Chris Owen - Die Wiedergeburt. Matthias Kluger
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Название: Chris Owen - Die Wiedergeburt

Автор: Matthias Kluger

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

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isbn: 9783961455102

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СКАЧАТЬ die erste? Es ist eher unwahrscheinlich, dass du dich an Ereignisse erinnerst, die vor deinem dritten Lebensjahr stattgefunden haben. Bis zum sechsten Lebensjahr nehmen die Erinnerungen dann eine meist unpräzise Gestalt an.

      Ich selbst habe noch gut meinen Kinderwagen im Gedächtnis. Jenen, in dem mich meine Eltern zu Spaziergängen mitgenommen haben. Ist es wirklich realistisch, dass sich vor meinem inneren Auge der Umriss des Kinderwagens in grünblau kariertem Stoff abzeichnet? Eher nicht! Wahrscheinlicher ist doch, dass ich den Wagen auf irgendeinem Foto oder Dia gesehen habe. Daher nuancieren die Farben in meinen Gedanken auch ähnlich den ausgebleichten Fotografien der 70er Jahre mit ihrem ockerrötlichen Farbstich.

       Kapitel 1: Ich bin wieder da

       Washington, D.C., November 2015 bis 7. Juli 2016

      Stille. Unendliche Stille – und doch eine geradezu präzise, das ganze Universum umfassende Aktivität.

      Er erfasst die Teilung. Jede einzelne, die exakt wie ein Uhrwerk rasend voranschreitet. Die Architektur der Zellen steht und ist bis ins kleinste Detail vorherbestimmt. Er genießt seine beginnende Vollkommenheit, die Stunde für Stunde, Tag für Tag Gestalt annimmt. Unnötig, Befehle zu erteilen. Alles ist bis auf die kleinste Komponente geplant. Seine Bestimmung.

      Noch sieht er aus wie eine Kaulquappe, durch eine hauchdünne Schnur mit der ständig größer werdenden Plazenta verbunden. Er ist versorgt. Er erkennt seine Augen, die sich als winzige Höcker am Kopf ausgebildet haben, genießt, in völliger Ruhe, sein Gehirn wachsen zu sehen. Wie ein dünnes Röhrchen windet es sich bis zum Steiß, um später das Rückenmark entstehen zu lassen. Alles um ihn herum wabert. Sämtliche Zellen folgen strikt ihrem Bauplan – ihren Anweisungen – bilden Organe, Muskeln, Haut, Haare, Hoden, Schweißdrüsen. Seit über dreißig Tagen beobachtet er sich nun – bis sein Herz zu schlagen beginnt. Das berauschende Gefühl der Existenz überkommt ihn, als er sich am Takt des Herzschlags seiner Mutter orientiert. Nur doppelt so schnell.

      Seine Mutter: Afroamerikanerin, seit ihrer Geburt in Washington lebend, strahlend weiße Zähne. Sie liebt ihn bereits über Wochen, Monate hinweg abgöttisch und wird ihm all ihre Fürsorge zuteilwerden lassen. Noch weiß sie nicht, dass er sie auserwählt hat. Sie ahnt nicht, dass sie eine besondere Rolle innehat.

      Er dreht sich, betrachtet seine Finger, seine Zehen – trotz geschlossener Augen.

      Dann kommt der Tag, sein Tag, der 7. Juli 2016. Er spürt die Kontraktion der Gebärmutter, seine verschränkten Arme auf der Brust, die Beine angezogen. Es ist eng, sehr eng. Das Hormon Kortison durchflutet ihn. Er wird es benötigen, um den ersten Atemzug zu tun. Der Schleimpfropf, welcher den Muttermund verschlossen hat, geht ab und er wird in immer kürzeren Abständen nach unten gedrückt. Er nimmt die hechelnde Atmung seiner Mutter wahr, wie sich ihre Lungenflügel prall mit Sauerstoff füllen, um eine Sekunde später gepresst Kohlenstoffdioxyd auszupusten. Ihr Herz rast, pumpt nun im gleichen Takt wie das seine. Sie keucht, schreit auf, als sie abermals eine heftige Wehe überkommt. Er registriert ihre spitzen Schreie, so als ob seine Ohren unterhalb des Wasserspiegels einer Badewanne versunken wären. Panik erfasst ihn, als sein Kopf gequetscht wird und zwei Hände ihn umfassen.

