Tod im Thiergarten. Horst Bosetzky
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Название: Tod im Thiergarten

Автор: Horst Bosetzky

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

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isbn: 9783955520311

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       Von diesen hier aufgeführten Rauchern unterscheiden sich der Arbeitsmann und die Grisette. Der Arbeiter nimmt seine kurze Holz- oder - wenn es hochkommt - Thonpfeife und stopft sie mit allem möglichen Gemüse, nur nicht mit Tabak. Die Grisette und im Allgemeinen die Damen, welche die öffentlichen nächtlichen Soireen besuchen, haben den Entschluss gefasst, sich mit der Cigarre wenigstens vertraut zu machen. Sie nehmen die uns aus Frankreich und Spanien überkommene Cigarette, gefüllt mit Tabak aus Maryland, und rauchen mit einer Verwegenheit, die einen Nachtwächter rasend machen könnte.

       Mit allen gemeinsam raucht der gemeine Bummler, der sich die Cigarrenreste zusammensucht, die Pfälzer ebenso gut wie die Havanna.

       Alle rauchenden Menschen machen mir einen glücklichen Eindruck, und so will ich mit dem Dichterworte schließen: Wo man raucht, da magst du ruhig harren, / Böse Menschen rauchen nie Cigarren.

      Gontard, der selten zur Cigarre griff, legte das Journal beiseite. Eine auffällige literarische Begabung schien ihm bei Kahlbaum nicht vorzuliegen. Aber das konnte ja noch werden, wenn man ihn in bestimmte Kreise einführte, zum Beispiel in den literarischen Verein »Tunnel über der Spree«. Während er darüber nachdachte, kam der Victualienhändler Vogel in die Schneiderei gestürzt, um ihm überschwenglich für die Rettung seines Vermögens zu danken. Fast hätte er den Offizier umarmt. »Wie kann ich das nur wiedergutmachen, Herr von Gontard?«

      »Indem Sie darüber Stillschweigen bewahren.«

      »Aber einen kleinen Korb Kiebitzeier und eine Flasche Champagner darf ich Ihnen doch nach Hause schicken, oder?«

      »Nun ja …« Es gab Versuchungen, denen auch Gontard nicht widerstehen konnte.

      »Ihre Weste ist fertig!«, rief Hoppe. »Sie können sie anprobieren.«

      »Wunderbar!« Gontard tat es und war mit dem teuren Stück - die Vorderseite bestand aus roter Seide - so zufrieden, dass er es nach der Anprobe gar nicht ausziehen wollte. »Damit laufe ich gleich zu Stehely.«

      Trotz aller Schnüffelei und Repression wurde in Berlin lebhaft über alles Politische diskutiert, vor allem in den Weinstuben, von denen es fast dreißig gab - Lutter & Wegner allen voran –, und den Conditoreien und den Lesecafés, von denen zeitweise an die hundert gezählt wurden. Es seien nur Spargnapani, Kranzler und d’Heureuse genannt, besonders Stehely & Comp. in der Charlottenstraße 53 am Gensdarmen-Markt, der französischen Kirche gegenüber. Hier lagen inländische, vor allem aber ausländische Zeitungen aus, die von der geistigen Elite Preußens begierig gelesen wurden, um das, was sich in London, Paris, St. Petersburg oder Wien getan hatte, anschließend zu diskutieren und kritisch mit der Lage in Berlin in Beziehung zu setzen. Stundenlang konnte man sich hier die Köpfe heißreden über die Pressefreiheit und eine moderne Verfassung.

      Christian Philipp von Gontard bevorzugte das Stehely. Als er die Tür öffnete, um einzutreten, stieß er mit einem jungen Mann zusammen, dessen hageres, feingeschnittenes Gesicht noch ernster aussah als sonst. Es war Karl Theodor Seydel aus Minden, der nach staatswissenschaftlichem Studium, Ableistung seines Militärdienstes und Ablegung des Assessorexamens in den Dienst des preußischen Staates getreten war und derzeit im Finanzministerium arbeitete.

      »Was ist denn passiert, lieber Seydel?«, fragte Gontard.

      »Sie sehen ja aus, als ob Sie von Ihrer eigenen Beerdigung kommen!«

      »Das nicht, aber sie haben mich strafversetzt nach Oppeln.«

      Gontard glaubte, den Grund zu kennen. »Weil Sie wieder einmal etwas in Gazetten veröffentlicht haben, die von Dr. Wiesenburg als regierungsfeindlich eingestuft werden?«

      »Genau so ist es«, antwortete der Mann, der zwanzig Jahre später Berliner Oberbürgermeister werden sollte.

