Название: Ordo Templi Magica
Автор: Karin Bachmann
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783957446107
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Er war am Altar angekommen, doch Andrea war, wie zu erwarten, nicht mehr da. Alles war gesäubert worden, vom Blut war nichts mehr zu sehen. So schaute sich Paul um und sah eine große Nische, in der eine Säule stand. Es erinnerte ihn sehr an die Blutsäule einige Meter über ihm in der Pfarrkirche St. Gereon. Diese sah genauso aus und wurde anscheinend verehrt, wenn man die vielen Kerzen und Schalen betrachtete, die ringsum standen. Er tauchte einen Finger in eine Schale mit einer dunklen Flüssigkeit, dann nahm er den Finger wieder heraus und schüttelte sich. Es war rot wie Blut. Doch was auch immer die maskierten Brüder hier unten abhielten, zuerst musste er Andrea suchen, sie brauchte ärztliche Hilfe, wenn es nicht schon zu spät war.
In der großen Säulenhalle waren hinter den Säulen geschickt kleine Nischen angeordnet, im inneren Bereich der Nischen fühlte man sich unbeobachtet. Paul war in eine solche Nische hineingegangen und konnte die große Halle nicht mehr sehen, stand man jedoch vor der Säule, konnte man alles im Inneren der Nische genauestens beobachten. Paul durchsuchte jede Ecke, konnte Andrea jedoch nirgends entdecken. Er sah noch eine Treppe, die wohl auf die Galerie führte, die ringsum oberhalb der Säulenhalle auskragte. Er nahm zwei Stufen auf einmal und sah sich oben um. Auch hier gab es mehrere kleine Kammern, die aber alle leer waren. Paul war verzweifelt, er wusste genau, niemand hatte Andrea wieder nach draußen gebracht. Wo war sie? Gab es noch mehr Geheimgänge und Verstecke? Er irrte noch lange durch die Gänge und musste schließlich aufgeben, seine Taschenlampe wurde zusehends blasser und würde ihm bald nicht mehr nützlich sein.
Als er auf die Uhr sah, da war es schon drei Uhr in der Nacht, er beeilte sich, dass er aus diesem Labyrinth wieder herauskam, bevor an seiner Taschenlampe das Licht ausging.
Paul fuhr nach Hause und ließ den heißen Strahl der Dusche hart auf seinen Körper prasseln. Er hatte das Gefühl, er müsse den ganzen Schmutz von sich abwaschen. Danach ging er, nur bekleidet mit einem Handtuch um seine schlanken Hüften, an den Kühlschrank und holte sich eine Flasche Bier, die er fast in einem Zug austrank.
Er ging ruhelos durch den Raum, konnte sich nicht beruhigen. Auf alle Fälle musste er zur Polizei gehen, und er wollte noch genauere Erkundigungen über diesen Orden oder diese Sekte einziehen, wer wusste schon, was da sonst noch so alles bei Nacht passierte. Und er war enttäuscht und wütend, er fragte sich, was wohl aus Andrea geworden war.
Außerdem hatte er nur noch Ekel und enormen Abscheu für Andreas Eltern übrig. Wie konnte man sein Kind nur so behandeln? Er konnte es nicht verstehen. Er dachte daran, was Andreas Eltern ihrer Tochter angetan hatten. Sie hätten ihre Tochter lieber zu einem Psychiater bringen sollen, wenn das überhaupt nötig gewesen war, denn er hatte von Andrea nicht den Eindruck gewonnen, dass sie von irgendetwas besessen gewesen wäre. Sie hatte immer einen ganz normalen Eindruck auf ihn gemacht.
Durch die typische Durchführung von Ritualen sollte die befallene Person von fremdem Bewusstsein befreit, also die sogenannten Dämonen ausgetrieben werden.
So war auch das kirchliche Amt des Exorzisten in der katholischen Kirche zu finden. Doch sicher nicht auf solch brutale Weise.
Doch etwas Gutes hatte diese Aktion gehabt, er hatte einen enorm guten Orientierungssinn und hatte sich alles gut eingeprägt, er würde gleich morgen noch eine Skizze anfertigen. Er sah auf die Uhr und schüttelte den Kopf, morgen war schon längst heute, denn in zwei Stunden musste er schon wieder zum Unterricht. Also zog er sich an und ging erst einmal zur Polizei.
