Katzmann und die Dämonen des Krieges. Uwe Schimunek
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Название: Katzmann und die Dämonen des Krieges

Автор: Uwe Schimunek

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

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isbn: 9783955520519

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СКАЧАТЬ mit der linken Hand und wischte sich die rechte, die eben noch das Bier gehoben hatte, am Hemd ab. Er drückte die Brille am Nasensteg gegen die Stirn, dann faltete er die Zeitungsausgabe vom 17. Januar auf und las:

      Die Leipziger Volkszeitung auf unbestimmte Zeit verboten!

      Aufgrund des preußischen Gesetzes über den Belagerungszustand vom

      4. 6. 1851 verordne ich im Interesse der öffentlichen Sicherheit:

      Der Druck, Verlag und Vertrieb der Leipziger Volkszeitung - auch in einer irgendwie veränderten Form - wird auf unbestimmte Zeit verboten. Zuwiderhandlungen gegen das Verbot sowie Aufforderungen oder Anreizungen dazu werden, sofern die bestehenden Gesetze keine höhere Freiheitsstrafe bestimmen, mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft, nur bei mildernden Umständen kann auf Haft oder Geldstrafe erkannt werden. Gründe: Seit geraumer Zeit hat die Leipziger Volkszeitung sowohl in den Leitaufsätzen wie auch sonst, unter bewusster Entstellung der Wahrheit, Veröffentlichungen gebracht, die nach Form und Inhalt geeignet waren, verschiedene Klassen der Bevölkerung gegeneinander aufzureizen, die Achtung vor den Gesetzen und Anordnungen des Staates zu untergraben und zur offenen Auflehnung und zum Ungehorsam hiergegen aufzurufen.

      Wegen der darin liegenden strafbaren Handlungen schweben eine Reihe von Strafverfahren, und verschiedene amtliche Warnungen sind der Leipziger Volkszeitung zugegangen. Ungeachtet dessen fährt sie in ihrem Treiben fort, wie das namentlich die Aufsätze in Nr. 283 vom 16. 12. 1919 «Aufreizung zum Klassenhass», «Noch ein Beitrag zu dem Kapitel Klassenjustiz», aber auch andere Aufsätze in anderen Nummern sattsam beweisen. Von diesem Verhalten zu lassen, haben Warnungen und Strafverfahren nicht ausgereicht. Dass es aber unmöglich sich mit der Sicherheit des Reiches verträgt, wenn planmäßig und bewusst in einem Blatt mit großem Leserkreis alles, was von der Regierung oder ihren amtlichen Vertretern und sonstigen Organen geschieht, herabgewürdigt wird, bedarf gar keines Beweises. Diesem Treiben muss endlich ein Ende gemacht werden, und es kann nach Lage der Dinge nur durch das Verbot des Druckes, des Verlages und des Vertriebs der Leipziger Volkszeitung, und zwar in jeder Erscheinungsform, geschehen.

      Dresden, am 16. Januar 1920

      Der Militärbefehlshaber des Wehrkreises IV.

      Gez. Maercker F. d. R.: Zimmermann, Major im Generalstab

      «Das ist ja unglaublich!» Katzmann gab das Blatt zurück und trank sein Bier in einem Zug aus. Sofort winkte er beim Wirt nach einem neuen.

      Die Kneipe wurde noch voller. Inzwischen drängten sich die Männer um die Tische, auf engen Holzstühlen, die der Wirt in einem Raum neben der Toilette in großen Mengen gehortet zu haben schien.

      Heinz Eggebrecht musste schreien, um gegen den Lärm anzukommen. «Wir haben uns an das Verbot langsam gewöhnt. Aber eine Frechheit bleibt natürlich eine Frechheit!»

      Schlagartig wurde es still in der Kneipe. Das zweite «Frechheit» hatte Eggebrecht wohl mit zu viel Kraft herausgeschleudert. Dutzende Augen schauten zu ihm, zu Katzmann … Die Blicke stellten Fragen, forderten Antworten - mit dem Selbstverständnis von Gläubigern, die einen überfälligen Anspruch auf viel Geld erheben. Selbst die Rauchschwaden von den Selbstgedrehten schienen in der Luft stehenzubleiben …

      «Es ist nichts passiert, Leute! Wir reden über die LVZ .» Heinz Eggebrecht winkte mit dem Extrablatt.

      Das Gemurmel kehrte in die Kneipe zurück, Wortfetzen ragten aus dem Gebrumm: «Scheißregierung in Dresden…», «Verräter…», «Alle erschießen!»

      «O Mann, hier herrscht ja eine Stimmung.» Katzmann kratzte sich an der Stirn.

