Aufruhr am Alexanderplatz. Horst Bosetzky
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Aufruhr am Alexanderplatz - Horst Bosetzky страница 4

Название: Aufruhr am Alexanderplatz

Автор: Horst Bosetzky

Издательство: Автор

Жанр: Исторические детективы

Серия:

isbn: 9783955520342

isbn:

СКАЧАТЬ ihn an seiner Tätigkeit reizte, waren nicht nur der Umgang mit jungen Menschen und das Dozieren, sondern auch das tägliche Gespräch mit Kollegen, die aus zivilen Berufen kamen. So freute er sich, heute am Eingang der Schule Gotthilf Hagen zu treffen, einen geborenen Königsberger, der Dozent für Wasserbau war. Er war Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften und Ehrendoktor der Universität Bonn.

      Gontard liebte es, den ernsthaften Hagen dadurch zu verwirren, dass er einen heiteren Ton anschlug. »Wissen Sie eigentlich, dass die Berliner schon 1448 eine große Tat der Wasserbaukunst vollbracht haben?«

      Der Ingenieur überlegte. »Hier an der Spree hat es doch nie richtige Deiche gegeben, und an die wasserwirtschaftlichen Regulierungen im Oderbruch und im Rhinluch war 1448 noch lange nicht zu denken.«

      »Nein, aber 1448 haben die Berliner einen Damm zur Spree durchstochen und die Baugrube des Schlosses unter Wasser gesetzt. Sie wollten keine Zwingburg der Hohenzollern an dieser Stelle.«

      »Ja, der Berliner Unwille«, brummte Hagen. »Ich hoffe nur, dass die Berliner vierhundert Jahre später nicht wieder unwillig werden. Man hört da so einiges munkeln …«

      Was dies betraf, hielt sich Gontard lieber bedeckt, und er brachte das Gespräch wieder auf Hagens Fachgebiet.

      »Die Preußen beklagen schon lange, dass sie keinen Nordseehafen haben, und es heißt, sie wollen nun am Jadebusen ein Stück Land kaufen und dort einen errichten …«

      »Das sind wohl alles nur Träume von Prinz Adalbert von Preußen. Aber wenn es tatsächlich so weit kommt, dann hoffe ich schon, dass man mich ruft, um diesen Hafen zu bauen«, erklärte Hagen.

      Damit verabschiedeten sie sich voneinander, und Gontard machte sich auf den Weg zum Hörsaal. Beim laufenden Jahrgang hatte er vertretungsweise das Fach Kriegsgeschichte übernommen und dies auch nicht bereut, denn die Herren Lieutenants waren wesentlich aufmerksamer, wenn man über große Schlachten sprach und ihnen nicht die mathematischen Formeln zum Berechnen der Flugbahn von Granaten beizubringen versuchte.

      »Kommen wir heute zur zwölften Schlacht des Siebenjährigen Krieges, nämlich zu der von Zorndorf, nordöstlich von Küstrin, am 25. August 1758. Bei Zorndorf gibt es eine teilweise sumpfige Niederung mit dem Galgen- und dem Zaberngrund, verschiedenen Tümpeln und kleinen Gehölzen, die eingebettet ist in eine weiträumige Heidelandschaft.« Gontard ging an die Tafel, skizzierte die Stellungen der Russen und der Preußen und erklärte den Schlachtverlauf. »Die Russen unter General Wilhelm von Fermor kommen von Küstrin her, das sie mit der Artillerie beschossen haben, und erwarten hier bei Zorndorf die Preußen unter Friedrich dem Großen. Der hat 36 800 Mann aufzubieten, die Russen 44 300. Bei Sommerhitze wird den ganzen Tag über erbittert gekämpft. Der preußischen Infanterie gelingt es nicht, eine Bresche in die gegnerischen Stellungen zu schlagen, und schließlich muss der linke preußische Flügel zurückweichen. Da passiert etwas höchst Beachtliches: Der König selbst steigt vom Pferd, ergreift die Fahne des Infanterieregiments No. 46, das General von Bülow befehligte, und bringt seine fliehenden Soldaten dazu weiterzukämpfen. Das nützt aber nichts, die Niederlage scheint sicher, zumal der Reitergeneral Friedrich Wilhelm von Seydlitz, der mit seinen fünfzig Schwadronen auf dem rechten Flügel steht, entgegen dem ausdrücklichen Befehl des Königs nicht eingreift. ›Er haftet mit Seinem Kopf für die Bataille!‹, ruft der König aus. Doch Seydlitz’ Erfahrung, seine Intuition und seine einzigartige Fähigkeit, eine Schlacht zu lesen, sagen ihm, dass der richtige Zeitpunkt für eine Kavallerieattacke noch nicht gekommen ist, und so wartet er ab. Erst als die Russen, die weit in die preußischen Stellungen eingedrungen sind, ihm den Rücken zuwenden, entscheidet er die Schlacht zugunsten Preußens mit einer fulminanten Kavalkade.«

      Hurra-Rufe erklangen im Hörsaal, und nun wurde darüber diskutiert, ob es klug war, dass der König mit seinem Eingreifen sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte und ob sich Kaiser und Könige überhaupt mitten auf dem Schlachtfeld aufhalten sollten. Eine andere wichtige Frage war, ob man Seydlitz wegen Befehlsverweigerung vor das Kriegsgericht hätte stellen sollen oder er als der eigentliche Sieger von Zorndorf auf einen Denkmalssockel gehörte.

