Название: Von Lüneburg bis Langensalza im Krieg 1866
Автор: Friedrich Freudenthal
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783867775229
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Außerhalb des Dorfes, im Felde, wo frischgrüne Saaten sich weithin erstreckten, sowie in der braunen Heide, die uns umgab, als wir Dorf und Feldmark im Rücken hatten, begrüßte uns vielstimmiger Sang munterer Lerchen. Klar und rein, durch keine Wolke getrübt, wölbte sich über uns der blaue Äther. Ein frostiger Hauch hatte vor Sonnenaufgang die während der Nacht aufgestiegenen Wasserdünste zertheilt und zu Boden geschlagen, zu Millionen Tropfen verdichtet hingen die blinkenden Thauperlen an den Spitzen der Grashalme und an den Zweiglein des braunen Heidekrautes.
Durch die Aussicht auf den von allen Seiten sich ankündenden herrlichen Frühlingstag in beste Stimmung versetzt wanderten mein Vater und ich fröhlich unseres Weges. In dem nächsten Dorfe hielten wir eine kurze Rast. Es wohnte dort in einem einsamen Hüttlein unfern des Weges ein altes Mütterlein, die Schwester meines Großvaters. Von ihr mußte noch Abschied genommen werden.
Wir trafen die Großtante am Heerdfeuer. Sie saß auf einem niedrigen strohbeflochtenen Schemel und stocherte mit der Feuerzange in die Asche. Augenscheinlich war sie beschäftigt, sich den Morgencaffee zuzubereiten. Als wir sie begrüßten, sah sie erfreut auf und reichte uns mit einem herzlichen, „Willkommen!“ die Hand. Wir erwiderten den Gruß mit dem herkömmlichen „Dank ok!“ und setzten das Mütterchen sodann von unserem Vorhaben in Kenntniß. Unser Besuch währte jedoch nur kurze Zeit, denn ein weiter Weg lag noch vor uns. Beim Abschiede umfaßte die Greisin mit ihren mageren, knochigen, in einem langen arbeitsvollen Leben rauh und hart gewordenen Händen meine Rechte und redete mit vermahnenden, ernsten Worten auf mich ein, mich dabei gleichzeitig mit ihren klaren Augen so treuherzig-innig anschauend, daß ich ganz bewegt wurde und jene Scene sich meinem Gedächtnis für mein ganzes Leben unauslöschlich einprägte. „Wat Di ok bevörsteiht, min beste Jung,“ – so ungefähr sprach sie – „vergitt Din Heimath un Dinen Gott nich! Wenn Du de twe Deel blos fast hollst, denn kann Di dat nümmer slecht gahn. Ick hev all Veele kennt, de wied in de Weld ’rüm kömen un naher ehr Heimath verachten un öwer datt spotten dä’n, wat jüm in de Jugend lehrt wör, awer ick glöw nich, dat dat en’n Menschen glüklich maken kann. Lewer nich geboren, as Heimath un Gotts Word verloren! Dat pleg ick daför to holen, min Jung. Süh, nu lat Di dat good gahn, min Beste, ick bün nich bang um Di!“
Als die alte Frau damals so zu mir sprach, fühlte ich mich, wie ich bereits erwähnte, zwar ergriffen, aber ich war zu jung und zu unerfahren, mein Sinn war zu sehr auf das Fernliegende, Unbekannte gerichtet, als daß ich die volle Bedeutung dessen, was sie sagte hätte erkennen können. Erst die bittere Erfahrung vieler bewegter Jahre lehrte mich die goldene Wahrheit, welche in jenen schlichten Worten lag, völlig würdigen. Ich hätte der Greisin dann gerne danken mögen, aber längst schlummerte sie unter dem Rasenhügel an der Seite ihrer Vorfahren. Oft noch tritt mir ihr Bild vor Augen: die altersgebeugte, in einfache Volkstracht gekleidete Gestalt, das schmale von in Ehren ergrautem Haar umrahmte Gesicht mit dem Ausdruck innigster Herzensgüte und gläubig-frommer Einfalt – so lebt sie in meiner Erinnerung fort, ein Stück alter, ehrlicher und einfacher Zeit. – – –
Nach mehrstündiger Wanderung erreichten mein Vater und ich das Dorf W... Hier gelangten wir auf die Heerstraße, die Napoleon I. während der Jahre 1811–1813 durch unsere Heide bauen ließ. Vielfach hörte ich in meiner Jugend und auch wohl später noch in gewissen Kreisen die Einrichtungen und Umwälzungen, womit der Völkerunterjocher auch unsere Heimath beglückte, als höchst segensreich für Handel und Verkehr preisen. Jene auf Befehl des Gewalthabers erbaute Straße mußte dann oft als ein Beweis für die cultur- und fortschrittbefördernden Bestrebungen des großen Kaisers dienen. Mein Großvater, der die Zeit der französischen Herrschaft mit durchlebte, wußte allerdings noch eine andere Tonart zu jenem Lobliede. Er meinte, das