Digital_Pausen. Hans Ulrich GUMBRECHT
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Название: Digital_Pausen

Автор: Hans Ulrich GUMBRECHT

Издательство: Автор

Жанр: Кинематограф, театр

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isbn: 9783866744363

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СКАЧАТЬ Modalität Symptom für eine vorbewusste Konzession in dieser Hinsicht. »Kontingent« heißen Phänomene, die wir weder als »unmöglich« ausschließen noch als »notwendig« außermenschlichen Prinzipien und Entwicklungen zuschreiben wollen. Was wir »kontingent« nennen, das kann nicht dem aufklärerisch-narzisstischen Vorzeichen des Selbstbestimmten unterstellt, muss aber auch nicht als fremdbestimmt interpretiert werden. Niemand ist für das Kontingente verantwortlich.

      Doch trotz all dieser Diskurse und zur Institution gewordenen Vorurteile – es klingt nun seit einiger Zeit schon nicht mehr ganz so verheißungsvoll wie einst, wenn einer, von »Kontingenz« ausgehend, gleich zu sprechen kommt auf Mechanismen der »Kontingenz-Bewältigung«, durch die das zunächst weder Fremdnoch Selbstbestimmte am Ende der Selbstbestimmung unterworfen werden soll. Durch Versicherungen zum Beispiel (und in noch komplexerer Weise durch Rückversicherungen) wollten und wollen wir immer wieder – historisch gesehen: nicht zufällig gerade seit dem Zeitalter der Aufklärung – »in die menschliche Hand nehmen«, was ihr zunächst entkommen zu sein schien. Doch während Versicherungen als Kontingenzbewältigungs-Maschinen heute größere Gewinne abwerfen mögen als je zuvor, scheint die intellektuelle Aura des Kontingenz-Begriffs verblasst – so dass man heute wieder erstaunlich oft ironische, witzig gemeinte und manchmal sogar ganz ernsthafte Anspielungen auf die Dimension des Schicksals hört. Diese beginnende Verschiebung in unseren Reaktionen auf Fremdbestimmtsein nimmt selbst dem meist schwerfälligen Pathos etwas von seiner Peinlichkeit, mit dem Martin Heidegger durch sein gesamtes philosophisches Werk hindurch den Begriff des Schicksals in verschiedenen Zusammenhängen verwendet hat: früh schon, in dem 1927 veröffentlichten Hauptwerk »Sein und Zeit«, wo er vom Tod als Schicksal der individuellen Existenz schreibt, dem wir uns »entschlossen« und »offenen Auges« aussetzen sollen; später dann und mit wachsender (aber nie definitiver) Klarheit in der Charakterisierung von »Wahrheitsereignissen« als Momenten der »Selbstentbergung des Seins« – wo sich Dinge dem Dasein perspektivenlos, in ihrer Absolutheit also, zeigen sollen, um als Schicksal das Dasein zu überwältigen und in eine existentielle Richtung zu »schicken«. (die implizite Unterstellung eines wortgeschichtlichen Zusammenhangs zwischen »Schicksal« und »schicken« ist übrigens – wie Spekulationen dieser Art meistens bei Heidegger – einfach falsch). Doch wie der »Blitz« in Hölderlins Gedicht und wie eben auch Heideggers »Selbstentbergung des Seins« haben literarische und philosophische Darstellungen, die das Schicksal in einem und dann immer überwältigenden Moment kondensieren, ihre eigene – ästhetische – Aura und Verführung, die es uns ermöglicht, das aller Selbstbestimmung entgegenstehende Überwältigtwerden in eigene heroische Größe umzumünzen und so zu genießen.

      Eine andere bildliche und begriffliche Darstellungstradition hingegen wirkt (auf mich zumindest) vergleichsweise gnadenlos und sowohl philosophisch als auch existentiell produktiver. Die stoischen Philosophen der späteren Antike haben Schicksal als series causarum (als Reihe oder als Verknüpfung von Gründen) beschrieben, und zum allegorischen Bild der griechischen Moiren oder der römischen Parzen als Schicksalsgöttinnen (die ursprünglich Geburtsgöttinnen waren) gehören eine Spindel, aus der das Garn des Lebens läuft, und das in dieses Garn eingewebte Schicksalsmuster. Anders als der Blitz oder die Epiphanie des Seins, die uns Menschen zu im doppelten Sinn des Worts »reinen« Opfern machen, so dass wir uns keine Verantwortung zuschreiben müssen und deshalb von Schuld ganz frei sind, gehören zum Schicksal als »Serie von Gründen« oder als »Lebensgarn« durchaus Momente, Entscheidungen und Akte, die wir als unsere eigenen sehen können und müssen, für die wir selbst verantwortlich sind. Sie kreuzen sich, sie sind »verwoben« mit äußerlichen, fremdbestimmten Momenten und fremdbestimmenden Ereignissen, welche die negativen Folgen und die Schuld selbstbestimmter Akte oft so intensivieren, dass sie irreversibel werden: unumkehrbares Schicksal und am Ende nicht mehr aufzuhebende Schuld, die eigene Verantwortung wächst ins Monströse.

