Das Geheimnis der Väter. Daniel Eichenauer
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Название: Das Geheimnis der Väter

Автор: Daniel Eichenauer

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

Серия:

isbn: 9783955522469

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СКАЧАТЬ Unschuld beteuert, als er sie am Abend seiner Verhaftung beim Lauschen auf der Treppe erwischt hatte.

      «Du warst damals ein kleines Mädchen, Neele. Was hätte er dir denn erzählen sollen?» Das war es, was ihr seitdem alle sagten. Aber in Neeles Augen war ihr Vater stets aufrichtig gewesen. «Neele, Kind, Aufrichtigkeit hat ihre Grenzen!», antworteten sie wieder im Chor, wenn sie das zu erklären versuchte. Doch Neele wollte das nicht hören. Natürlich war ihr klar, dass sich die Worte ihres Vaters an ein Kind gerichtet hatten, aber sie wusste auch, dass es die Worte ihres Vaters gewesen waren. Sollten die anderen sie doch für ein naives Mädchen halten! Sie wollte wissen, wer ihrem Vater das angetan hatte, wer ihn belasten wollte. Punktum!

      Bei einer dieser scheußlichen Familienfeiern hatte sie einen Bekannten der Eltern ihres Freundes Tino kennengelernt, Rainer Voß, der bei der Berliner Polizei Dienst tat. Zu Tinos Eltern hatte sie seit Jahren ein enges Verhältnis. Sie war öfter bei ihnen, selbst wenn Tino nicht dabei war, was in den letzten Jahren, seit er zum BWL-Studium nach Freiburg gegangen war und anschließend eine Tätigkeit in Hamburg aufgenommen hatte, häufiger vorkam. Neele und Tino hatten sich als Teenager kennengelernt. Er hatte eine Nachbarschule besucht, und Neele hatte von Anfang an nur Augen für ihn gehabt. Bald waren sie ein Paar geworden. Selbst seine Eltern und ihre Mutter hatten sich beinahe angefreundet. Doch seit Beginn des Studiums hatte er sich verändert und schien ein anderes Leben zu führen, eines, in dem nur noch wenig Platz für sie war und an dem er sie kaum noch teilhaben ließ. Am meisten schmerzte sie, dass er ihr gegenüber so tat, als wäre alles wie eh und je.

      Jedenfalls hatte sie es bei der besagten Feier nicht gewagt, Rainer Voß, den sportlichen Fünfzigjährigen, direkt auf den Fall ihres Vaters anzusprechen und ihn zu fragen, ob er ihr bei den Recherchen behilflich sein könne. Dieses Versäumnis wollte sie nun, als sie wieder einmal bei Tinos Eltern am Küchentisch saß, wettmachen.

      «Ja», dachte sie laut, den Kopf in ihre Hände gestützt, «wenn ich nur ein wenig in der Ermittlungsakte blättern könnte! Ich würde die Wahrheit erfahren und endlich Ruhe finden.» Sie machte einen Schmollmund und wiegte ihren Kopf sanft hin und her, sodass ihr Pferdeschwanz wippte. «Aber leider, leider kommt man an solche Akten nicht heran. Schade! Jammerschade! Es sei denn, man kennt jemanden bei der Polizei.» Sie setzte ihr süßestes Lächeln auf und sah Tinos Eltern an.

      Die zogen entsetzt die Augenbrauen hoch. Anscheinend wollten sie es um jeden Preis vermeiden, dass Neele in der Vergangenheit wühlte. Neele hatte ihnen oft genug von der ablehnenden Haltung ihrer Mutter berichtet. Und stets hatten sie versichert, dass sie das Verhalten der Mutter absolut nachvollziehen könnten. Sie hatten ihr geraten, dieses Thema ruhen zu lassen.

      «Ich möchte doch nur wissen, wie mein Vater starb», erklärte Neele deshalb flehentlich. «Ist das nicht verständlich?»

      «Natürlich», beruhigte sie Tinos Mutter, «natürlich! Allerdings weißt du doch schon, was damals geschah. Dein Vater hat sich selbst gerichtet, seine Schuld erdrückte ihn, und er hätte das Leben im Gefängnis nicht ertragen. Du hast uns doch selbst erzählt, wie sehr er seine Freiheit brauchte», sagte sie.

      «Das glaubt ihr doch wohl selbst nicht!», brauste Neele auf. «Wegen eines Verkehrsverstoßes nimmt man sich doch nicht das Leben! Aber gut, wenn es tatsächlich die Wahrheit ist, finde ich mich damit ab. Denn dann ist der Zweifel ausgeräumt – der Verdacht, dass man mir seit Jahren aus irgendeinem Grunde nur die halbe Wahrheit erzählt. Wenn es tatsächlich so war, wie ihr sagt, muss niemand Angst davor haben, mir zu helfen.» Neele packte den Stier bei den Hörnern. «Fragt ihr Rainer Voß, ob er mich bei meinen Recherchen unterstützt?» Sie sah Tinos Mutter an. «Bitte! Oder soll ich ihn selbst anrufen?»

