Prothesengötter. Frank Hebben
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Название: Prothesengötter

Автор: Frank Hebben

Издательство: Автор

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783957770820

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СКАЧАТЬ den Behälter aus der Verankerung wegreißen.

      Der Boden wackelt. Mit aller Kraft klammere ich mich am Rollstuhl fest, schließe die Augen, als plötzlicher Schwindel mir zusetzt.

      Der Bienenschwarm surrt, aufgebracht.

      Dann ein Gefühl wie Schwerelosigkeit, ein Pendeln über dem Abgrund, während brüllende Rotoren die Ladung rauf in den Himmel hieven. Einmal habe ich sie mit eigenen Augen gesehen, diese Frachtlibellen, schwarze Monster aus Maschinen und Treibstoff, als meine alte Wohnzelle gegen eine neue ausgetauscht werden musste, weil die Decke durchgerostet war und leckte und tropfte, die Elektronik ständig ausfiel. An diesem Tag fegten Regenschauer über das Geländer, von wo aus ich zum ersten Mal – frierend, kauernd, nur notdürftig durch eine Folie geschützt, die mich und meinen Rollstuhl umhüllte – den Nordsektor B sehen konnte:

      Die Stadt, eine Krake aus Metall; im Zentrum das Hauptwerk, geodätische Kuppeln, so schwarz wie die Wolken, die sie durchstoßen. Von dort ein vielarmiges Netz aus Fabriken, das bis zum toten Horizont greift – Hallen, Lager, Schornsteine, Qualm, dazwischen die Rechenanlagen, turmhohe Gerüste, in denen die Container festhängen. Und für das Blinzeln eines Auges: die Sonne! Ein Riss im Himmel lässt die Strukturen erstrahlen, ein Bernsteinlicht wie goldenes Öl, funkelnde Tropfen, überall! Nie zuvor hatte ich etwas Schöneres gesehen. Viele Zyklen ist das her ...

      Ein Ruck, ein Schwanken, und die Rotoren kreischen, bevor der Flug schneller und holpriger wird. Verkrampft, die Hände steif an den Griffen, lasse ich die Windstöße über mich ergehen, die immer und immer wieder gegen die Wände donnern. Um meine Angst, meinen Schwindel zu verdrängen, stelle ich mir vor, welche Landschaft unter meinem Wohnbehälter vorbeizieht – zuerst die Containerwelt, in denen die Rechenknechte, Archivare und Protokollanten zwischen den Fabrikkomplexen leben, darin die unheimlichen Werkshelfer, halb Mensch, halb Maschine; ihre Arme gespickt mit Werkzeugen, mit Sägen und Schweißgeräten; und in ihren Adern schwarzes Blut.

      Ich mag sie nicht, sie sind mir unheimlich, obwohl ich noch keinen dieser Schwerarbeiter zu Gesicht bekommen habe, doch es gibt Codegerüchte, schlecht versteckt zwischen den Einsen und Nullen, die von Revolten und Sabotage flüstern. Sie meiden uns, so wie wir sie meiden, denn jeder hat seine Klasse, zu der er gehört ...

      Die Ausläufer der Stadt sind mir als grob gezackte Skizzen im Gedächtnis; und was dahinterliegt, weiß ich nur von einer alten, topografischen Karte, die ein Archivar mit mir gegen Zeitrationen eintauschte. Wo war das gewesen? Und wann? Eine Wüste, aus rotem brennenden Licht. Dann wieder eine Stadt, Südsektor B, dann Südsektor C und dahinter ... die fraktale Küste eines Meeres aus stark verdünnter Salzsäure, HCL.

      Gerade will ich neue Bilddaten aus meinem Speichertumor abrufen, als eine scharfe, fauchende Schlagböe die Frachtlibelle erfasst und zum Trudeln bringt: Fliehkräfte zerren am Container, Vibrationen laufen durch meinen Körper und mein Rollstuhl wackelt, ehe sich hinten an der Wanne das Bienennest ablöst und schmatzend auf dem Boden zerbirst.

      Die Bienen toben! Unscharf kann ich sehen, wie sie ihre Köni-gin aus dem Haufen zu befreien versuchen.

      Da ist sie.

      Ihr Gehäuse scheint intakt. Zum Glück!