      »Das ist ja das Thema von Kleists Prinz von Homburg!«, rief einer der Lieutenants.

      Gontard nickte. »So ist es, nur mit dem Unterschied, dass Friedrich dem General Seydlitz noch auf dem Schlachtfeld dankte und nicht wie der Große Kurfürst das Kriegsgericht bemühte.«

      Darüber wurde noch eine Weile diskutiert, dann war die Stunde zu Ende, und Gontard konnte sich wieder auf den Heimweg machen. So ließ sich das Leben genießen, sogar in dem großen Gefängnis namens Preußen. Gerade war er wieder auf die Straße Unter den Linden getreten, da lief er Julius Hitzig in die Arme.

      Der stammte aus der Hofjudenfamilie Itzig, war aber 1799 zum Christentum konvertiert und hatte ein H vor seinen Namen setzen lassen. Hitzig betätigte sich als Jurist und Verleger. Er war 1815 Criminalrat in Berlin geworden, und 1827 hatte man ihn zum Director des Inquisitoriats sowie zum Mitglied im Criminal-Senat ernannt. Seit 1835 befand er sich allerdings im Ruhestand. Er hatte strafjuristische Fachzeitschriften begründet, war aber dem breiteren Publikum vor allem durch die Sammlung Der neue Pitaval bekannt geworden, die er zusammen mit Willibald Alexis herausgab und in der in regelmäßiger Folge Bände mit aufregenden Criminalfällen erschienen.

      »Na, mein lieber von Gontard, von Ihnen war in letzter Zeit ja wenig zu hören. Haben Sie es aufgegeben, die Fälle unseres wackeren Criminal-Commissarius Werpel zu klären?«

      »Mitnichten, aber seit dem Mamsellenmörder und dem Mord an Oberst-Lieutenant von Streyth hat es keine Fälle mehr gegeben, die mich hätten interessieren können. Und wenn Sie mich dazu animieren möchten, wieder einmal eine Tat aufzuklären, dann müssten Sie schon selbst den perfekten Mord begehen.«

      Hitzig kam nicht umhin, Gontards besondere Leidenschaft von der moralischen Seite her zu betrachten.

      »Sehnsüchtig auf den nächsten Mord zu warten erscheint mir doch ein wenig zweifelhaft.«

      Gontard lachte. »Das Publikum will es so. Es liebt das Erschaudern, und jeder ist glücklich, dass es ihn nicht getroffen hat. Außerdem eint das Verbrechen die aufrechten Gemüter im Abscheu vor Tat und Täter und macht dem Volke, wenn der Täter erst einmal am Galgen hängt, klar, dass sich das Morden nicht lohnt.«

      »Ach Gontard, jetzt weiß ich endlich, dass ich nicht vergebens gelebt haben werde!«, rief Hitzig, um sich dann zu verabschieden und seinen Weg in den Thiergarten fortzusetzen. »Also, hoffen wir auf den nächsten schönen Fall!«

      Gontard liebte sein Zuhause, seine Frau und seine Kinder, doch den ganzen Tag dort zu verbringen langweilte ihn. So hatte er sich auch für den heutigen Abend mit Friedrich Kußmaul verabredet, um durch Berlin zu streifen und zu hören, was im Volke so geredet wurde. Sie hatten vereinbart, dass Gontard in die Ordination kommen sollte, da nie ganz genau vorherzusagen war, wann der letzte Patient gegangen war. Also machte sich Gontard auf zum sogenannten Löben’schen Haus, das an der Ecke Leipziger und Jerusalemer Straße gelegen war. Früher war hier das Hauptritterschaftskreditkollegium untergebracht gewesen, jetzt gab es in dem vierstöckigen Eckhaus Privatwohnungen, und Kußmaul hatte sich auf der ersten Etage seine Praxis eingerichtet.

      Bei der letzten Volkszählung vom 3. Dezember 1846 hatten 408 502 Menschen ihren Wohnsitz in Berlin gehabt, und inzwischen mochten es noch ein paar mehr geworden sein, so dass Gontard eigentlich damit rechnen konnte, Unter den Linden, in der Friedrich oder der Mohrenstraße einen Verwandten oder einen lieben Freund zu treffen, doch der Zufall war heute gegen ihn. Dafür lief er auf dem Hausvogteiplatz Waldemar Werpel in die Arme.

      Der Criminal-Commissarius gab sich übertrieben freundlich. »Nun, verehrter Herr Oberst-Lieutenant, wie СКАЧАТЬ