       Jakob Chrumm

      Ich wälzte gerade Bücher über Berlin. Stadtgeschichte, Sehenswürdigkeiten, ähnlich Langweiliges. Doch nichts half mir weiter. Keine Tipps, keine Anekdoten. Ich hatte Neele eine Stadtführung versprochen und suchte nach etwas Besonderem. Als ob sich Neele für das Baujahr des Brandenburger Tors interessierte! Entnervt legte ich die Bücher zur Seite. Ich seufzte. Dass es überhaupt so weit gekommen war, konnte ich mir nicht erklären. Das heißt, erklären konnte ich es mir schon, doch ich hatte es nicht beabsichtigt. Seit dem Abend der Party vor fast zwei Wochen dachte ich darüber nach, womit ich Neele überraschen konnte. Ich hätte mich eigentlich gegen diese Gedanken wehren müssen, schon alleine wegen Nina. Was nun?

      Plötzlich hatte ich eine Idee: die «Hafenbar»! Die freitägliche Schlagerparty dort musste man erlebt haben. Die «Hafenbar» lag im ersten Stock eines kleinen alten Hauses im Ostteil der Stadt und war seit DDR-Zeiten unverändert. Sie war die älteste Disco der Stadt und auch bei jungen Leuten sehr beliebt. Ein hölzerner Segelmast stand in der Mitte der Tanzfläche, Fischernetze, Bullaugen und Plastikfische mit Riesenaugen hingen an den Wänden. Nachts pflegten sich die Tänzerinnen um den Segelmast zu schlängeln. Die Besucher der «Hafenbar» waren ein offenes und fröhliches Völkchen, fahrtüchtig war von ihnen meist bald keiner mehr, und so kannte nach einer halben Stunde fast jeder jeden – falls man den Namen des Gegenübers im Lärm überhaupt verstand.

      Als wir die Bar am Abend betraten, tobte das Partyvolk bereits. Schlager wurden mitgegrölt, Arme flogen in die Höhe, Frauen wurden torkelnd übers Parkett gewirbelt oder kreischend in Hebefiguren gezwungen. Ein angetrunkener Gast schüttete versehentlich sein Getränk über meinen Arm aus und versuchte sich mühsam in Entschuldigungen. Ich holte zwei Bier, und Neele und ich setzten uns in eine ruhigere Ecke. Sie plauderte munter drauflos.

      Es wurde immer später, die Musik langsamer. Irgendwann begaben wir uns auf die Tanzfläche. Neele lag in meinen Armen, langsam bewegten wir uns im Kreis. Ihre Hände glitten zaghaft über meinen Rücken. Ich spürte ihren Körper. Mein Herz begann zu klopfen. Sie umfasste meine Schulterblätter und ließ ihren Kopf auf meine Brust sinken. Hoffentlich spürte sie meinen Herzschlag nicht! Meine Hände wurden mutiger und suchten neue Ziele. Sie glitten ihren Rücken herab und befühlten ihren Gürtel. Ein neues Lied begann. Ich fuhr an ihrem Gürtel entlang, spürte ­keine Gegenwehr. Langsam ertasteten meine Hände ihr Gesäß. Ich zog sie an mich heran. Mein Kinn berührte ihre Haare. Ich schloss die Augen und streichelte ihren Nacken. Sie hob ihren Kopf und hielt ihre Wange an meine. Nein, das ging zu weit! Ich hatte Angst. Unsere Gesichter bewegten sich langsam aufeinander zu. Meine Lippen suchten nach ihren.

      Nina!, schoss es mit durch den Kopf. Nina! Doch es war zu schön. So schön, dass ich jeden Moment erwartete, dass Neele mich plötzlich von sich stoßen und sich für ihren ­Moment der Schwäche entschuldigen würde. Ihre Lippen öffneten sich.

      Nach einer gefühlten halben Stunde sahen wir uns in die Augen. War das nicht zu gut, um wahr zu sein? Ein Kuss muss schließlich nichts bedeuten. Neele konnte sich immer noch anders entscheiden. Doch was war mit Nina? Ich presste die Handflächen gegen meinen Kopf. Was war mit Nina?

       Neele van Lenk

      Neele hatte unruhig geschlafen. Früh verließ sie das Haus und ging im Park des Schlosses Charlottenburg spazieren, bevor sie auf ein Café zusteuerte. Kein Platz war besetzt, und doch legte die junge Bedienung ihre Zeitung nur missmutig beiseite, als Neele den Raum betrat. Die sah sich um und schüttelte den Kopf. Eigentlich hatte man hier den schönsten Blick auf das herrschaftliche Anwesen, doch der wurde durch Plastikpalmen verstellt. Sie nahm an einem Tisch Platz, legte ihre Handtasche auf den Nachbarstuhl und wartete. Pünktlichkeit war ein Charakterzug, den Neele sehr schätzte.

      Just in dem Moment, als sie darüber nachdachte, flog die Tür auf, und Rainer Voß wehte herein. Er winkte ihr schon vom Eingang aus zu und begrüßte sie mit lautem Hallo. Schwunghaft ließ er sich auf einen Stuhl fallen, warf einen von einem Gummiband zusammengehaltenen СКАЧАТЬ