Kapitel 4
Zuerst musste er warten, bis ein Beamter Zeit für ihn hatte, denn es waren einige Betrunkene aufgegriffen worden, die handgreiflich geworden waren. Als er dann schließlich an der Reihe war, da merkte er schon, dass der Beamte damit überfordert war. Also musste er auf den Kommissar warten, dieser war aber gerade erst im Begriff aufzustehen. Geduld war sonst immer eine seiner Stärken gewesen, aber in dieser Angelegenheit nicht. Er tigerte den mit grauem Linoleum ausgelegten Gang im Polizeirevier auf und ab, noch wenige Minuten mehr, und er hätte einen Pfad getreten.
Kommissar Bruckner war genauso, wie man sich einen Kommissar kurz vor dem Ruhestand vorstellte. Er trug dunkelblaue Stoffhosen und ein weißes Hemd, ein Trenchcoat, den er auch gleich auszog und an die spinnenförmige Garderobe hängte, vervollständigte das Bild. Er hätte auch nicht den Schönheitspreis gewonnen, denn sein Gesicht sah dem des Fernsehkommissars Derrick der gleichnamigen Serie recht ähnlich. Jedoch war er ein wenig füllig, was dem guten Essen seiner Frau zuzuschreiben war, und doch hatte er noch nichts von seinem Biss eingebüßt, sich in komplizierte Fälle ein zudenken und gelegentlich auch zu lösen.
Kommissar Bruckner hörte sich die Geschichte Pauls in Ruhe an und zuckte dann bedauernd mit den Schultern. Er könne erst handeln, wenn eine Vermisstenanzeige vorläge, der oder die Vermisste mindestens einen Tag fehlte, und solange keine Verletzte oder gar Tote auftauche, solange wären ihm die Hände gebunden. Mit anderen Worten, er könne nicht viel tun. Er machte Paul allerdings den Vorschlag mit ihm zusammen zu Andreas Eltern zu gehen. Vielleicht könne man da etwas erreichen. Und in der Sache mit den Ritualen des Ordens, da könne er Paul auch nicht viel Hoffnung machen, denn inzwischen sei ja, laut Paul, alles wieder aufgeräumt und nichts deutete mehr darauf hin, dass irgendetwas Verbotenes stattgefunden hatte. Paul deutete an:
„Ich werde keinesfalls aufgeben! Ich weiß, was ich gesehen habe! Ich werde versuchen, mich in den Orden einzuschleusen, wenn auch als letzten Ausweg.“
Kommissar Bruckner schaute Paul über den Rand seiner Brille tief in die Augen:
„Sie wissen, dass es kaum ein Entkommen aus so einer Sekte oder eines Ordens gibt, wenn Sie erst einmal dabei sind! Ist Ihnen das klar?“, fragte er eindringlich. Paul nickte bestätigend.
„Ich kann es Ihnen nicht verbieten“, fügte der Kommissar noch an, „doch passen Sie auf sich auf!“
Kommissar Bruckner erhob sich etwas schwerfällig aus seinem Bürostuhl und meinte: „Na, dann wollen wir mal!“ Paul schaute ihn fragend an. „Zu Andreas Eltern“, fügte er erklärend hinzu. Paul rief in der Universität an und ließ sich für einen halben Tag freistellen.
Auf dem Weg zu Andreas Eltern fragte Paul den Kommissar, ob es Neuigkeiten von den vermissten Mädchen gäbe. Bedauernd schüttelte Kommissar Bruckner den Kopf.
„Nein, wir haben nicht den geringsten Anhaltspunkt! Mehr darf ich darüber nicht sagen, und das was ich gesagt habe, war schon zu viel!“
„Danke!“
Paul und der Kommissar klingelten ununterbrochen, doch es wurde nicht geöffnet. Da rief der Kommissar mit lauter Stimme: „Polizei, öffnen Sie die Tür!“ Das schien gewirkt zu haben, denn kurz darauf stand Andreas Mutter im Türrahmen. Ihr Gesicht wirkte ängstlich und man sah, dass sie geweint hatte. Der Kommissar drückte kurzentschlossen die Tür auf und fragte schon beim Hineingehen: „Können wir mal kurz reinkommen?“ Sie gingen ins Wohnzimmer und da saß Andreas Vater vor dem Fernseher. Er hatte eine Flasche Bier in der Hand und auf dem Tisch standen einige weitere, leere Flaschen. Andreas Mutter verteidigte ihn und meinte:
„Er trinkt sonst nie, wissen Sie, wegen seinem Glauben!“
Das war natürlich ein Stichwort für Kommissar Bruckner.
„Und warum trinkt er heute, ausnahmsweise?“
„Ehm …, ihm geht es nicht gut!“
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