Spenglers Nachleben. Группа авторов
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Название: Spenglers Nachleben

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Жанр: Афоризмы и цитаты

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isbn: 9783866747197

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СКАЧАТЬ Daß derselbe Beton auch Meilerwagen mit montierter V2 zum Prüfstand VII getragen und dasselbe Dorf Wernher von Brauns Privathaus gestellt hatte, blieb antifaschistisch stumme Vorgeschichte.50

      Wäre der Begriff nicht so verschlissen, könnte man hier fast von einem Trauma sprechen, liefe man dabei nicht Gefahr, das Unheimliche mit dem Verheimlichten zu vermischen.51 Ganz so kryptisch versiegelt ist Usedom freilich nicht; einige Jahre später produzierte Kittler in einem not coincidentally englischen Interview Klartext:

      [F]rom my early childhood, my mother often took me to the shore in East Germany where Hitler’s V2 rockets were developed during the Second World War. However, what fascinated me most about these sites and rockets was the fact that no one said a word about them. And yet the traces of this particular aspect of the German military-industrial complex […] were everywhere. And so I had to find my own explanation for this hidden part of history. But it was difficult to do so because it was almost forbidden to talk about the military-industrial complex in East Germany or even speak about the German side of the war effort more generally, and especially anything that touched upon the technological side.52

      Die Umschreibung des Krieges beginnt mit einer Reaktion auf die staatlich verordnete Verheimlichung deutscher Kriegsleistungen auf technischem Gebiet. Das ist zum Teil »Techno-Patriotismus«53 und zum Teil Provokation, um – eine der anstößigsten Formulierungen Kittlers – von der »Auschwitztheoretischen«54 Kriegsanalyse abzurücken. Im Kern geht es jedoch wie bei Spengler um die Erschließung einer Kriegsebene, die allen nationalen, politischen und ideologischen événements unterliegt. Am Ende steht die pynchoneske Umschreibung des Krieges. Dass Kittler dem lebenden Schriftsteller Thomas Pynchon die Reverenz erwies, die er ansonsten toten Ingenieuren vorbehielt, verdankte sich der Wirkung von Gravity’s Rainbow als Antidot gegen ›antifaschistische‹ und sonstige Schweigegebote. Denn was ist der Zweite Weltkrieg im Roman? Wenig Politik, dafür umso mehr Paranoia und vor allem viel Industrie und Technik:

      [T]his war was never political at all, the politics was all theatre, all just to keep the people distracted … secretly, it was being dictated instead by the needs of technology […] The real crises were crises of allocation and priority, not among firms – it was only staged to look that way – but among the different Technologies, Plastics, Electronics, Aircraft, and their needs which are understood only by the ruling elite.55

      Was die Eliten (als seien sie Verlierer) bestenfalls verstehen, aber nicht lenken, ist der Krieg als beschleunigte Technologieproduktions- und -transferphase. So wie bei Jünger der Erste Weltkrieg die Emergenz einer planetarischen evolutionären Gestalt anzeigt, so indiziert bei Kittler der Zweite Weltkrieg die Emergenz eines globalen infrastrukturellen Gestells, das aus der kriegsbedingten Fusion deutscher Raketen- und alliierter Atom- und Computertechnik besteht. Der Krieg zwängt zusammen, was zusammen gehört: nuclear payload, computer-based self-directed guiding technology and missile-based delivery system. Das Zwanzigste Jahrhundert ist mithin eine ménage à trois aus Los Alamos, Bletchley Park und Peenemünde/Mittelbau-Dora, die auch dann erfolgt wäre, wenn die andere Seite den Krieg gewonnen hätte – so wie ein deutscher Sieg im Ersten Weltkrieg den Abstieg der faustischen Kultur in die unvermeidliche cäsaristische Maschinenendphase nicht hätte aufhalten können. Wer diese technotektonische Ebene verkennt und stattdessen den Krieg an den (Selbst)Beschreibungen von vermeintlichen Oberflächenévénements festmacht – Land A überfällt Land B, um Ideologie X zu besiegen oder Rohstoff Z zu ergattern –, ähnelt den Urlaubern von Usedom, die auf ihrem Weg zum Strandkorb keinen tieferen Blick haben für kubistisch zerbombte Betonplatten. Vielleicht wird Geschichte nicht mehr auf den Straßen gemacht, aber sie lauert immer noch darunter. So schnell – um einen Lieblingsdichter Kittlers zu zitieren – wird man das alte Reptil nicht los.

      1 Winthrop-Young, Geoffrey u. Wutz, Michael: Friedrich Kittler and Media Discourse Analysis, in: Kittler, Friedrich, Gramophone, Film, Typewriter, Stanford 1999, xi-xxxviii.

