Название: Steinzeit-Astronauten
Автор: Reinhard Habeck
Издательство: Автор
Жанр: История
isbn: 9783990404102
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Die Altersbestimmung der Zauberzeichen fällt schwer. Es scheint mehrere Schaffensperioden gegeben zu haben. Im Vergleich mit Val Camonica wird der Ursprung in die späte Jungsteinzeit datiert (ca. 3. Jahrtausend v. Chr.) oder eher noch in die Bronze- und Eisenzeit (ca. 2000 v. Chr. bis Christi Geburt). Die „Visitenkarte“ der Räter ist erkennbar: Neben der dominierenden Kreissymbolik zeigen etliche Graffiti, darunter Reiterdarstellungen und Zeichen, die an eine „Schaufel“ erinnern, eine frappante Ähnlichkeit mit den Felszeichnungen der Camuni. Das kann kein Zufall sein. Es muss in der Vorzeit zwischen den Älplern in Carschenna und den Menschen des Camonica-Tales regen Kulturaustausch gegeben haben. Aber wo liegen die Wurzeln? Welche Motive sind die älteren? Im Rätischen Museum in Chur sind Kopien der Carschenna-Muster ausgestellt. Wer sie im Original besichtigen will, muss sich beeilen. Die Verwitterung lässt die ungeschützten Gravuren immer mehr verblassen. Sorgen bereiten zusätzlich neuzeitliche Kritzeleien, die das bedeutende Kulturerbe verunstalten.
Carschenna liegt auf 1.110 Metern Seehöhe nahe dem frühmittelalterlichen Kirchenkastell Hohenrätien über dem Eingang zur Viamala-Schlucht. Die Besichtigung der restaurierten Burganlage kostet einen kleinen Obolus, aber der steile Aufstieg zum aussichtsreichen Felsplateau lohnt sich. Wer die Fundstellen mit den Felszeichnungen lieber direkt ansteuern möchte, erreicht sie von den Ortschaften Thusis oder Sils über einen markierten Wanderweg in etwa einer Stunde. Die Gravuren liegen nahe beisammen, teils im Wald, teils auf einer kleinen Lichtung unterhalb einer Hochspannungsleitung.
Die ungewöhnlichste Zeichnung besteht aus drei konzentrischen Kreisen mit einem Näpfchen als Mittelpunkt. Zwei parallele Linien außerhalb der Ringe weisen zu einer Aushöhlung, die bei meiner Besichtigung mit Wasser gefüllt war. Was mich dabei amüsierte: Aus der „Vogelperspektive“ betrachtet, könnte man die Felsgrafik für den Grundriss des „Raumschiffs Enterprise“ halten. Die Verbindung der konzentrischen Kreise zum Wasserbecken ist bestimmt nicht zufällig gewählt. War Carschenna einst ein heiliger Kraftort, wo dem Lebensspender Wasser gehuldigt wurde?
Burganlage Hohenrätien, nahe den Felsbildern von Carschenna
Die Symbole von Carschenna: Dienten sie astronomischen und topografischen Zwecken?
Was die Zeichen wirklich bedeuten, wird kaum mehr zu klären sein. Archäologen sprechen vieldeutig von einem „Opferplatz für die Erdmutter“, „künstlerischen Ausdruck von Hirten“, „kultischen Platz für Riten“ oder „Darstellungen von Mond- und Sonnenkonstellationen sowie Gestirnen“. Der Geologe Markus Weidmann hat die Carschenna-Symbolik mit der Topografie umliegender Ortschaften verglichen und fand verblüffende Gemeinsamkeiten. „Vielleicht stellen die alten Felszeichnungen eine Art prähistorischen Katasterplan dar“, mutmaßt der Schweizer. Der Gedanke, dass Carschenna einst ein Schauplatz für topografische und astronomische Beobachtungen war, ist nicht so abwegig: Der im Ortsnamen enthaltene Begriff Carschen bedeutet auf Rätoromanisch „aufgehender Mond“!
UNGEKLÄRTE FELSINSCHRIFT
Im nördlichsten Teil der Brandenberger Alpen in Tirol, nahe der Grenze zu Bayern, erhebt sich das Rofan-Gebirge mit dem 1.811 Meter hohen Schneidjoch. In einer Felsspalte haben die Räter ihr ältestes Sprachdenkmal hinterlassen. Es befindet sich auf 1.500 Metern Höhe am Fuße einer senkrecht nach oben steigenden Felstafel, die „Steinberg“ genannt wird. Im Sommer 1957 kletterten die Tiroler Bergwanderer Walter Riedl und Franz Schmid im Achensee-Gebiet. Dabei entdeckten sie die kleine Höhle mit Inschriften. Genauer gesagt war es eine Wiederentdeckung. Die alten Schriftzeichen waren lange in Vergessenheit geraten und wurden vorher nie wissenschaftlich untersucht. Das gelang erst 1958 dem Sprachforscher Emil Vetter mit seiner Studie über „Die vorrömischen Felsinschriften von Steinberg in Nordtirol“.
