kaufleute und respektablen Geschäftsführer, die alle am Geschäft mit dem Tod verdient haben, verdienen den Tod, genau wie Göring und Krupp und Eichmann.« – Biermann weiß natürlich, dass Krupp ihn 1945 keineswegs erleiden musste, und er weiß erst recht, dass diese seine Worte ganz folgenlos bleiben werden und er sie genau deswegen sagen darf, weil eben jene hanseatischen Kaufleute und respektablen Geschäftsführer gar nicht so sind. So bleibt ihm bei allem Richtigen, trotz aller mitgeschmuggelten Wahrheitskassiber, eben doch nur die eine effektive und effiziente Botschaft: »Ich bin für diesen Krieg«.
12. Februar 1991
Der irakische »Rote Halbmond« soll die Zahl der Kriegstoten mit sechs- bis siebentausend angegeben haben.
Pierre Salinger u. Eric Laurent, Guerre du Golfe, Paris 1990: Laut ZEIT vom 8.2. soll dies die bisher beste Dokumentation der Entstehung des Golfkrieges sein. Die Autoren »nähren tiefe Zweifel« an der offiziellen westlichen Version. 1) Anlass für den Einmarsch am 2.8.90 in Kuwait: Der Emir hatte 10 Mrd USD für den Krieg gegen den Iran beigesteuert, und Saddam soll die Streichung dieser Schuld zur Bedingung für den Abzug gemacht haben. 2) Die US-Botschafterin in Bagdad, April Glaspie, hatte am 25. Juli zu dem Streit gesagt: »Unsere Seite hat keine Meinung zu innerarabischen Konflikten.« Am 31. Juli hat Jon Kelly, Nahostexperte im Außenministerium, vor dem auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses erklärt, die USA seien im Falle eines irakischen Angriffs auf Kuwait vertraglich nicht zum Eingreifen verpflichtet.« 3) Schon am 3.8., also lange vor der UNO-Resolution, scheinen die Kriegsziele im Weißen Haus festgelegt gewesen zu sein. 4) König Fahd von Saudi-Arabien hat die USA nicht ins Land gerufen, sondern der Aufmarsch wurde nach einem unter Carter für einen Ost-West-Konflikt ausgearbeiteten Plan begonnen. 5) Angesichts dessen »ruft« Fahd die USA um Hilfe, und in einem Geheimprotokoll werden für die Nachkriegszeit US-Stützpunkte in Bahrein und Kuwait vorgesehen. 6) Alle Vermittlungsversuche, der OAU, Frankreichs, der Sowjetunion, werden durch Druck entmutigt und ihre Vertreter auf Kriegslinie gebracht. 7) Das Ganze mündet in die Frage: »Diktierten Ungeduld und Unkenntnis oder aber Arglist und Aggressivität die Haltung der Amerikaner?«
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»Der reale Krieg geht um die Vormacht im Islam« (Oliver Fahrni im »Freitag« vom 1.2.). Beschleunigt den Umbruch in den arabischen Ländern. Massenhafte Absage an die westliche »Modernisierung« aus Hoffnungslosigkeit. Von den Ölscheichs in den achtziger Jahren finanziert, zwecks »Re-Islamisierung ihrer Gesellschaften von unten«, um der iranischen Gefahr einen Riegel vorzuschieben. Daher seien die islamischen Intellektuellen so sprachlos (das verstehe ich gut; sie sind wie wir in Widersprüchen gefangen). Fahrni zitiert den Marokkaner Zaki Laídi: im Kern eine »Mobilisierung der Frustrationen«. »Die schnelle Entwicklung der elektronischen Medien habe den Armen der Welt die Illusion einer anderen Lebensweise vermittelt, ohne ihnen den Zugang dazu zu erlauben.« – Das erinnert mich an meine Thesen zur Auswirkung der Warenästhetik, bloß dass ich damals СКАЧАТЬ