Gute, was Napoleon uns gebracht habe, wäre auch wohl ohne ihn und mit weniger Ungerechtigkeit und Druck zu uns gekommen. Mein Großvater hatte als 15jähriger Bursche mit an jener Straße arbeiten müssen. Aus den entfernten Dörfern her, aus meilenweiter Runde trieben die Gendarmen die arbeitsfähigen Männer scharenweise herbei und zwangen sie zum Frohndienst für den Staat. Beköstigung mußten die Leute sich selber mitbringen und an Zahlung eines Arbeitslohnes war kein Gedanke. Die Gelder, die der Staat für den Bau hergab, verloren sich in den Taschen der Aufseher und Unternehmer, jener Leute, die in den größeren Dörfern, Flecken und Städten Handel, Verkehr und Gewerbe in den Händen hatten, oder auch bei Zeiten sich im Civildienst einflußreiche Stellungen zu ergattern wußten, mit Hintansetzung alles vaterländischen Gefühls und nach dem weisheitsvollen Grundsatze: Weß Brod ich esse, deß Lied ich singe! Noch heute kennt man in meiner Heimath im Volke die Familien, welche sich damals mit Leichtigkeit in die „unabänderlichen Verhältnisse“ zu schicken und „mit den Thatsachen zu rechnen“ wußten, welche das Gold aufsogen wie der Schwamm das Wasser und welche sich nicht scheuten, sich in gemeinster, oft verbrecherischer Weise und vielfach auf Kosten ihrer eigenen Landsleute zu bereichern, während die Söhne der Bauern, des minder wohlhabenden Bürger- und Handwerkerstandes, sowie des Adels und der treu gebliebenen Familien in weiter Ferne auf spanischen Schlachtfeldern für das Vaterland bluteten und der Befreiung desselben Leben und Gesundheit, Gut und Blut zum Opfer brachten. –
Wir waren also bis zu dem Dorfe W... gekommen und schritten auf der berühmten Landstraße, mit welcher „Bunnepart“ unsere Heide beglückte, wohlgemuth einher. Unmittelbar an der Straße, welches das Dorf der Länge nach durchzieht, liegen mehrere Wirthshäuser. In einem derselben hielten wir Einkehr. Bei einem Glase Braunbier verzehrten wir einen Theil des mitgenommenen Mundvorraths. Der Wirth, ein älterer, freundlicher Mann leistete uns Gesellschaft. Er stand vor dem großen Kachelofen, auf dessen vorderen Eisenplatte in einem Reliefbilde Jacob und Rebecca am Brunnen dargestellt waren. Die Hände hielt der Wirth übereinandergelegt auf dem Rücken, sodaß die lange Pfeife, aus welcher er rauchte, sich selber überlassen war. Wenn er irgend etwas Bedachtsames und Nachdrückliches sagte, so beugte er den langen Oberkörper etwas vorn über und ließ die Pfeife in sanften und gleichmäßigen Schwingungen hin- und herpendeln. Die Einleitung des Gesprächs bildeten selbstverständlich Betrachtungen über das schöne Frühlingswetter. Als dieses Thema nach allen Seiten hin erschöpft war, kamen wir auch auf unser Vorhaben zu sprechen. Unser Wirth, der sich etwas demokratisch angehaucht zeigte, schien meine Absichten gerade nicht sehr beifällig aufzunehmen, das freundliche Lächeln verschwand auf eine Weile aus seinem Gesicht und die Pfeife gerieth in hastigere Schwingungen, er war jedoch viel zu höflich, als daß er uns sein Mißfallen mehr als nöthig war hätte merken lassen.
„Dat wör’n Freegeist, min Jung,“ sagte mein Vater in Bezug auf den Wirth, als wir hernach draußen auf der Landstraße im warmen Sonnenschein weiter wanderten. Ich zerbrach mir nicht den Kopf darüber, was für eine Wesen ich mir unter „Freegeist“ eigentlich vorzustellen hätte; ich gab mich vielmehr ganz der herrlichen Stimmung hin, in welche das herrliche Aprilwetter mich versetzte und freute mich über den Frühlings-Jubelgesang der Lerchen und das überall hervorsproßende erste Grün. Der April des Jahres 1866 war in der That so beständig und schön, wie wir ihn selten zu erleben pflegen. Laubwerk, Gräser und Kräuter hatten sich in Folge des andauernd warmen Wetters außergewöhnlich zeitig entwickelt. Ich erinnere mich noch deutlich, daß die zartgrünen, duftigen Blätter der Birken, mit welchen die Straße zu beiden Seiten bepflanzt war, sich bereits so weit entwickelt hatten, daß der Schatten, den die Baumkronen auf den kiesbestreuten Fußsteig der Straße warfen, fast völlig ohne Lücke war. Das war am 13. April, während ich wieder Jahre erlebt habe, in denen erst kurz vor Pfingsten die Birken grünten.
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