      Wenn wir uns erst einmal in solchen series causarum verfangen haben, gefällt es uns oft – denn es wirkt wie eine erleichternde Übertreibung –, über sie als eben unumkehrbares (und ohnehin: unverdientes) Schicksal zu klagen – weil uns eine solche Selbstsicht von Verantwortung oder Schuld zu erlösen verspricht. Bei allen Forderungen nach Selbstbestimmung ist es aber auch klar, dass wir Selbstbestimmung ohne weiteres drangeben, wenn uns eine Umkehr ins Gegenteil Entlastung verschafft. Das sind die Augenblicke, in denen wir entdecken, dass die Moiren und die Parzen heimlich schon das Garn um unseren Hals geschlungen und begonnen haben, es enger zu ziehen, wie bei einer von Michael Corleone ausgedachten Mafia-Exekution.

      Für meine Kontamination des antiken Mythos mit dem Hollywood-Mythos bitte ich den gebildeten Leser um Entschuldigung. Nicht zu weit vom Berliner Pergamon-Altar hat sie, die Kontamination, mir geholfen, meinen bleiernen Tag zu verweben mit dem Schmerz eines pazifischen Morgens.

      Ich versuche, Notizen von zwei Seminarsitzungen und einem Kolloquium über den Begriff »Vitality« in eine argumentative Ordnung zu bringen, die sich in noch vagen Zügen anzubieten scheint. Dabei geht es nicht primär um eine historische Rekonstruktion der von Nietzsche intendierten Bedeutung – und ebensowenig um die philosophiegeschichtliche Auslegung eines auf Nietzsche bezogenen, 1951 zuerst veröffentlichten Essays von Martin Heidegger, aus dessen Perspektive wir den Satz »Gott ist tot.« erörtert haben. Interessiert bin ich an der (von Heideggers Text ermutigten) Intuition, dass es eine Bedeutung geben könnte, durch die Nietzsches Satz eine Gültigkeit in unserer Gegenwart bewahrt. In einer Gegenwart erstens, die es für Intellektuelle wieder akzeptabler macht als im späten neunzehnten und im zwanzigsten Jahrhundert, mit der Existenz eines Gottes zu rechnen; in meiner amerikanischen Gegenwart zweitens, wo (habe ich einmal gelesen) über neunzig Prozent der Mitbürger damit rechnen, dass es einen persönlichen Gott gibt, der sie liebt.

      Nietzsche hat sich auf denselben Sachverhalt, den er im Satz von Gottes Tod anvisiert, wohl auch mit der Formulierung vom »Nihilismus« bezogen, der sich »wie eine Wüste ausgedehnt« habe und weiter ausdehne. Das Wort »Nihilismus« bezeichnet dabei eine Form der menschlichen Existenz, die nicht mit einer den Menschen übergeordneten, für sie »transzendentalen«, zum Beispiel von Göttern bewohnten Sphäre rechnet. Unter dieser Voraussetzung könnten wir, so sah es Heidegger, den sonst in unserer intellektuellen Tradition meist positiv gesehenen Prozess der Neuzeit, einschließlich der Aufklärung, dessen zentrale Dynamik die Dynamik der »Säkularisierung« war, als fortschreitende »Ausdehnung des Nihilismus« identifizieren.

      Säkularisierung aber ist nichts anderes als die Umschreibung von Eigenschaften und Funktionen der Götter auf die Menschen: Anstelle der von Gott geoffenbarten Tafel-Gebote aus dem Alten Testament treten eine neue Moral und Gesetzbücher, deren Legitimität darin liegt, dass ihre Orientierungen von der Mehrheit der Betroffenen akzeptiert und getragen werden; im neuzeitlichen Begriff von »Geschichte« verstehen sich die Menschen als Agenten einer permanenten (nicht selten als zielgerichtet aufgefassten) Veränderung der Welt, welche ein von Gott oder von den Göttern verhängtes Schicksal ersetzen soll; ein den Normen und Gesetzen entsprechendes Leben soll durch Erfolg und Sicherheit im Diesseits belohnt werden, nicht mehr durch ein himmlisches Leben nach dem Tod. Dies sind nur einige Beispiele aus der Vielfalt von Figuren der Säkularisierung.

      Nietzsche deutete die ihm auffällige Tendenz seiner Zeitgenossen, nach »Werten« zu suchen, als eine Reaktion auf den Prozess der Säkularisierung (auf die Ausdehnung der Wüste des Nihilismus) und auf sein Endergebnis. Denn mit der fortschreitenden Absorption der Gegenstände des Glaubens und mit ihrer Überschreibung auf die Menschen waren jene höheren Orientierungen verschwunden, an denen das Leben früher selbstverständlich ausgerichtet war.

      Während des vergangenen halben Jahrhunderts haben sich – oft auf Veränderungen im Alltag reagierend – philosophische Positionen herausgebildet, in denen der Prozess der Säkularisierung und die Ausdehnung des Nihilismus zu einem logisch nicht mehr überbietbaren Höhepunkt und Ende gekommen sind. Das ist zum einen die vom Begriff »Linguistic Turn« markierte Überzeugung, dass mit den Horizonten der СКАЧАТЬ