      2 Zu diesem Erlösungsgestus vgl. Winthrop-Young, Geoffrey: American Kittler: Glossen zur Anschlussfähigkeit, in: Tumult, #50 (2012), 153–161.

      3 Gumbrecht, Hans Ulrich: Mediengeschichte als Wahrheitsereignis. Zur Singularität von Friedrich A. Kittlers Werk, in: Kittler, Friedrich, Die Wahrheit der technischen Welt. Essays zur Genealogie der Gegenwart, hg. v. Hans Ulrich Gumbrecht, Frankfurt a. M. 2013, 396–422; und Mehring, Reinhold: Mathematikvergessenheit. Friedrich Kittlers Revision von Heideggers Seinsgeschichte, in: Neue Rundschau, #127/3 (2016), 102–121.

      4 Kittler, Friedrich: Short Cuts, Frankfurt a. M. 2002, 39. Siehe auch Kittler, Friedrich: Heidegger und die Medien- und Technikgeschichte, Oder: Heidegger vor uns, in: Thomä, Dieter (Hrsg.), Heidegger-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung, Stuttgart 2003, 500–504.

      5 Herf, Jeffrey: Reactionary Modernism: Technology, Culture, and Politics in Weimar and the Third Reich, Cambridge 1984.

      6 Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, München 1972, 553.

      7 Spengler, Oswald: Frühzeit der Weltgeschichte. Fragmente aus dem Nachlass, hg. v. Anton Mirko Koktanek, München 1966, 133.

      8 Spengler: Untergang, 763, Hervorhebung i. O.

      9 Kittler, Friedrich: Grammophon, Film, Typewriter, Berlin 1986, 7 f.

      10 Ebd., 33.

      11 Ebd., 177.

      12 »Es war eine Zeit der Kultur: man las und dachte (Reclam, Insel, Kunstwart), heute kennt man nur Fußball und Saalschlachten. Amerikanismus. Damit war ich der letzte einer Reihe. Eine neue fängt nicht mehr an.« Spengler, Oswald: Ich beneide jeden, der lebt. Die Aufzeichnungen »Eis heauton« aus dem Nachlaß. Mit einem Nachwort von Gilbert Merlio, Düsseldorf 2007, 14, Hervorhebung i. O. Man beachte, wie selbst die »Zeit der Kultur« nicht an den betriebsüblichen Autorsignifikanten festgemacht wird, sondern an Verlagen: Insel und Reclam statt Goethe und Schiller.

      13 Spengler: Frühzeit, 48.

      14 Gumbrecht: Mediengeschichte als Wahrheitsereignis, 410.

      15 Vgl. zu Spengler: Gasimov, Zaur u. Lemke Duque, Carl Antonius: Oswald Spengler als europäisches Phänomen. Die Kultur- und Geschichtsmorphologie als Auslöser und Denkrahmen eines transnationalen Europa-Diskurses, in: Oswald Spengler als europäisches Phänomen, hg. v. Zaur Gasimov und Carl Antonius Lemke Duque, Göttingen 2013, 7–14; und zu Kittler: Winthrop-Young, Geoffrey: The Kittler Effect, in: New German Critique, #132 (2017), 205–224.

      16 Zu Hegel/Spengler vgl. Engels, David: »Ducunt fata volentem. Nolentem trahunt.« Hegel, Spengler und das Problem der Willensfreiheit im Geschichtsdeterminismus, in: Ders. (Hrsg.), Von Platon bis Fukuyama. Biologistische und zyklische Konzepte in der Geschichtsphilosophie der Antike und des Abendlandes, Brüssel 2015, 243–279; zu Kittler/Spengler vgl. Steinfeld, Thomas: Diskursive Handgreiflichkeiten. Friedrich A. Kittlers Geschichtsphilosophie der Medientechnik, in: Merkur, #43:5 (1989), 429–434.

      17 Spengler: Untergang, 3.

      18 Siehe Schoeps, Hans-Joachim: Vorläufer Spenglers. Studien zum Geschichtspessimismus im 19. Jahrhundert, Leiden/Köln 1953.

      19 Spengler, Oswald: Reden und Aufsätze, hg. v. Hildegard Kornhardt, München 1937, 68.

      20 Spengler: Untergang, 612.

      21 Spengler, Oswald: Briefe. 1913–1936, in Zusammenarbeit mit Manfred Schröter hg v. Anton Mirko Koktanek, München 1963, 97.

      22 Koselleck, Reinhart: Erfahrungswandel und Methodenwechsel, in: Ders., Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt a. M. 2003, 27–77.

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