Im Tiroler Rofan-Gebirge versteckt sich ein rätisches Geheimnis.
Quellgrotte nahe dem Schneidjoch
Etruskisch-rätische Inschriften
Die bis zu zwei Meter langen Schriftbänder sind in acht Zeilen festgelegt und bestehen aus über hundert Buchstaben, die jeweils etwa zehn bis 15 Zentimeter groß sind. Die meisten Texte werden dem nordetruskisch-rätischen Alphabet der La-Tène-Zeit (der zweite Abschnitt der europäischen Eisenzeit) zugeordnet. Starke Verwitterung, gewaltsame Beschädigungen und spätere Überschreibungen erschweren die Lesbarkeit. Sie erfolgt aus heutiger Sicht seitenverkehrt, nämlich von rechts nach links beziehungsweise von oben nach unten.
Der Arzt und Wissenschaftler Dr. Hans-Walter Roth aus Ulm in Baden-Württemberg brachte es ans Licht: Die Räter haben am Schneidjoch deutlich sichtbare Texte hinterlassen, aber es sind nicht die einzigen. Bei der Untersuchung der Felswand mit modernster digitaler Fototechnik, Laservermessung und Kontrastverstärkung konnte der Forscher etwa 200 weitere Gravuren nachweisen. Für Roth steht fest, dass das rätische Felsennest bereits in der Bronzezeit, wahrscheinlich sogar noch früher, ein bedeutsamer Rastplatz gewesen ist. Erst später hinterließen Etrusker, Räter, Römer, Kelten, Goten und Wanderer aus dem Mittelalter sowie der jüngeren Geschichte Spuren ihrer Anwesenheit.
Was lockte Menschen der Vorzeit den steilen Pfad hinauf zur Halbhöhle, die wie ein Dreieck in den Berg eingeschnitten ist? Archäologen vermuten ein altes Quellheiligtum, denn aus dem Felsspalt sprudelt Wasser. Vor der Kultstätte könnte sich ein Versammlungsplatz für Zeremonien befunden haben. Von einem Plateau davor ist heute nichts mehr zu bemerken. Es soll durch einen Felssturz vor mehr als drei Jahrhunderten zerstört worden sein. Könnten sich unter den meterdicken Steinplatten noch weitere noch unentdeckte Schriftgravuren befinden?
Die im Spalt geschützten textlichen Zeugnisse haben sich hinübergerettet in die Gegenwart. Man kann sie großteils entziffern, aber ganz schlau wird man daraus trotzdem nicht. Seit ihrer Entdeckung geben sie der Wissenschaft Rätsel auf. Die meisten Historiker deuten den Inhalt als Dank- und Weiheformel an den Gott Kastri für geschöpftes Wasser. Dieser himmlische Gebieter soll eine Schutzgottheit für Reisende gewesen sein, die dem etruskischen Kustur beziehungsweise dem griechischen Kastor entsprach. Der Forscher Eduard Gugenberger erkennt „eine dem etruskischen Apulu und griechischen Apoll verwandte Sonnengottheit“.
Eine umstrittene Übersetzung der rätischen Inschriften erläutert, dass mehrere Personen dem göttlichen Kastri geopfert haben. Da bis auf eine Ausnahme alles Frauennamen zu sein schienen, wurde spekuliert, ob das Schneidjoch im Altertum ein heimlicher Treffpunkt für Priesterinnen gewesen sein könnte. Die Deutung als Lobpreisung für Gott Kastor hält der an der Universität Wien tätige Linguist Dr. Stefan Schumacher indes für einen „Irrweg“. In seiner 2004 veröffentlichten Studie wird deutlich, dass die Namen als „Patronymika, also Vatersnamen“, entziffert werden können. Demnach sollen ein Mann namens „Kastrie Etuni“ und später seine Söhne rituelle Handlungen vorgenommen haben. „Welcher Art diese waren, wissen wir nicht“, räumt Dr. Schumacher ein, „die Inschrift nennt nur Namen, wie oder was sie welchen Göttern geopfert haben, wurde nicht aufgeschrieben.“ Um dem Räter-Heiligtum moderne Ergänzungskritzeleien zu ersparen, wurde es zum europäischen Kulturdenkmal СКАЧАТЬ