      Als der Wohnbehälter polternd abgesenkt wird, nehmen weder ein Stahlgerüst noch ein Walzwerk das schwere Gewicht auf: ein Knirschen wie von Stein, nachdem die Zangen gelöst sind und ein Rotorenkreischen den Abflug der Libelle einleitet. Schon wird die Maschine leiser, bis nichts mehr außer dem Lüftungsstrom zu hören ist, der neue, fremdartige Gerüche in meine Arbeitszelle bläst – süßlicher Rost, vermischt mit scharfem Lösungsmittel. Das Klima hier im Süden scheint besser, die Luft ist trocken und frisch und eine angenehme Wärme sickert durch die Deckenplatten; meine Schlafwanne werde ich wohl nachts nicht länger nutzen müssen ...

      Ob die Sonne draußen scheint? Vielleicht sollte ich einen Formantrag auf Ausgang stellen, obwohl: Ich glaube kaum, dass sie mir ein solches Privileg gewähren würden, solange mein Konto überbucht ist. Nein, ganz sicher nicht. Muss mich mehr anstrengen, die versäumte Zeit aufholen. Kalkulationen. Zwischenschritte. Summen. Darauf kommt es an! Ich drücke einen Knopf, um das Standby abzuschalten.

      ### Einheit 6.20.233.04, 2.13, Name Chémo

      ### Zugriffsrechte bestätigt

      ### Verbindung hergestellt

      ### Heutige Schicht bis: 201.5

      ### Zeitkonto: -417

      ### 1 neue Nachricht vom Hauptwerk:

      ### Arbeitsplatzwechsel von Nordsektor B, Planquadrat 331.32, nach Südsektor C, Planquadrat 811.47 ## Status:

      abgeschlossen!

      ### Bei Betriebsstörungen bitte Instandhaltung Z12 benachrichtigen

      ### Willkommen 6.20.233.04, 2.13!

      Mit dem Zwinkern eines Auges hole ich die ersten Datenpakete ab, zerlege sie, fülle sie in mein Rechenregister, lasse die logischen Operationen im Kopf durchlaufen, während ich immer mehr in einen katatonischen Zustand verfalle – schnell die Zeit und den Raum um mich herum vergesse. Fühle mich leicht, wie schlafend; träume von silbernen Gleichungen, auf denen Bilanzen als Güterzüge in die Finsternis rauschen, ein endloser, ratternder Strom aus Zahlenkolonnen. Ich sitze an den Gleisen und schaue ihnen nach, nicke, wenn sie am Horizont verblassen.

      Erst sehr viel später werde ich von einem Frösteln geweckt, das mir scharf den Rücken runterläuft; schweißgebadet schrecke ich im Rollstuhl hoch und taste mechanisch – steife Finger – nach den Lichtnadeln, die ich zitternd herausziehe.

      Die Wärme ist fort.

      Abend? Oder Nacht? Im Halbdunkel des Containers kann ich das Wabennest nur schemenhaft erkennen: Es hängt exakt am selben Platz über der Schlafwanne, in der Nische zwischen Stromzähler und Verteilerkasten ... Die Bienen müssen es komplett vom Boden abgetragen haben, um es dann neu an die Wand zu heften. Bemerkenswert, wie fleißig diese kleinen, zerbrechlich dünnen Artefakte sind.

      ### Zeitkonto: -217

      Ich sollte mir ein Beispiel nehmen!

      Drei Zyklen sind durch. Mein Konto steht auf +118, der Antrag ist gestellt – nun heißt es warten, bis der endgültige Bescheid kommt; ob positiv oder negativ, ist schwer zu kalkulieren, das Hauptwerk entzieht sich jeder Logik, sodass eine Wahrscheinlichkeitsberechnung immer nur ins Leere läuft. Manche flüstern, es arbeite auch mit Zufallsmodi, um dynamische Prozesse anzustoßen, doch das sind Gerüchte ohne Wert.

      Chaotische Kontrolle = Anarchie.

      Ich nutze die Zeit, um den Bienenschwarm zu untersuchen: Eines der Insekten habe ich mit bloßer Hand gefangen und zerlegt; die Einzelteile liegen auf einem Plastikteller, säuberlich geordnet, sodass ich das Artefakt auch wieder zusammenbauen kann, wenn die Analyse vorbei ist. Mein Lupenauge zeigt mir:

      zwei Tropfensensoren, facettiert,

      eine Mikrobatterie als Stromquelle, gespeist durch

      Solarzellen in den Flügeln, die ab 0,25 lx arbeiten,

      ein Prozessor, groß wie ein Stecknadelkopf,

      eine Speicherkapsel, digital,

      diverse Feinmechaniken, einem Uhrwerk nachempfunden,

      goldene СКАЧАТЬ