Название: Der Tanz des Kranichs
Автор: Hilmar Fuchs
Издательство: Автор
Жанр: Спорт, фитнес
isbn: 9783938305850
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Betrachten wir die Natur und ihre Zyklen, so sehen wir, wie langsam manche Veränderungen vor sich gehen. Im Frühling können wir beobachten, wie ein Samenkorn langsam Wurzeln schlägt und sich so mit »Mutter Erde« verbindet. Und ohne »Vater Himmel« und seinen Regen könnte das Samenkorn nicht wachsen und gedeihen. Und bis aus dem Samen zum Beispiel ein Busch wird, muss einiges an Zeit vergehen. Der Sommer mit seiner Wärme wird den Busch erstarken lassen, im Spätsommer ist sein Wachstum abgeschlossen. Im Herbst ist es Zeit, loszulassen; der Busch verliert seine Blätter und seine Früchte. Es beginnt die Phase der Neuorganisation. Ein Kapitel wird abgeschlossen, bevor ein neues beginnen kann. Die Winterzeit dient der Erholung, der Ruhe, dem Sammeln von Kräften für den nächsten Zyklus.
Es ist heute bekannt, dass es die Qualität von Pflanzen, die als Lebensmittel verwendet werden, mindert, wenn ihr Wachstum mit Kunstdünger und künstlichem Licht beschleunigt wird. Ähnlich unnatürlich ist unser Leben in der immer schneller werdenden »Tretmühle« der modernen Gesellschaft. Wir müssen uns mit immer mehr »Düngemittel« stimulieren, damit wir noch Schritt halten können. Der Preis dafür, dass wir auf diese Weise gegen die Natur handeln, besteht darin, dass unsere Lebenskraft vor der Zeit verbraucht wird und wir schneller altern und anfällig für Krankheiten werden.
Die langsame Ausführung der Techniken im Tai Chi hilft uns, unser Tempo zurückzunehmen, zum Rhythmus der Natur zurückzufinden und auf diese Weise ein gesünderes Leben zu führen.
Tai Chi entspricht den Rhythmen und Zyklen der Natur. Langsam entwickeln sich seine Wirkungen im ganzen Körper, und wir können mit großer Aufmerksamkeit das, was wir tun, wahrnehmen und empfinden. Letzten Endes bedeutet Wahrnehmung nichts anderes als Fühlen, und Tai Chi lehrt uns, uns dessen bewusst zu werden.
Führt man Tai Chi aus, so sollte dies auf vollendete Weise geschehen; Fehler sollten vermieden werden. Die Form sollte glatt sein, ohne Unregelmäßigkeit, und sie sollte kontinuierlich, ohne Unterbrechungen geübt werden.
Chang San-feng
2.1. Die Herkunft des Kranichstils
Eine der Quellen der Kranichform des Tai Chi ist die südchinesische Kampfkunst »Weißer Kranich von Fujian«. Mein Lehrer Roland Habersetzer schrieb über diesen Wushu-Stil in seinem Buch über das chinesisch-okinawanische Bubishi:
Die Ahnenfolge der Meister dieses Kampfstils beginnt mit einem Mönch des Shaolinklosters mit Namen Fang Shiyu (oder Fang Houshou), der ein Experte des »Boxens der 18 Punkte« war. Nach der Zerstörung des Klosters von Honan im Jahre 1644 und der darauf folgenden Emigration der überlebenden Mönche fand Fang Shiyu Unterschlupf in einem Kloster in der südchinesischen Provinz Fujian. Dieses Kloster übernahm die Bezeichnung Shaolin. In ganz China gab es solche Ableger des ursprünglichen Shaolinklosters. Hier lebten und wirkten die Erben der Kampftechniken, die seit Bodhidharma entwickelt worden waren, und hier lebte der Widerstand gegen die verhaßte Herrschaft der neuen Mandschu-Dynastie. In einem Nachbardorf des Klosters Yongchun (auf japanisch Eishun), in dem Fang Shiyu Zuflucht gefunden hatte, wuchs die Tochter des Mönches auf, ein Mädchen namens Fang Jin Jang. Er lehrte sie seine Kampftechnik. Aber erst nach dem Tode ihres Vaters schuf Fang Jin Jang die Grundlagen jenes Kampfstils, der als »Weißer Kranich von Fujian« bekannt wurde.