      Dann geht es schnell. Ein letzter Druck gegen sein Steißbein und – durch eine glitschig-feuchte Hautspalte wird er ins Freie gepresst. Gleißendes Licht blendet ihn, während er in blutig-schleimiger Feuchtigkeit zwischen ihren Beinen liegt. Er schreit, spürt die Kraft des Sauerstoffs in den Lungen und denkt:

      Achtet auf die Sperlinge!

      Ich bin wieder da!

       Kapitel 2: Patmos

       99 nach Christi Geburt

      Das trübe Licht der Kammer machte ihm zu schaffen. Seine trockenen Augen brannten. Mühsam erhob er sich von einem Holzschemel und ging gebeugt an das offene Fenster der Festung. Von hier oben hatte er eine wunderbare Aussicht auf das weite Meer. In den Wellen der einsetzenden Flut spiegelte sich das Abendrot. Kein Baum störte beim Betrachten der hügeligen, mit Phrygana, dem für die Insel typisch immergrünen Busch- und Strauchwerk, überzogenen Landschaft.

      »Ist er müde?«

      Johannes erkannte an der Stimme, wer soeben leise ins Zimmer getreten war. Der Diener des Cado, jenes Griechen, in dessen Kastell der Insel Patmos er seit seiner Verbannung Unterschlupf gefunden hatte.

      »Ja, mir schmerzen die Augen, doch muss ich meinen Auftrag zu Ende bringen, so wie mir Jesus geheißen.«

      »Dann lege er sich nieder und diktiere er mir, dass ich für ihn die Worte zu Pergament bringe.«

      Johannes lächelte, während er den greisen Körper zur Liege bewegte, einer schlichten Schlafstätte aus Holz und Bast. Die Härte des Bettes schmerzte, sodass sein krummer Rücken morgens Zeit begehrte, wieder einsatzfähig zu werden. Noch immer waren die über neunzig Jahre alten Knochen gezwungen, den scharfsinnigen Geist des Johannes zu tragen. Manchmal wunderte er sich selbst über das greise Alter, doch er wusste, dass er zuerst eine Aufgabe zu erfüllen hatte, bevor er ins Reich Gottes aufgenommen werden konnte.

      »So schreibe er, was ich aus dem Munde Jesu zu berichten habe.«

      Der Diener entzündete die rote Kerze auf dem Tisch, nahm den Pinsel aus Binsen sowie eine Seite Papyrus – dann wartete er auf die ersten Worte des Alten. Er war stolz darauf, als armselig Bediensteter an diesem bedeutenden Ereignis – davon war er überzeugt – beteiligt zu sein. Jede Zeile, die er bereits seit Wochen zu Papier gebracht hatte, steigerte die Demut wie auch seinen Glauben, welcher sich tief in seinem Herzen verankert hatte.

      Mit weißem langem Haar und ebenso wucherndem Bart lag Johannes ruhig atmend auf dem Rücken. Die knorrigen Hände waren wie zum Gebet gefaltet, als er mit sonorem Tonfall begann: »Und der siebente Engel goss aus seine Schale in die Luft; und es kam eine große Stimme aus dem Tempel vom Thron, die sprach: Es ist geschehen!«

      Johannes seufzte, wartete auf des Dieners Gemurmel, jenes Zeichen, dass dieser fertig geschrieben hatte.

      »Und es geschahen Blitze und Stimmen und Donner, und es geschah ein großes Erdbeben, wie es noch nicht gewesen ist, seit Menschen auf Erden sind – ein solches Erdbeben, so groß. Und aus der großen Stadt wurden drei Teile, und die Städte der Heiden stürzten ein. Und Babylon, der großen, wurde gedacht vor Gott, dass ihr gegeben werde der Kelch mit dem Wein seines grimmigen Zorns. Und alle Inseln verschwanden, und die Berge wurden nicht mehr gefunden. Und ein großer Hagel wie Zentnergewichte fiel vom Himmel auf die Menschen; und die Menschen lästerten Gott wegen der Plage des Hagels; denn diese Plage ist sehr groß.«

      Johannes öffnete die Augen. Es war finster im Raum. Nur der Kerzenschein flackerte neben dem eilig schreibenden Diener.

      »Seid Ihr fertig, Johannes?«

      »Für heute ja. Ich bin müde.«

      »Erlaubt mir eine Frage: Warum droht unser Herr mit seinen Worten, wo er uns doch erschaffen hat und liebt?«

      »Habt Ihr Kinder?«, fragte Johannes.

      »Nein.«

      »Wenn Ihr welche hättet, so verstündet Ihr das Wort Gottes. Denkt an Eure Eltern. Haben sie nicht alles gegeben, um euch zu einem anständigen Menschen zu erziehen?«

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