      »Seien Sie froh, dass es nur Oberschlesien ist!«, sagte Gontard. »Ovid haben sie ans Schwarze Meer verbannt. Und tragen Sie es wie einen Orden!«

      Sie umarmten sich kurz, dann eilte Seydel nach Hause, seine Koffer zu packen. Gontard trat ins Stehely ein und setzte sich an einen Zweiertisch in der rechten hinteren Ecke des Lesecafés, von wo aus er am besten die anderen Gäste im Auge hatte, und wartete auf seinen Freund, den Arzt Friedrich Kußmaul, der vor Jahren aus der Nähe von Karlsruhe nach Berlin gekommen war. Doch der Gute ließ noch auf sich warten, so dass Gontard Zeit genug hatte, dem Gespräch am Nebentisch zu lauschen, an dem Christian Friedrich Scherenberg und Bernhard von Lepel saßen und über den »Tunnel über der Spree« diskutierten. Scherenberg kam aus Magdeburg, wo er sowohl als Schauspieler wie auch als Ehemann gescheitert war, und hielt sich und seine Kinder mit Abschreibearbeiten und Hauslehrertätigkeiten nur mühsam über Wasser. Er galt aber im literarischen Verein als hochbegabt, schrieb Gedichte und plante ein großes vaterländisches Versepos über die Schlachten bei Ligny und Belle-Alliance.

      Bernhard von Lepel war aus Meppen nach Berlin gekommen und hier in das Kaiser Franz Garde-Grenadier-Regiment No. 2 eingetreten, verstand sich aber mehr als Schriftsteller denn als Offizier. Bernhard von Lepel war ein heiterer Mensch. »Stellen Sie sich vor, Scherenberg, ich komme heute Morgen an einer Schule vorbei, und da singen sie gerade Wenn alle Brünnlein fließen. In diesem Augenblick fällt mir wieder ein, dass ich Ihnen ja den Theodor Fontane für den ›Tunnel‹ empfehlen wollte.«

      »Wer ist Theodor Fontane?«, fragte Scherenberg.

      »Ein Apothekergehilfe aus Neuruppin, dessen Gedichte ich bemerkenswert finde. Im letzten Jahr ist er an Typhus erkrankt und kuriert sich jetzt im Oderbruch aus, in Letschin, wo sein Vater eine Apotheke besitzt.«

      »Warten wir mal ab, bis er wieder in Berlin ist, dann können wir ihm ja eine Einladung ins Haus schicken.«

      In diesem Augenblick kam Friedrich Kußmaul durch die Tür, und Gontard stand auf und winkte. Sie begrüßten sich mit einer angedeuteten Umarmung.

      »Wie geht es dir?«, war Gontards erste Frage, als sie sich gesetzt hatten.

      Kußmaul stöhnte leise auf. »Wie soll es einem Menschen gehen, dessen jüngerer Bruder als Genie gesehen wird? In Anlehnung an Hoffmann von Fallersleben könnte man sagen: Adolf, Adolf über alles.«

      Die Kußmauls waren eine alte Medizinerfamilie aus dem Badischen. Vater und Großvater hatten als Physikatsärzte gearbeitet, und Friedrich wie Adolf hatten von Kind auf den Wunsch gehabt, in deren Fußstapfen zu treten.

      »Adolf hat doch gerade erst sein Studium in Heidelberg begonnen«, sagte Gontard.

      »Ja, aber er ist jetzt schon ungeheuer vielseitig, forscht über die Farbenerscheinungen im Grunde des menschlichen Auges und schreibt gemütvolle Verse.«

      Gontard musste grinsen. »Ich kenne noch jemanden, der mit seiner ersten Profession nicht recht zufrieden ist und noch eine zweite braucht. Artillerie-Offizier und Lehrer sein reicht mir nicht, ich muss auch noch auf Verbrecherjagd gehen.«

      Kußmaul winkte ab. »Ich weiß. Schließlich habe ich am Vormittag die Wunde versorgt, die das Messer des Einbrechers Franz Karbusch auf deiner Wange hinterlassen hat.«

      Um von diesem Thema abzulenken, zeigte Gontard auf seine neue Weste. »Gerade eben vom Schneidermeister Hoppe abgeholt. Und diesen Knopf hier hat er persönlich angenäht, weil sein Geselle Ludwig sich ja im Thiergarten aufgehängt hat.«

      »Als ob ich das nicht wüsste!«, rief Kußmaul. »Mich haben sie schließlich gerufen, um seinen Tod festzustellen.«

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