Die Archive der von ihr begründeten Schule berichten, dass Fang Jin Jang eines Tages die Gelegenheit hatte, durch eine Bambushecke hindurch den Kampf zweier Kraniche zu beobachten. Ihr fielen die Präzision der Hiebe, der Ausweichmanöver und des Flügeleinsatzes auf. Plötzlich verspürte sie den Wunsch, die beiden Vögel voneinander zu trennen. Sie nahm einen langen Bambusstock, um sie zu erschrecken. Aber zu ihrer größten Überraschung wich der Vogel, den sie zu treffen versuchte, jedes Mal, wenn sie glaubte, ihn im nächsten Moment mit dem Stock zu berühren, mit einer schnellen und präzisen Bewegung aus und entkam mühelos ihrem Angriff. Er schwang sich schließlich auf, ohne dass sie ihn erreichen konnte. Der Vogel erwies sich als unberührbar! Dies war für die junge Frau eine wahre Offenbarung, und sie begriff auf diese Weise unmittelbar das Prinzip des Weichen und des Harten. Unverzüglich machte sie sich daran, eine Synthese aus den Lehren ihres Vaters und dem von ihr beobachteten Verhalten der Kraniche zu schaffen. Das Ergebnis war ein neuer Kampfstil, der sich schnell einen bedeutenden Ruf in der gesamten Provinz erwarb, wo er unter dem Namen Yongchun Hequan bekannt wurde. Die Tradition der Schule berichtet weiterhin, dass Fang Jin Jang die eigentliche Technik um bestimmte Atemtechniken und moralische Grundsätze erweiterte, um jedem Praktizierenden zu innerer Ausgeglichenheit und zur Harmonie mit den Kräften der Natur zu verhelfen.3
2.2. Die Botschaft des Kranichs
Werden Kraniche in Tierparks gehalten, so werden ihnen die Flügel gestutzt. Auf diese Weise können sie nur noch laufen und ein wenig flattern, sich aber nicht mehr frei in die Lüfte aufschwingen. Das heißt, ihr eigentliches Element, die Weite des Himmels, ist ihnen nicht mehr zugänglich. Diese in Gefangenschaft lebenden großen Vögel können zwar durchaus ein hohes Alter erreichen, aber verglichen mit ihren frei lebenden Artgenossen wirken sie weniger lebendig, weniger vor Lebenskraft »vibrierend«. Mit anderen Worten – sie können sich nicht mehr frei entfalten, denn das Potential hierfür schöpft ein freier Kranich aus der Wechselwirkung zwischen Yin (der Erde) und Yang (dem Himmel). Das gleiche gilt entsprechend für jedes Tier, das statt in Freiheit in der Enge eines Käfigs lebt.
Wir Menschen leben in der modernen Gesellschaft ebenfalls wie in einem Zoo. Wir bauen Mauern und Zäune, isolieren uns voneinander, äußerlich und innerlich. Wir leben in »Käfigen«, die wir für unseren eigenen Schutz errichtet haben. Vor allem die inneren Mauern in unseren Köpfen hindern uns an unserer Entfaltung, daran, unser wirkliches Potential als Menschen zu erreichen.
Ein Kranich, dessen Flügel nicht gestutzt sind, kann jeden Zaun, jede Mauer überwinden. Er tut dies nicht, indem er sie niederreißt, sondern indem er sich über sie hinwegschwingt. Seine Freiheit beruht nicht auf Zerstörung, sie beruht auf Harmonie, auf intuitivem Erkennen der Situation und auf intuitiver Anpassung an die Gegebenheiten. Diese Möglichkeit steckt auch in uns, und Tai Chi kann uns die Flügel verleihen, die wir dazu brauchen, unsere inneren Mauern und Zäune zu überwinden.
Ich möchte an dieser Stelle den Psychologen und Buchautor Dr. Steven D. Farmers zitieren, der schrieb, welche spirituelle Nachricht ein großer Vogel wie ein Adler oder ein Kranich für uns haben könnte:
Ob du es weißt oder nicht, aber du hast Zugang zu einer unglaublichen spirituellen Kraft! Wenn dein Blick zu eng ist und du keine Probleme mehr lösen kannst, wenn du jeder Herausforderung hilflos gegenüberstehst, dann schau darauf aus meiner Perspektive. Komm mit mir mit, und ich bringe dich zur Sonne und zu den Sternen. Du musst den Mut haben, alte und bequeme Gewohnheiten und Glaubensgrundsätze abzulegen und in unbekannte Reiche und neue Welten aufzusteigen, indem du deinen Blick unaufhörlich erweiterst. Die Zeit, die volle Verantwortung für dein Leben zu übernehmen, ist jetzt; sei bereit für sofortiges Karma. Und sobald dein spirituelles Bewusstsein ansteigt, wird dies positive und auch negative Wirkungen haben, die unmittelbar sind und immer größere Kraft besitzen werden. Wenn du vor einer Entscheidung stehst, gleichgültig, ob es dabei um eine bedeutende oder unbedeutende Angelegenheit geht, so besieh dir zunächst all die Möglichkeiten, die für dich zur Auswahl СКАЧАТЬ