Der Schattendoktor. Adrian Plass
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Название: Der Schattendoktor

Автор: Adrian Plass

Издательство: Автор

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783865069603

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СКАЧАТЬ Während dieses ganzen elenden Januars hatte ich mir angewöhnt, jeden Abend den Tisch für William und mich zu decken. Während ich das Essen vorbereitete, plauderte ich mit ihm durch die Luke, und dann unterhielt ich mich mit ihm, während ich aß, und genoss es, dass er mir dort gegenübersaß und mir lächelnd zuhörte. Jämmerlich, nicht wahr, Jack? Eine dumme alte Glucke, die sich selbst Theater vorspielt, um eine Lücke in ihrem Leben auszufüllen.

       Ich glaube, mein Gast wusste sofort, was los war. Ich hatte sogar das Gefühl, er wusste es schon, bevor er durch meine Tür trat. Ein paar Minuten lang saß er einfach nur da auf dem Sessel, das Kinn auf seine verschränkten Finger gestützt, und wartete darauf, dass ich etwas sagte. Ich kam mir vor wie ein kleines Mädchen, als ich da neben dem Tisch stand und nervös mit den Fingern meiner einen Hand auf die andere Handfläche trommelte.

       »William ist schon lange gestorben«, brachte ich schließlich stotternd heraus. »Ich wohne allein hier.«

       Er nickte lächelnd und sagte ganz freundlich: »Das dachte ich mir irgendwie schon, Alice.«

       »Wie habe ich mich verraten?«

       Er lächelte traurig. »Keine großartige Detektivleistung, fürchte ich. Sie sagten, es sei genug zu essen für zwei da. Also …«

       »Ach du meine Güte, ja, wie dumm.«

       »Was ich rätselhafter finde, Alice, ist, wieso Sie mich überhaupt hereingebeten haben.«

       Jack, weißt Du, was ich meine, wenn ich sage, dass man sich manchmal einen Moment Zeit nehmen muss, um ganz tief im eigenen Innern herumzuwühlen und die nackte Wahrheit zum Vorschein zu bringen? Selbst wenn sich dann herausstellt, dass es etwas ist, was man eigentlich gar nicht laut aussprechen will? So ging es mir, als er mir diese Frage stellte.

       »Nun ja – schauen Sie, ich möchte wirklich nicht, dass Sie falsch verstehen, was ich jetzt sage – äh, ich soll Sie Doc nennen, sagten Sie?«

       »Ja, Doc ist gut.«

       »Okay. Also, es ist so – Doc. Obwohl ich Sie erst seit einer halben Stunde kenne, möchte ich … möchte ich, dass Sie mich für eine Person halten, die Ihnen die Wahrheit sagt. Ich weiß, bisher spricht die Bilanz eher gegen mich. Ich habe da unten am Strand einen ganz schlechten Anfang gemacht, aber wissen Sie, das wollte ich wiedergutmachen. Oje, hört sich das sehr dumm an? Schließlich gibt es ja eigentlich gar keinen Grund, warum Sie …«

       »Was gibt es zum Abendessen, Alice?«

       Mein Gehirn schaltete mit Doppelkuppeln in einen anderen Gang. (Das sagt Dir jetzt wahrscheinlich nichts, aber ich habe keine Lust, es Dir zu erklären.)

       »Was? Ach ja, natürlich. Mögen Sie überbackenen Käsetoast mit Speck?«

       »Hört sich großartig an.«

       »Gut, dann, äh, räume ich nur schnell William ab, ja?«

       Wir mussten beide lächeln, als ich das sagte. Es war, als platzte eine kleine Blase. Durch die Luke und dann am Tisch beim Essen plapperte ich unentwegt über mein Leben, meine Ehe, über Dich, meine chronische Einsamkeit, und dann, als wir es uns auf den Sesseln bequem gemacht hatten, an Schokosticks knabberten und einen ziemlich anregenden äthiopischen Kaffee tranken, erzählte ich ihm von meinem Entschluss, mich umzubringen.