      «Streiks, Versammlungen, Schießereien… Ein Funke, und hier brennt tatsächlich die Luft.»

      «Und da wollen die gerade mich hier haben - einen Dresdner, einen Gemäßigten? Das macht mir Sorgen.»

      «Ach was, Sie sind ein Unabhängiger. Das reicht denen. Die schicken mich zu Ihnen. Mich, den der Kuckuck ins Nest gelegt hat. Ich glaube, die wollen einfach ihre besten Leute hier haben. Es braut sich was zusammen.» Heinz Eggebrecht schaute sich im Raum um. Die Männer tranken wieder, als hätten sie nie etwas anders getan. Vermutlich war die Situation in Leipzig deshalb so brisant, weil diese Normalität von einem Moment zum nächsten platzen konnte wie ein explodierender Zeppelin.

      «Und welcher Kuckuck hat Sie zur LVZ gebracht?»

      «Das ist eine lange Geschichte.»

      «Na, dann erzählen Sie am besten die Kurzform.» Katzmann grinste, trank und schwenkte dann sein Bier wie zur Aufforderung.

      «Also gut. Ich war beim Photographen Schulze in der Lehre. Anderthalb Jahre, bis zum Krieg. Dann kam ich zur Truppe. Und als ich 1918 nach Leipzig zurückkam, war Schulze pleite und konnte mich nicht weiter beschäftigen. Keine gute Zeit für Photographen. Tote Soldaten heiraten nicht, und große Familienfeiern wurden auch seltener. Schulze war ein Unabhängiger der ersten Stunde, und so haben die Genossen mich bei der LVZ genommen. Und nun darf ich Anzeigen lithographieren. Für einen Lehrlingslohn. Mit über zwanzig. Das ist die Kurzfassung.»

      Katzmann lachte, nickte und trank. Dann setzte er das Bier ab und sagte: «Da sind Sie ja ein richtiger Glückspilz! Und ich habe einen erwachsenen Mitstreiter. Fein. Ich bin damals um den Krieg herumgekommen …»

      «Wie denn das?»

      «Ausgemustert. Die Lunge. Asthma nennt der Arzt die Krankheit. Eigentlich soll ich auch nicht rauchen.»

      «Na dann …» Heinz Eggebrecht blickte auf den Aschenbecher in der Mitte des Tisches und den Hügel ausgedrückter Zigaretten darin.

      Katzmann richtete seinen Rücken auf, als wolle er eine Rede halten, und streckte die rechte Hand über den Tisch. «Ich heiße übrigens Konrad.»

       Samstag, 14. Februar 1920

      DER SCHWARZE zog das Messer aus dem Gürtel und beugte sich über Preßburgs Leiche. Er zog den Kopf an den Haaren vom Körper weg, setzte die Klinge an, schnitt. Das Messer fuhr durch die graue Haut, durch das Fleisch, durch den Kehlkopf, als würde es Gelee zerteilen. Erst an der Wirbelsäule blieb der Stahl stecken. Der Schwarze sägte, zerrte, drehte den Kopf und bekam ihn schließlich vom Körper los. Er hielt ihn in die Höhe wie eine Trophäe. Kein Blut. Nur eine Kruste am Schnitt. Aus dem Kopf starrten tote Augen gen Decke.

      Der Schwarze wandte die dunklen Augen zum Fenster. Er schritt durch den Raum, vorbei an den dicken Ordnern mit den Vertragssachen der Jahre 1900 bis 1913, passierte die schmalen Hefter der Jahre 1914 bis 1917 und erreichte das Fenster. Die Flügel klangen beim Öffnen wie die Holztür eines Hexenhauses.

      Der Schwarze schwang sich in die Luft, flog los, Preßburgs Kopf an der ausgestreckten Hand vornweg.

      Am Boden rauschte der Karl-Heine-Kanal durch das Dämmerlicht. Die Plagwitzer Klinkerbauten sahen aus wie die Zitadellenanlage eines Raubrittergeschlechts. Nebel schmeichelte sich um Schornsteine und um die Lastkraftwagen auf den Höfen, die an schlafende Ungeheuer erinnerten. Der Wind pfiff ein krankes Lied.

      Die Häuser bekamen prächtigere Fassaden: Ornamente, Figuren auf Fenstersimsen und über Toreinfahrten, Erker. Schleußig. Dann der Park.

      Über den Wipfeln der ersten Bäume warf der Schwarze den Kopf nach oben. Als der Schädel wieder fiel, trat er mit voller Kraft gegen ihn und schoss ihn Richtung Scheibenholz.

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