Название: Jahrhundertwende
Автор: Wolfgang Fritz Haug
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783867548625
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4. November 1990
In Rumänien Unruhen gegen eben jene marktwirtschaftliche Preispolitik, die Jelzin jetzt für Russland vorhat.
5. November 1990
Nun haben sich Gorbatschows Wirtschaftsberater öffentlich die Hände in Unschuld gewaschen: Petrakow, Schatalin u.a. sagen in einem Brief an die Komsomoslkaja Prawda eine Inflationsspirale und den wirtschaftlichen Kollaps voraus. Wenden sich gegen Gorbatschows Plan, desavouieren aber auch ihre eignen Vorstellungen von gestern, die in Gestalt des 500-Tagesplans vor fünf Tagen in Russland in Kraft gesetzt worden sind. Eine politische Organisation hat derweil zur Gewalt gegen Gorbatschow aufgerufen.
7. November 1990
Dass Kohl seinen Vergleich von Gorbatschow mit Goebbels – war es 1987? – heute öffentlich »töricht« nennt, spricht für ihn. Vermutlich kann nur ein Konservativer die Beziehungen mit der SU (oder was sich aus ihr entwickelt) produktiv gestalten.
9. November 1990
Besuch von Thomas Metscher. Hans-Jörg Sandkühler, erzählte er, lehne es neuerdings ab, seine Position »materialistisch« zu nennen, und bezeichne sich als »internen Realisten«.
10. November 1990
Auch an der Bremer Uni, im Streitgespräch mit Franke von der SPD, hat Gysi den Saal für sich gewonnen.
11. November 1990
Gorbatschow zum Jahrestag des Mauerfalls in Bonn von Menschenmengen desto stürmischer gefeiert, als ihnen bewusst ist, wie verzweifelt seine Stellung in der SU wird. Das Glück der Konstellation ist ganz auf die Seite der »Deutschen« (ihrer Herrschenden) übergewechselt: Nationalökonomie und Weltkonjunktur stimmen (momentan) zusammen wie überhaupt Ökonomie und Politik, dazu die Stimmung der Beherrschten mit den Gestimmtheiten der Herrschenden. In der SU geht zur Zeit alles daneben. Nichts kommt rechtzeitig.
Im Film von Max Ophüls über den deutschen Umbruch, einer jede Totalisierung blockierenden Aneinanderreihung von Interview-Stücken mit persiflierenden Einblendungen aus Spielfilmen und Musicals, beeindruckte mich Kurt Masur, den kein Starschauspieler hätte besser darstellen können. Er wies die oberflächlichen Fragen und insinuierenden Bemerkungen dessen, der halt seine Story haben wollte, zurück. Er sprach von einer veritablen »Zerstörung der Seelen« der ehemaligen DDRBürger, die jetzt zu beobachten sei.
Beim Aufräumen auf die August-Nummer von »Sowjetunion heute« gestoßen, wo Gorbatschow als Sieger des 28. Parteikongresses geschildert wird. Aus wachsender Entfernung ändert sich auch mein eignes Bild von jenem Sieg. Was da als »konservatives« Aufbegehren erschien, war wohl bereits ein Echo (ein Weitergeben) der massenhaften Unzufriedenheit mit dem Gang der Dinge. Die Erfahrung der Parteivertreter, nichts Überzeugendes mehr sagen zu können, also der im Einzelnen sich ausdrückende Hegemonieverlust, hatte eine Grenze erreicht, wo sie nicht weiterwussten. Aber Gorbatschow weiß ja auch nicht weiter. Er findet noch rund 20 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung, heißt es, und hätte keine Chance mehr, zum Präsidenten gewählt zu werden.
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Theorie des Stalinismus. – Heft 3/90 (September) der »Gesellschaftswissenschaften« (Moskau) enthält einen Artikel von Grigori Wodolasow über »Das Wesen und die Wurzeln des Stalinismus«. Seine Denkweise mutet zunächst objektivistisch an, unter Gesetzen und sich in Oberflächenerscheinungen ausdrückenden Geschichtsdeterminanten tut er es nicht. Von objektivistischem Standpunkt entsteht der Terrorismus als Subjektivismus. Was nicht gleichsam von selbst kommt, soll demnach mit Gewalt erzwungen werden. Dennoch nicht uninteressant. Wodolasow will zeigen, dass Marx und Lenin die besten begrifflichen Waffen gegen den Stalinismus bieten, falls man in der Lage ist, ihr Denken weiterzuentwickeln zum Begreifen der »sozialen Welt eines anderen Typs«, in der wir heute leben. Auch den Term »Abweichung« lehnt er daher als unangemessen ab. Die drei Merkmale des Stalinismus: die Individuen als »Rädchen« des Mechanismus, die Partei als Kader-Orden und die These von der Zuspitzung des Klassenkampfes beim Aufbau des Sozialismus, die Gewalt unausweichlich machte: »Das ist ein prinzipiell anderes Projekt.« Wodolasow artikuliert dieses Projekt als »links« und ordnet ihm eine soziale Basis in Gestalt der unkultivierten Subproletarier zu und einen interessierten Akteur in Gestalt der diktatorischen Bürokratie. Als System sei der Stalinismus »Diktatur der Bürokratie«, mit einer »antihumanistischen, voluntaristischen Ideologie einer bürokratischen Elite, welche die Gewalt […] verabsolutiert« und die Menschen und das Land wie einen Lehm auffasst, woraus man mit Willen & Disziplin alles formen kann (206).
Wodolasow will zeigen, dass der Stalinismus sich wie eine Krebswucherung immanent gebildet und allmählich und bewusstlos entwickelt habe. Zu den Vorbedingungen gehört, dass alle Rivalen Stalins in den 20er Jahren »ein wenig auf dem ›linken Bein‹ hinkten – sie maßen eine zu große Bedeutung der menschlichen Initiative und Aktivität in der Geschichte bei.« Solcher Linksradikalismus der Führenden gründete in der »Psychologie eines bedeutenden Teils der revolutionären СКАЧАТЬ