       »Ihr Besuch hier war eine wunderbare, unerwartete Freude für mich«, sagte ich, »aber der morgige Tag kommt, und dann der Tag danach, und der nächste und immer so weiter, vielleicht noch jahrelang. Hunderte von morgigen Tagen. Die Leute leben heute ja so lange. Ich will so viele Tage nicht mehr. Ich will nicht jeden Morgen aufwachen und den Schmerz in mir spüren, noch bevor der Radiosprecher sich warmgeredet hat.«

       Ich schaute entschuldigend zu Williams Bild hinüber. »Letzten Endes kommt von so einem Foto nicht viel zurück. Wenn ich es recht betrachte, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder bleibe ich da und leide, oder ich entscheide mich freiwillig, den Schritt in die Dunkelheit zu tun, wohin dieser Schritt mich auch immer bringen mag. Das hat nichts mit Neurosen zu tun. Ich leide nicht unter Depressionen und glaube, dass ich durchaus noch alle Hühner auf dem Balkon habe. Und ich habe meine pragmatische Entscheidung getroffen. Meinen Sie, es ist die richtige, Doc?«

       Er nippte nachdenklich an seinem Kaffee, etwa so, als solle er sich zwischen Crunchy Nut Cornflakes und Kellogs entscheiden. Er sah so nett aus, wie er dort saß, Jack. Gute Kleidung, teuer, aber robust und haltbar. Eine dunkelbraune Hose aus einem Kordmaterial, ein dicker, dunkelbrauner Strickpullover, der vermutlich aus demselben Laden stammte wie sein grüner Mantel mit dem karierten Futter, der jetzt in meiner kleinen Diele am Haken hing. Die Schuhe, die er ausgezogen und auf der Fußmatte zurückgelassen hatte, als wir hereinkamen, waren mir schon vorher aufgefallen: Sie waren aus kräftigem braunem Leder, mit dicken Schnürsenkeln, mehr für den Gebrauch bestimmt als zur Zierde. Ich mochte seinen Stil.

       Wie würde er jetzt auf meine Frage antworten? Eigentlich war es unfair. Was konnte der arme Mann schon sagen? Sollte er mir gute Ratschläge geben, ich möge meinen Blickwinkel weiten und mehr unter die Leute gehen? Therapie? Lebensberatung? Medikamente? Mich auf den Frühling und besseres Wetter freuen? Mich fragen, wie die Menschen, die mich liebten, mit der schrecklichen Nachricht von meinem Tod fertigwerden sollten? Das eine oder andere davon würde es sein, vermutete ich.

       Doc steckte sich den Rest seines Schokosticks in den Mund und stellte seine Tasse und Untertasse vorsichtig auf dem kleinen Beistelltisch neben seinem Sessel ab.

       »Alice«, sagte er ernst, »ich glaube, Sie haben sich richtig entschieden.«

       Warum legen wir eigentlich immer, wenn wir überrascht und verwirrt sind, unsere Köpfe schief und recken sie nach vorn? Peinlich, wenn man sich dabei ertappt. Ich muss ausgesehen haben wie eine aufgeschreckte Schildkröte.

       »Entschuldigung, wollen Sie damit sagen, Sie sind der Meinung, dass ich mich umbringen sollte?«

       Er drückte seine Ellbogen gegen die Rippen und hob und senkte seine Hände abwechselnd, als wöge er die Argumente ab.

       »Von den beiden Möglichkeiten, die Sie erwähnt haben, würde ich jedenfalls auch diese wählen. Den Rest Ihres Lebens im Elend fristen oder einen einfachen Schritt tun, um allem ein Ende zu machen – nun, das ist nicht gerade ein Kopf-an-Kopf-Rennen, nicht wahr? Das ist meine Meinung.«

       Daraufhin saßen wir ein Weilchen nur da, ohne etwas zu sagen. Ich hatte das Gefühl, das war kein gutes Ende. Kalt. Hatte er denn nicht eine einzige tröstliche Plattitüde für mich?

       Doc brach das Schweigen.

       »Allerdings, Alice, gibt es noch eine andere Alternative, an die Sie vielleicht noch gar nicht gedacht haben.«

       Also doch. Erleichtert sog ich Luft durch die Nase ein und bereitete mich darauf vor, seinen Vorschlägen freundlich, aber ablehnend zu begegnen.

       »Und die wäre?«

       Pause. СКАЧАТЬ